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Nr. 51

JUGEND

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1897

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an's Leben ginge; nach allem, was Dn sagst,
handelt es sich doch nur um eine kleine Schuld.
Man muh sich nicht im Unglück gleich so fallen
lassen. Warum schickst Du nicht zu irgend einem
Freunde oder Verwandten, damit er das Geld
bezahle, so dah Du aus dem Gesängnih heraus-
kommst?" Der Dicke beschloß, dem Juristen das,
was ihm zugestoßen war, anzuvertrauen, er zog
ihn in einen Winkel der Zelle und erzählte ihm
seine Geschichte von Anfang bis zu Ende, wobei er
säst die ganze Zeit über weinte und ihn um zwei
Dinge anslehte: das Eine, dah er nie mit Je-
manden darüber spreche, das Andere, dah er
ihm doch einen Ausweg oder ein Rettungsmittel
für diesen Fall zeige.

Nachdem der wackere Richter ihn angehört,
hatte er sich sofort klargemacht, dah es sich hier
nur um zwei Dinge handeln könne: entweder,
daß Jener verrückt geworden sei, oder daß ein
toller Spaß getrieben werde, den er dann nicht
verderben wollte. Er erwiderte, er habe mehr-
fach gelesen und auch in seiner Umgebung es
erlebt, dah Jemand in eine andere Person ver-
wandelt worden sei — es wäre dies durchaus
nichts Neues. Worauf der Dicke fragte: „Dann
sagt mir nur, wenn ich Matteo geworden bin,
was ist dann mit Matteo geschehn?" Daraus
antwortete der Richter: „Nothwendigerweise muh
er derDicke geworden sein." Worauf der armeDicke
seufzte: „Nun gut, dann möchte ich ihn nur ein-
mal sehn, um uns beide auseinander zu wirren."

.Bei solchen Ueberleguugeu war es beinahe
Mittag geworden, als zwei Brüder dieses Matteo
aus's Gericht kamen, um den Gerichtsschreiber
zu fragen, ob ihr Bruder, genannt Matteo, dort
lei und weshalb er verhaftet worden sei; da
er doch einmal ihr Bruder sei, wollten sie für
ihn bezahlen und ihn aus dem Gesängnih be-
freien. Der Gerichtsschreiber, der, wie gesagt,
von dem ganzen Complot wußte, da er ein
guter Freund des Tommaso Pceori war, sagte:
In, und indem er so that, als schlüge er im Re-
gister nach: „Auf Veranlassung eines gewissen
So und So sitzt er hier für eine Geldschuld von
so und so viel." „Gut," sagten die Brüder, „wir
wollen ihn einen Augenblick sprechen, dann wer-
den wir für ihn zahlen." Sie gingen an's Ge-
angniß heran und riefen Einem, der am Fenster
'taub zu: „Holla, Du da! sag' dem Matteo, er
möchte herantreten." Die Botschaft wurde aus-
gerichtet, der Dicke trat an's Gitter. Worauf
der älteste der Brüder ihn anredete: „Matteo,
Dü weiht, wie oft wir Dich gewarnt haben vor
Deinen bösen Gewohuheiteu. Von Tag zu Tag
hast Du Dich mehr in Schulden gestürzt, bald


bei Diesem, bald bei Jenem, nie hast Du irgend
Einem sein Geld zurückgezahlt. Hub jetzt finden
wir Dich sogar im Gesängnih, während Du doch
weiht, daß wir jeden Tag für Dich zahlen könnten.
Du hast aber ein wahres Vermögen für Deine
Lumpereien verbraucht; und wir bemerken Dir,
daß wir Dich eigentlich ruhig eine Weile hier
verrotten lassen sollten, damit Du siehst, wohin
solches Leben führt, Aber der Mutter zu Liebe
und um unserer eigenen Ehre willen, haben wir

