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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 2.1897, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 51 (18. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3210#0419

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1897

JUGEND

Nr. 51

G Gott, wie rst

well

vre

Julius Die% (München).

so schlecht I

sei, als Matteo. Aber er bäte ihn nur um eine
Gunst^ nämlich die, weitst es möglich wäre,
mit diesem dicken Holzschnitzer einmal sprechen
zu dürfen, damit er das Geglaubte nicht mehr
glaube. Darauf antwortete der Priester: „Alles
dies verträgt sich nicht mit Deinen Vorsätzen:
ich sehe, der alte Unsinn steckt Dir immer noch
im Kopf. Was brauchst Du den Dicken zu
sprechen? Was geht der Dich an? Je mehr
Du davon sprichst und je mehr Personen Du
davon erzählst, desto schlimmer ist's und desto
mehr schadest Du Dir/' Hnd nun setzte er ihm
so lange zu, bis er sich endlich zufrieden gab.

Während sich der Pfarrer noch mit dem Dicken
eingeschlosscn hatte, war Filippo cki ser Brunel-
lesco heimlich in das tzaus gekommen und ließ
sich von einem der Bruder, unter den größten
Lachausbrüchen, ausführlich Alles erzählen, den
Auszug aus dem Gefängniß und was sie unter-
wegs und seitdem gesprochen hatten. Dann über-
gab er den Brüdern eine Flasche und sprach:
„Versucht, ihm beim Abendeßen dieses zu trinken
zu geben, entweder im Wein oder auf irgend eine
Art, daß er es nur nicht merkt. Es ist ein
Opiat, welches ihn so einschläfern wird, daß er
ein Paar Stunden lang besinnungslos sein wird;
ich werde gegen Mitternacht wieder her kommen,
dann besorgen wir das Uebrige."

Dies geschah nun ohne Schwierigkeiten, sie
brachten dem Dicken so viel von dem Schlaftrunk
bei, daß er schließlich nicht mehr die Auge» offen
halten konnte. Die Brüder sagten,zu ihm: „Es
scheint, als ob Du beinahe umfielest vor Müdig-
keit, Matteo. Du kannst vergangene Nacht nur
ivcnig geschlafen haben." Der Dicke antwortete:
„Ich versichere Euch, in meinem gaiizcn Leben
bin ich niemals so schläfrig gewesen; wenn ich
einen Monat lang nicht geschlafen hätte, könnte
es nicht schlimmer sein. Doch ich will letzt m s
Bett gehn." Und damit sing er an sich auszu-
kleiden: kaum hatte er es fertig gebracht, sich
der Schuhe und Strümpfe zu entledigen und sich
auf's Bett zu iverfeii, als er auch schon im ticscn
Schlafe da lag und wie ein Bär schnarchte.

Zur verabredeten SMnde kam Filippo cki vor
Brunellesco mit sechs Genossen in die Kammer,
hoben ihn auf und trugen ihn mit allen seinen
Kleidern in einem Tragkorb in sein Haus, in
welchem sich Niemand befand, da die Mutier

zum Glück noch nicht wieder in die Stadt zurück-
gekehrt war: dann legten sie ihn in sein Bett
und seine Kleider thaten sie dahin, wo er sie
immer aufzuhängen pflegte; ihn stlbst aber, der
gewöhnt war mit dem Kopf nach oben zu schlafen,
legten sie mit dem Kopf nach dem Fußende zu.
Nachdem sie alles dies vollbracht hatten, nahmen
sie die Schlüssel zu seiner Werkstatt, welche an
einem Haken im Zimmer hingen und gingen in
die Werkstatt, wo sie alle Eisen und Werkzeuge,
die er zum Arbeiten brauchte, durcheinander
warfen; aus den Hobeln zogen ste die Eisen her-
aus, steckten die feine Schneide nach oben, die
stumpie nach unten und grade so machten sie es
mit allen Hämmern und Beilen bis das oberste
zu unterst gekehrt war und Werkstatt mit Laden
aussahen, als ob die bösen Geister drin gehaust
hätten: nachdem sic den Laden wieder verschlossen
und die Schlüssel in des Dicken Zimmer znriick-
gebracht und die Thüre hinter sich zugemacht hat-
ten, ging ein Jeder nach Hause, um auszufchlascn.

