Nr. 52
JUGEND
1897
bin ein Lump“ — und dann legt er die
Stirn auf den schönen blanken Deckel von
unserm Blüthnerflügel und fängt, bei Gott,
zu flennen an.
Nun war ich doch, das können Sie mir
glauben, so erstaunt, dass ich nichts zu sagen
wusste. Ich setze mich also zu meinem
Maus’chen in die Sofaecke und fasse sie
um und sage gar nichts. Ich denke mir:
mal muss er doch zu flennen aufhören und
dann werden wir ja weiter sehen. Und
mein Maus’chen weiss auch nichts zu sagen
. und drückt mir nur immer die Hand, starrt
auf den merkwürdigen Menschen mit den
schwarzen Künstlerlocken und guckt sich
rein die Augen aus dem Kopfe.
Mit einmal habe ich eine gute Idee:
„Maus’chen,“ flüstereich ihr ganz leise in’s
Ohr, „geh’, hole ihm einen Schnaps.“ Na,
das thut nun mein Maus’chen auch, und
wie sie wieder kommt und das Schnapsglas
vor ihn auf den Klavierdeckel stellt, da
hebt der Mensch den Kopf auf und guckt
mein Olgachen an, nvt Augen, sag’ ich
Ihnen, mit Augen — ich weiss nicht, wie
ich mich ausdrücken soll — ich möchte
sagen, mit polnischen, katholischen und
musikalischen Augen. Und dann nimmt er
das Schnapsgläschen zwischen zwei Finger
und sagt: „Merci Panna, prosit!“ und kippt
den Kümmel, haste nicht gesehen, runter.
Und dann legt er los mit seiner Geschichte.
„Oh, ich verdiene nicht,“ sagt er, „ich
bin ein Lump, bitte, lassen mich gefälligst
einsperren, gnädige Herrschaften. Ich werde
nicht davon laufen, ich werde in Gefäng-
niss gehen. Ich bin ein Lump. Es ist nicht
möglich, mich zu verbessern. Ich war ein
Kinstler — ich kann wohl sagen, ein be-
deitender Kinstler. Ich habe Alles durch-
gebracht mit Champagner und Frauenzim-
mer und was dazu gehört — nobbel, hab’
ich gesagt, muss die Welt zu Grunde gehen.
In Warschau und Petterburg und Berlin
und iberall bin ich gewesen und hab’ ge-
spielt in Konzert, nobbel, immer nobbel, bis
ich hab’ alles durchgebracht. Dann hab’
ich nicht mehr können auftreten in nobbler
Gesellschaft, hab ich gespielt in Tingel-
tangel und Schnaps getrunken, weil zum
Champagner kein Geld mehr gehabt habe.
Hab ich gehabt geheirathet Sängerin aus
Tingeltangel; haben wir uns geprigelt alle
Tage, weil ich nicht verdient habe und sie
hat mir nicht Geld gegeben zu versaufen.
Hab ich Unterschrift gefälscht unter Wechsel.
Bin ich in Gefängniss gekommen -— und
dann war ganz aus. Hab ich angefangen
lange Finger zu machen — bin ich ganz
gemeiner Lump geworden. Hab ich ge-
bettelt, gestohlen, dass ich wieder kann in
mein Heimath kommen, nach Pollen zu
mein Mütterchen. Bin ich eingebrochen,
sehr geehrte Herrschaften, bei Ihnen, hab
ich wollen stehlen. Aber, wie ich hab ge-
sehen wunderschöne Blüthnerflügel, hat
mich gepackt die musikalische Leiden-
schaft. Bin ich geworden wie ein Narr,
ganz verrichte. Hab ich viel Jahre nicht
unter die Finger gehabt so schöne, feine,
liebe Instrument.“
Und nu hätten Sie ihn mal sehen sollen,
wie er den wüsten schwarzen Lockenkopf
auf die linke Hand stützte und mit der
Rechten über die Tasten fingerte, als ob er
das Elfenbein zärtlich streicheln wollte. Mein
Maus’chen und ich, wir sassen noch immer
umgefasst in der Sofaecke und sagten gar
keinen Ton. Und, wie der Mann merkte,
dass er nicht gestört wurde, nahm er die
linke Hand auch dazu und spielte so schön,
Italienische LTacht f.:Neumann (acuMcWJ.
