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Nr. 52

JUGEND

1897

Der Blüthner-Flügel

Novelette von Ernst von Wolzogen
(Mit einer Zeichnung von Angelo Jank.)

Ts ist eine seltsame Geschichte, die ich er-
zählen will, aber mein Gewährsmann, ein
wohlhabender Gutsbesitzer in Ostpreussen, da
herum angesessen, wo schon die richtige Po-
lackei beginnt, versicherte mich hoch und theuer,
dass er sie selbst erlebt habe. Und so mag
er sie denn auch selbst erzählen:

„Also denken Sie sich, was mir mit meinem
Blüthner-Flügel passirt ist, — das heisst,
eigentlich war’s meiner Frau ihr Blüthner-
Flügel. Mein Frauchen ist nämlich sehr mu-
sikalisch und spielt gar nicht übel Klavier,
und da war’s wohl weiter nicht merkwürdig,
dass ihre Eltern ihr einen funkelnagelneuen
Blüthner-Flügel als eines der Hauptstücke ihrer
Ausstattung mit in die Ehe gaben. Das Ding
stand in unserm Salon, der „kalten Pracht“ —
so geheissen, weil er im Winter nur bei fest-
lichen Gelegenheiten geheizt wurde — und die
Dienstmädchens hatten einen Heidenrespekt
davor, weil es mit seiner glänzenden Politur
wahrhaft magnetisch den Staub anzog und mein
Olgachen sehr unangenehm werden konnte,
wenn sie auch nur das kleinste Kratzerchen
darauf bemerkte. Im ersten halben Jahre
unserer Ehe spielte sie ja noch ziemlich häufig
darauf, und dann konnte ich stundenlang in
der Ecke auf unserm feinsten Fauteuil sitzen
und ganz artig zuhören, obwohl ich unmusikalisch
wie ein Kettenhund bin. Aber wie das so
geht im heiligen Ehestand, die sanften Tugenden
des Mannes und die feineren Talente der
Damens verlieren sich mehr oder minder peu
ä peu. Im ersten Winter fing schon das
Sparen mit der Heizung an, und wie denn
nun das Frühjahr wieder herankam, da be-
hauptete mein Frauchen, die Finger wären ihr
,, A. Jank (München). steif geworden, und sie wäre zu sehr aus der

Hebung gekommen. So war denn das schöne
Instrument bereits darauf beschränkt, uns mehr
durch seine Politur als durch den Glanz seiner Töne zu imponiren. Trotzdem Hessen wir es
gewissenhaft alle halbe Jahr einmal stimmen, denn wir hatten ja auch musikalischen Verkehr;
und meine Frau meinte, wenn der Kleine erst da wäre, würde sie schon wieder zu spielen anfangen.

Es war in einer Nacht Anfangs Mai. Wir
hatten den Abend ein bischen was Gut’s ge-
gessen und ich mochte ja wohl nicht eben
bescheiden gewesen sein — mein Gott, im
eigenen Hause und wenn’s einem doch mal
schmeckt, nicht wahr? Also infolge dessen
habe ich eine unruhige Nacht und träume
schwer. So ’ne ganz wüste Verfolgungsgeschichte,
wissen Sie; sie waren hinter mir her wie zehn-
tausend Teufel und ich in meiner Angst renne
und renne immerzu und ich kann schon gar
nicht mehr japsen. Da komme ich an einen
Ahgrund und unten ist ein See mit tinten-
schwarzem Wasser. Also, ich ohne Besinnen
hineingesprungen, denn auf der andern Seite
war das Ufer flach und es war immerhin eine
Möglichkeit, sich durch Schwimmen zu retten.
Aber wie ich mitten im See bin, geht mir doch,
weiss Gott, die Puste aus und ausserdem
kriege ich einen Wadenkrampf. Na nu war’s
aus mit mir. Ich schlucke Wasser und tauche
unter, und kann nicht mehr in die Höhe und
strample aus Leibeskräften und es hilft doch
alles nicht. Bei dieser Gelegenheit könnt’ ich
es nun erproben, dass es wirklich der schönste
Tod sein muss, zu ertrinken. Diese Melodien,
wunderbar! Halleluja mit Harfenschlag — so
was können Sie sich gar nicht vorstellen!

Ich horche gespannt und andächtig zu, wie
in der Kirche. Es wird mir ganz fromm und
gerührt zu Muthe. Da höre ich mit einmal
eine bekannte Stimme: ,KasimirChen, bist Du
wach? Hörst Du’s auch?“ Und nun dauert’s
nicht lange, da bin ich ganz munter und merke,
dass ich in meinem Bett aufrecht sitze und
meine Frau ist ganz nahe zu mir herange-
krochen und umklammert meinen linken Arm
mit ihren beiden Patschen.

„Jawohl,“ sage ich, „Olga, mein Maus’chen,
ich hör’s auch. Was kann das man blos sein?
Ich dachte schon, ich wäre im Ersaufen. Ich
habe so ’en bösen Traum gehabt.“ .

„Sei doch still und horch doch blos,“ flüstert
mein Olgachen, ganz aufgeregt an meiner Seite:
„Da spielt wer auf unserem Flügel,“ sagt sie.

„Ne,“ sage ich, „Olgachen, mein Maus’chen,
das ist ja Unsinn; wer soll denn mitten in der

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Angelo Jank: Zeichnung zum Text "Der Blüthner-Flügel"
Ernst Frh. v. Wolzogen: Der Blüthner-Flügel
 
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