Äsen, Dich iioch einmal aus der Klemme
en und für Dich zu zahlen, indem wir
Dirrathen, uns nicht noch einmal hineinzurudern,
sonst wirst Du länger drin bleiben, als Dir lieb
sein dürste; das genüge Dir. Und da wir bei
Tage nicht hier gefehlt sein wollen, werden wir
heute Abend um's Ave Maria kommen, damit
nicht die Leute unfern Kummer erfahren und
wir uns nicht Deinetwegen schämen müssen."
Der Dicke wandte sich zu ihnen mit guten Worten,
versprechend, dah er gewiß nicht mehr in die
üblen Angewohnheiten der vergangenen Zeiten
verfallen werde, wobei er sie um Gotteswillen
bat, ihn nur zur rechten Zeit abzuholen. Dieses
versprachen sie und schieden von ihm; er zog sich
zurück und sagte zu dem Rechtsgelehrten: „Es
wird immer krauser; jetzt kommen auch noch
zwei Brüder des Matteo zu mir, jenes Matteo,
in den ich verwandelt worden bin und haben
mit mir geredet, als wenn ich Matteo wäre und
haben mir sehr zugesetzt und versprochen, dah
sie um's Ave Maria mich hier fortholeu wollen."
Dann fügte er hinzu: „Und wenn sie mich nun
hier fortnehmen, wo gehe ich dann hin? Zu
mir in's Haus kann ich nicht zurück, denn was
kann ich sagen, um nicht für verrückt gehalten
zu werden, wenn der Dicke da ist? Und es
scheint mir sicher, daß der Dicke da ist; denn
wäre er nicht da, so hätte meine Mutter mich
suchen lassen, während sie jetzt, wo sie ihn vor
sich sieht, den Jrrthum nicht bemerkt." Der Ge-
lehrte verhielt sich mit größter Mühe das Lachen,

er hatte ein unbeschreibliches Vergnügen an der
Posse und sagte: „Geh' nicht in das HauS des
Dicken, sondern geh' mit diesen, die erklären,
Deine Brüder zu sein; sieh' zu, wo sie Dich hin-
führen und was sie mit Dir ansangen."

Während sie so redeten, brach der Abend an;
die Brüder kamen und nachdem sie gethan hatten,

als ob sie den Gläubiger und die Gerichtskasse
'ob s" ' - "

m . .Teilt, ging h

fragte: „Wer von Euch ist Matteo? Der Dicke

befriedigt hätten, erhob sich der Gerichtsschreiber
mit den Gefängnihschlüsjeln, ging hinein und

trat vor und sagte: „Hier bin ich, Herr." Der
Gerichtsschreiber sah ihn sich genau an und sprach:

B, Pankok (München),

„Hier Deine Brüder haben die Schuld für Dich
beglichen; Du bist frei/' Und indem er die Gefäiig-
nißthür öffnete, sprach er: „Da geh'hinaus." Es
war schon finster geworden, als der Dicke heraus-
kam und sich mit den Brüdern auf den Weg
nach Lanka Felicitä machte, wo deren Haus
staud. Zu Hause augekommeu, führten sie ihn
in eine Kammer des Erdgeschosses und sagten
ihm: „Bleibe hier, bis e8 zum Abendessen Zeit
sein wird," als ob sie ihn der Mutter nicht zeigen
wollten, um sie nicht traurig zu machen. Am
Feuer war ein Tischchen gedeckt und Einer blieb
bei ihm, während der Andere den Priester von
Santa Felicitä, ihrer Psarre, der ein herzens-
guter, braver Mann war, aufsuchte und ihm
erzählte: „Herr, ich komme voller Vertrauen zu
Euch, wie ein Nachbar zum Anderen kommen
soll. Wir sind nämlich drei Brüder, darunter
Einer, Namens Matteo, der gestern wegen ver-
schiedener Schulden, in .hast gesetzt worden ist.
Dies hat er sich so zu Herzen genommen, daß
er übergeschnappt ist, denn er redet Unsinn
und behauptet, er sei ein gewisser dicker Holz-
schnitzer, den er kennt, der seinen Laden hinter Lau
Giovanni und feilt Haus bei Santa Maria del
Fiore fint; und diese Idee können wir ihm aus
keine Weise aus dem Kopf bringen. Wir haben
ihn aus dem Gefängniß geholt und ihn zu
Hause in eine Kammer gesperrt, damit man
draußen nicht seine Verrücktheiten höre; denn,
wieJhr wißt, wer einmal anfüngt, solcheAnzeichen
zu geben, von dem wird man, wenn er auch
nachher noch so vernünftig geworden ist, immer
behaupten, er hätte einen Vogel im Kopf. Und
nun, um endlich zum Schlup zu kommen, so
wollten wir Euch um der christlichen Barmherzig-
keit willen bitten, daß Ihr gefälligst zu uns in's
Haus kommen, zu ihm reden und versuchen
möget, ihm diese Grillen auszutreiben: wir
würden Euch dafür immer zu großer Dankbarkeit
verpflichtet sein." Der Priester, ein wohlwollender
Mann, antwortete, daß er es sehr gerne thuu
wolle: wenn er mit ihm reden könnte, so würde
er auch bald den Fall verstehn und würde ihm
so lange und so gut zuredcn, bis er ihm die
Schrulle vertrieben hätte.