dass mir ordentlich Angst und Bange dabei
wurde, obschon ich, wie gesagt, so un-
musikalisch wie ein Kettenhund bin. Und
mein Maus’chen hatte gar die Guckelchen
voll Wasser. Wenn ich nicht dabei gewesen
wäre, ich glaub’ wahrhaftigen Gott, sie wäre
dem schwarzen Muschkilapki um den Hals
gefallen — aber das konnte ich ja natürlich
nicht dulden — besonders, weil wir das
Kleinchen erwarteten, und man weiss doch
nie, was solche Sachen für einen Einfluss
haben. Also, inmitten in der schönsten
Musik führe ich mein Maus’chen ganz sachte
aus der kalten Pracht hinaus und bringe sie
mit sanfter Gewalt wieder in’s Bett. Und
dann warte ich noch so ein halbes Stünd-
chen bis sie richtig eingeschlafen ist, ehe
ich wieder zu meinem Künstler hinunter-
gehe. Ich dachte mir doch, er wird die
Zeit benutzen und wieder durch’s Fenster
verduften, wie er gekommen war. Aber
nein, was glauben Sie? Ist ihm gar nicht
eingefallen! Wie ich hinunterkomme in
die kalte Pracht, ist’s ganz stille da; aber
vor dem Flügel sitzt immer noch mein
Künstler und hat die Arme weit über den
Deckel ausgebreitet, als ob er den Blüthner
umarmen und an sein biederes Lumpenherz
drücken wollte, und die Stirn liegt wieder auf
dem Deckel — und so schläft er ganz fest
— ich hätte bald gesagt: „den Schlaf des
Gerechten.“ Und aussehen that der Kerl
— ich sage Ihnen, nicht mit der Feuer-
zange anzufassen! So habe ich ihn also
auch nicht angefasst und habe ihn ruhig
schlafen lassen. Und dann bin ich hinaus-
gegangen und habe mir den Nachtwächter
gekauft, den Duselkopp, der nichts gehört
und nichts gesehen hatte und dann bin
ich in den Pferdestall, und habe mich mit
meinem Grafen Mikulski besprochen.
Nu, und am andern Morgen, ganz in
der Frühe, sind wir Drei hinein in die „kalte
Pracht“ und da hat mein polnischer Künst-
ler noch fest geschlafen und unsern Blüthner-
flügel umarmt gehalten. Der Mensch that
mir so leid, ich kann’s gar nicht sagen.
Ich bin sonst im Allgemeinen ziemlich höflich
gegen Künstler und solche Leute; aber
wenn sie sich nebenbei vom Einbrechen
ernähren, so muss ich doch sagen, da hört
sich die Gemüthlichkeit schliesslich auf.
Nä, und er hat sich ja auch weiter gar
nicht geziert, sondern sich ruhig festnehmen
lassen. Und dann hab’ ich ihm meine
Equipage zur Verfügung gestellt, um nach
der Kreisstadt zu fahren. Ich habe nie
wieder was von dem merkwürdigen Lumpen
gehört.
Mein Maus’chen musste nachher die
Tasten mit Spiritus reinigen, denn der grosse
Künstler hatte sich offenbar lange nicht mehr
die Pfoten gewaschen. Und die Stelle, wo
seine Stirne geruht hatte, war auch so leicht
nicht wieder blank zu kriegen, aber mein
Maus’chen behauptete trotz alledem, dass
unser Blüthner sich nur geehrt fühlen könnte
durch die nähere Berührung mit so einem
echten Künstler. Sie meinte, man sähe es
ihm ordentlich an, wie er sich stolz ge-
hoben fühlte, der Flügel, — das heisst —
nach der Reinigung!
Ja, sehen Sie, das ist die Geschichte,
die ich Ihnen erzählen wollte. Sie mögen
mir’s nun glauben oder nicht, sie ist buch-
stäblich wahr und ich spreche noch jetzt
manchmal zu meinem Maus’chen, wenn ich’s
mal ein bischen ärgern will, weil sie so selten
den schönen Flügel benutzt . . . „Nu Mäus-
chen,“ sag ich, „willst Du nicht mal die
Diebsfalle aufklappen?“
892
JUGEND
1897
bin ein Lump“ — und dann legt er die
Stirn auf den schönen blanken Deckel von
unserm Blüthnerflügel und fängt, bei Gott,
zu flennen an.