Der Dicke, von dem Trünke schwer betäubt,
schlief die ganze Nacht, ohne sich zu rühren. Als
am anderen Morgen die Wirkung deS Trunkes
nachgelassen hatte, erwachte er beim Ave Maria-
Läuien des Domes. Als er die Augen öffnete, sah
er, daß er wieder zu Hause war. Als er nun an-
fliig, alles Geschehene sich in's Gedttchtniß zurück-
zurusen, befiehl ihn ein namenloses Slaunen und
indem er pch vergegenwärtigte, wo er sich Abends
zuvor zur Nahe gelegt hatte, verfiel er plötzlich
aip den Gedanken eines Doppellebens; ob er
icnes geträumt hatte oder das Gegenwärtige
träume,— das eine schien ihm so wirklich und
so unmöglich ime das andere. Er seusztc aus
Herzensgrund: Gott steh' mir bei! Nachdem er
aus dem Bett gestiegen war und sich angekleidct
hatte, nahm er die Schlufiel und ging m seine
Werkstatt. Als -r sie aeö fnet und aöes durch-
einander liegen sah, die Werkeisen alle in Uii-
ordnung und am Unrechten Platz, wurde seine
Verwunderung auch nicht geringer; er begann
sie wieder zurecht zu machen und hinzulegen
Ivo sie hingehörten. Währenddessen kamen die

beiden Brüder des Matteo und da sie ihn so be-
schäftigt fanden, thaten sie, als wenn sie ihn nie
gesehen. Der Eine von ihnen sprach ihn an:
„Guten Tag, Meister." Der Dicke, der sich um
gedreht und sic erkannt hatte, verfärbte sich ei»
wenig im Gesicht und sprach: „Guten Tag auch
und gutes Jahr. Was ist Euch gefällig?" Da
sprach der Eine: „Das will ich Dir sagen. Wir
haben einen Bruder mit Namen Matteo, der vor
einigen Tagen in Schuldhast kam und sich dieo
so zu Herzen nahm, daß er seitdem gestört ist
und unter anderem behauptet, daß er nicht mehr
Matteo, sondern der Inhaber dieses Ladens sei
und daß er der „Dicke'' genannr würde; wir
haben ihn sehr davor gewarnt und haben ihn
auch gestern noch durch den Pfarrer unserer
Gemeinde, einen tresslichen Mann, ermahnen
lassen und er hatte es ihm auch versprochen, fidi
von diesem Gedanken los zu machen. Er hat
dann ganz friedlich mit uns zu Abend gespeist
und ist, wählend >vir dabei waren, schlaien ge-
gangen. Seit heute Morgen ist er nun, ohne
daß ihn Jemand gehört hat, verstbwunden und
wo er hingegangen ist, weiß kein Mensch. Dar-
um sind wir hierher gekommen, um zu sehn, ob
er sich hier vielleicht auihält, oder ob Du uno
von ihm zu sagen weißt." Dem Dicken ver-
gingen die Sinne, als er die Bürger so sprechen
hörte; er wendete sich zu ihnen und sagte:
„Ich verstehe nicht, was ihr da redet, und be-
greife nicht, was das für Possen sind. Matteo
ist nicht hier gewesen und wenn er behauptet,
daß er ich sei, so ist das ein rechter Schurken-
streich; und so wahr ich lebe, sehe ich ihn erst
von Angesicht zu Angesicht, so muß ich doch end
lickt aus dem Wirrsal herauskontinen und citdlicki
wissen. ob ich er bin oder ob er ich ist. Welche
Teufelswirthschast ist das seit zwei Tageit!" Und
damit nahm er wüthend seinen Mantel, schlug
die Hausthüc zu, ließ die Brüder einfach stehn
und verschwand fluchend und drohend nach dem
Dome zu. Die Fremden gingen weg; der Dicke
aber war so ausgebracht, daß er in der Kirche
wie ein wüthender Löwe hin und her lief. I»
diesem Zustand was ihn ein Genosse, mit den,
er früher beim Meister Pcllcgrino in Tcrma.
wo die eingelegten Kstnsttischlereien gemacht wer-
den, znsammengearbeitet hatte: dieser, um einige
Jahre jünger, war außer Landes gegangen und

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Julius Diez: O Gott, wie ist die Welt so schlecht!
 
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