Er machte sich mit ihnen auf den Weg und
trat in die Kammer, in welcher der Dicke saß,
tief in seinen trüben Gedanken brütend. Als er
den Priester kommen sah, richtete er sich aus,
schweigend und verwundert. Der Priester be-
gann: „Guten Abend, Matteo." Der Dicke ant-
wortete: „Guten Abend gleichfalls, was führt
euch her?" „Ich bin gekommen, um ein wenig
bei Dir zu bleiben," erwiderte der Priester, setzte
sich und, sagte zum Dicken: „Setz' Dich hier neben
mich, damit ich besser mit Dir reden kann."
Dies geschah. Nun sing der Geistliche an folgen-
des zu sprechen: „Der Grund meines Kommens,
Matteo, ist der, daß mir etwas zu Ohren ge-
kommen ist, was mir sehr mißfällt. Du bist in
diesen Tagen Deiner Schulden wegen verhaftet
worden, und hast Dich nach allem, was ich ge-
hört habe, in Folge davon so sehr dem Trüb-
sinn hingegeben, daß Du denn nahezu verrückt
geworden bist; und zu den übrigen Thorheiten,
die Du begangen Haft und noch begehst, gehört
auch die, daß Du behauptest, Du. seiest gar nicht
mehr Matteo, sondern ein andrer Mensch, der
sich der Dicke nennt und ein Holzschnitzer ist
Du bist sehr zu tadeln, daß Du um einer kleinen
Widerwärtigkeit wegen so außer Dich gcrathen
bist. Wirklich, Matteo, ich will nicht, daß Du
weiter so fortfährst, sondern, dah Du mir zu
Liebe von nun an versprichst, Dich von dieser
Grille frei zu machen und Dein Leben zu führen,
wie alle anderen ordentlichen Menschen. Denke
nur, wenn es sich herumspräche, daß Du verrückt
warst, so würde man doch bei Allein, was Du
später thuu würdest, wenn es auch noch so ver-
nünftig wäre, immer sagen: Der ist ja verdreht
und Du wärest für immer ein verlorener Manu.
Drum zum Schluß: Benimm Dich wie ein
Mensch, nicht wie ein dummes Thier und laß'
die Nnrrethcien. Laß' den Dicken den Dicken
sei»! Folge mir, der ich es aut mit Dir meine."
Als der Dicke nun sah, wie der Priester ihm so
liebevoll in's Gesicht blickte und die versöhnlichen
Worte vernahm, ziveifelte er gar nicht mehr,
Matteo zn sein, rind antwortete bewegt, er sähe
ein, daß er ihm zu seinem Besten rathe und er
wolle sich die größte Mühe geben, nicht mehr
daran zu denken, daß er irgend Jemand andere

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Bernhard Pankok: Zeichnung ohne Titel
 
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