Nun war ich doch, das können Sie mir
glauben, so erstaunt, dass ich nichts zu sagen
wusste. Ich setze mich also zu meinem
Maus’chen in die Sofaecke und fasse sie
um und sage gar nichts. Ich denke mir:
mal muss er doch zu flennen aufhören und
dann werden wir ja weiter sehen. Und
mein Maus’chen weiss auch nichts zu sagen
. und drückt mir nur immer die Hand, starrt
auf den merkwürdigen Menschen mit den
schwarzen Künstlerlocken und guckt sich
rein die Augen aus dem Kopfe.
Mit einmal habe ich eine gute Idee:
„Maus’chen,“ flüstereich ihr ganz leise in’s
Ohr, „geh’, hole ihm einen Schnaps.“ Na,
das thut nun mein Maus’chen auch, und
wie sie wieder kommt und das Schnapsglas
vor ihn auf den Klavierdeckel stellt, da
hebt der Mensch den Kopf auf und guckt
mein Olgachen an, nvt Augen, sag’ ich
Ihnen, mit Augen — ich weiss nicht, wie
ich mich ausdrücken soll — ich möchte
sagen, mit polnischen, katholischen und
musikalischen Augen. Und dann nimmt er
das Schnapsgläschen zwischen zwei Finger
und sagt: „Merci Panna, prosit!“ und kippt
den Kümmel, haste nicht gesehen, runter.
Und dann legt er los mit seiner Geschichte.
„Oh, ich verdiene nicht,“ sagt er, „ich
bin ein Lump, bitte, lassen mich gefälligst
einsperren, gnädige Herrschaften. Ich werde
nicht davon laufen, ich werde in Gefäng-
niss gehen. Ich bin ein Lump. Es ist nicht
möglich, mich zu verbessern. Ich war ein
Kinstler — ich kann wohl sagen, ein be-
deitender Kinstler. Ich habe Alles durch-
gebracht mit Champagner und Frauenzim-
mer und was dazu gehört — nobbel, hab’
ich gesagt, muss die Welt zu Grunde gehen.
In Warschau und Petterburg und Berlin
und iberall bin ich gewesen und hab’ ge-
spielt in Konzert, nobbel, immer nobbel, bis
ich hab’ alles durchgebracht. Dann hab’
ich nicht mehr können auftreten in nobbler
Gesellschaft, hab ich gespielt in Tingel-
tangel und Schnaps getrunken, weil zum
Champagner kein Geld mehr gehabt habe.
Hab ich gehabt geheirathet Sängerin aus
Tingeltangel; haben wir uns geprigelt alle
Tage, weil ich nicht verdient habe und sie
hat mir nicht Geld gegeben zu versaufen.
Hab ich Unterschrift gefälscht unter Wechsel.
Bin ich in Gefängniss gekommen -— und
dann war ganz aus. Hab ich angefangen
lange Finger zu machen — bin ich ganz
gemeiner Lump geworden. Hab ich ge-
bettelt, gestohlen, dass ich wieder kann in
mein Heimath kommen, nach Pollen zu
mein Mütterchen. Bin ich eingebrochen,
sehr geehrte Herrschaften, bei Ihnen, hab
ich wollen stehlen. Aber, wie ich hab ge-
sehen wunderschöne Blüthnerflügel, hat
mich gepackt die musikalische Leiden-
schaft. Bin ich geworden wie ein Narr,
ganz verrichte. Hab ich viel Jahre nicht
unter die Finger gehabt so schöne, feine,
liebe Instrument.“
Und nu hätten Sie ihn mal sehen sollen,
wie er den wüsten schwarzen Lockenkopf
auf die linke Hand stützte und mit der
Rechten über die Tasten fingerte, als ob er
das Elfenbein zärtlich streicheln wollte. Mein
Maus’chen und ich, wir sassen noch immer
umgefasst in der Sofaecke und sagten gar
keinen Ton. Und, wie der Mann merkte,
dass er nicht gestört wurde, nahm er die
linke Hand auch dazu und spielte so schön,
Italienische LTacht f.:Neumann (acuMcWJ.
dass mir ordentlich Angst und Bange dabei
wurde, obschon ich, wie gesagt, so un-
musikalisch wie ein Kettenhund bin. Und
mein Maus’chen hatte gar die Guckelchen
voll Wasser. Wenn ich nicht dabei gewesen
wäre, ich glaub’ wahrhaftigen Gott, sie wäre
dem schwarzen Muschkilapki um den Hals
gefallen — aber das konnte ich ja natürlich
nicht dulden — besonders, weil wir das
Kleinchen erwarteten, und man weiss doch
nie, was solche Sachen für einen Einfluss
haben. Also, inmitten in der schönsten
Musik führe ich mein Maus’chen ganz sachte
aus der kalten Pracht hinaus und bringe sie
mit sanfter Gewalt wieder in’s Bett. Und
dann warte ich noch so ein halbes Stünd-
chen bis sie richtig eingeschlafen ist, ehe
ich wieder zu meinem Künstler hinunter-
gehe. Ich dachte mir doch, er wird die
Zeit benutzen und wieder durch’s Fenster
verduften, wie er gekommen war. Aber
nein, was glauben Sie? Ist ihm gar nicht
eingefallen! Wie ich hinunterkomme in
die kalte Pracht, ist’s ganz stille da; aber
vor dem Flügel sitzt immer noch mein
Künstler und hat die Arme weit über den
Deckel ausgebreitet, als ob er den Blüthner
umarmen und an sein biederes Lumpenherz
drücken wollte, und die Stirn liegt wieder auf
dem Deckel — und so schläft er ganz fest
— ich hätte bald gesagt: „den Schlaf des
Gerechten.“ Und aussehen that der Kerl
— ich sage Ihnen, nicht mit der Feuer-
zange anzufassen! So habe ich ihn also
auch nicht angefasst und habe ihn ruhig
schlafen lassen. Und dann bin ich hinaus-
gegangen und habe mir den Nachtwächter
gekauft, den Duselkopp, der nichts gehört
und nichts gesehen hatte und dann bin
ich in den Pferdestall, und habe mich mit
meinem Grafen Mikulski besprochen.
Nu, und am andern Morgen, ganz in
der Frühe, sind wir Drei hinein in die „kalte
Pracht“ und da hat mein polnischer Künst-
ler noch fest geschlafen und unsern Blüthner-
flügel umarmt gehalten. Der Mensch that
mir so leid, ich kann’s gar nicht sagen.
Ich bin sonst im Allgemeinen ziemlich höflich
gegen Künstler und solche Leute; aber
wenn sie sich nebenbei vom Einbrechen
ernähren, so muss ich doch sagen, da hört
sich die Gemüthlichkeit schliesslich auf.
Nä, und er hat sich ja auch weiter gar
nicht geziert, sondern sich ruhig festnehmen
lassen. Und dann hab’ ich ihm meine
Equipage zur Verfügung gestellt, um nach
der Kreisstadt zu fahren. Ich habe nie
wieder was von dem merkwürdigen Lumpen
gehört.
Mein Maus’chen musste nachher die
Tasten mit Spiritus reinigen, denn der grosse
Künstler hatte sich offenbar lange nicht mehr
die Pfoten gewaschen. Und die Stelle, wo
seine Stirne geruht hatte, war auch so leicht
nicht wieder blank zu kriegen, aber mein
Maus’chen behauptete trotz alledem, dass
unser Blüthner sich nur geehrt fühlen könnte
durch die nähere Berührung mit so einem
echten Künstler. Sie meinte, man sähe es
ihm ordentlich an, wie er sich stolz ge-
hoben fühlte, der Flügel, — das heisst —
nach der Reinigung!
Ja, sehen Sie, das ist die Geschichte,
die ich Ihnen erzählen wollte. Sie mögen
mir’s nun glauben oder nicht, sie ist buch-
stäblich wahr und ich spreche noch jetzt
manchmal zu meinem Maus’chen, wenn ich’s
mal ein bischen ärgern will, weil sie so selten
den schönen Flügel benutzt . . . „Nu Mäus-
chen,“ sag ich, „willst Du nicht mal die
Diebsfalle aufklappen?“
892