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Nr. 52

JUGEND

1897

Wir setzten uns, so gut cs giug, und begannen
zu schwatzen. Ich sehe mich um. Die Dielen
fallen gegen die Thiirc hin stark ab, das Dach
ist schräg, mit einem Fensterchen darin. An der
Wand hängt ein Chlinder und ein Strohhut,
sonst >var alles kahl an allen bier Wänden.

Da sagt Quisling plötzlich:

„Du bist eigentlich ein merkwürdiger Mensch,
Johann Treu. Wäre es bielleicht möglich, dag
auch Du mir fünf Kronen borgen könntest, wenn
ich Dich darum bäte?"

„Hm! Nein, das kann ich nicht recht," erwidert
Johann daraus. „Das steht jetzt nicht in meiner
Macht. Ich sollte etwas Geld von Hause be-
kommen; aber es ist noch nicht da."

,,Ja, denn in den nächsten Tagen bekomme
ich ja auch Geld," fuhr Quisling fort, „ja, ich
habe Nachricht erhalten, das; etwas für mich an-
kommt, so Last Du es also nicht etwa verlierst."

„Ja, das weist ich ja, aber .... Nein,
leider, im Augenblick thnt es mir leid. Ich
konnte heute, am heiligen Abend, nicht einmal
ein reines Hemd anzichen, nur weil ich meine
Wäsche nicht einlösen konnte," sagt Johann. Und
er zeigt uns, daß sein Hemd schmutzig ist.

Pause.

„So, bei Dir geht es also auch schmal zu?"
wirft Quisling hin, „und >vir Beide hatten auf
Dich unsere Hoffnung gesetzt."

Johann schüttelt nur den Kopf und lächelt.
Ich sagte nichts, ich >var satt und brauchte nichts
mehr. Aber ich lachte ein wenig bei mir im
Stillen, daß Quisling an einem der nächsten
Tage Geld erwarten sollte; von wo in aller Welt
sollte das wohl Herkommen?

„Ja, es ist sa nur einmal int Jahr Weih-
nachten, Johann, Du mußt uns, hol' mich der
Tenscl, doch etwas für heut' Abend vorstrecken,"
sagt Quisling geradezu. „Das Hilst Alles nichts!"

„Nein, ich?" erwidert Johann ganz erschreckt:
„was kann ich Euch vorstrecken?"

Da zeigt Quisling nach der Wand hin, aus
die zwei Hüte, und sagt:

„Ja, wenn Du kein Geld hast, dann mußt
Du uns den Chlinder versetzen lassen."

„Den Cylinder?" Johann springt auf. „Nein,
ich bin doch nicht verrückt."

„Hast Du schon so einen Schweinehund ge-
hört!" ruft Quisling zu mir hinüber und sieht
äußerst erstaunt aus. „Er hat zwei Hüte und
will uns nicht einmal eine» leihen zuin Ver-
setzen !"

„Doch, Du kannst den Strohhut nehmen."

„Ja, den Strohbut, danke bestens. Wieviele
glaubst Du wohl, bah man um diese Zeit für
einen Strohhut bekommt?"

„Nein — nein!"

Pause.

Quisling wiederholt sein Verlangen.

„So etwas Verrücktes Hab' ich doch noch nicht
gehörtj" schreit Johann Treu. „Vielleicht willst
Du haben, daß ich hier um Weihnachten mit
einem Strohhut aus der Straße gehen soll?"

Ich sage noch immer nichts, denn ich sitze da
so satt und behaglich.

Indessen fahren dicBeiden i» ihrcrDebattc fort.

„Wenn wir darüber reden ivollcn: Du sitzest
da ja mit ein Paar funkelnagelneuen Galoschen," -
sagt Johann Treu, „warum versetzt Du die denn
nicht?"

Da zieht Quisling die eine Galosche ab und
streckt den Fuß in die Höhe. Seme Schuhe
zeigten klaffende Löcher, cs >var das reine Elend,
oas sahen >vir alle Drei.

„Findest Du etwa, daß ich die Galoschen ent-
behren kann?" fragt er.

„Nein, nein. Aber in Jesu Namen, was
geht das mich an?"

Quisling steht aus und greift nach dem Ch-
lindcr an der Wand. Das vollzog sich in einer
Sekunde. Aber Johann kam ihm doch zuvor,
er riß den Hut an sich und hielt ihn vorsichtig
weit von sich ab, um ihn nicht zu verbolzen.

„Steh auf!" schrie mir Quisling zu. „Zum
Teufel, nehmen wir ihm doch den Hut fort?'

Ich stand auf. Johann rief drohend:

„Ihr niacht mir nicht meinen Hut kaput, das
sage ich Euch!"

Aber dann muhte er ihn doch hergeben. Es
war eine Kleinigkeit fiir uns, ihn zu überwält-
igcn. Johann's Baucrninstinkt sagte ihm außer-
dem klar, daß der Hut weder für ihn, noch für

Andere etwas werth war, wenn er eingedrückt
würde, darum lieh er ihn schnell los.'

Nein wollte Quisling ihn versetzen und für
das Geld Ehwaaren kaufen. Wenn nur die Lcih-
gcschästc nicht schon geschlossen waren! Als er
zur Thüre hinausging, murmelte er noch: „Hat
man schon je einen solchen Schweinehund ge-
sehen! Ich habe sozusagen Geld aus der Post
liegen, und doch will er mir nicht . . . ."

„Selbst Schweinehund!" entgegnetc ihm Jo-
hann. Und er öffnete die Thüre und schrie ihm
die Treppen hinunter nach: „Du, verlier nicht
den Schein, das sag' ich Dir!"

Johann Treu ivar recht wüthcnd. Eigentlich
sollte er jetzt sortgehen, sagte er. Aber dann
siel ihm ein, daß er doch einen Antheil an der
Mahlzeit haben wollte und retten, >vas gerettet
werden konnte. Er setzte sich und begann zu
überlegen, wie viel Quisling auf den Hut be-
kommen würde, er wurde dabei iviedcr ruhig,
sein Zorn schivand, und er fragte mich sogar,
ob ich glaubte, daß es sechs Kronen für den Hut
geben könnte. Ich hatte mich iviedcr auf den
Boden gesetzt und den Rücken gegen die Wand
gelehnt, cs fehlte nicht viel, so schlief ich ein.

Johann wurde wieder unruhig. Warum kam
Quisling nicht, wo blieb er nur? Er drückte
sich doch wohl nicht mit dem Gelde? Und Johann
öffnete sein Dachscnster, trotz der Kälte, um den
Kopf hinauszustcckcn und die Gasse ein ivcnig
im Auge zu behalten. Wenn er nur auch' so ver-
ständig ist und ein wenig Mettwurst mitbringt!"
murmelte er.

Endlich kam Quisling. Nein, er hatte keine
Mettwurst, er hatte für den Chlinder nur zwei
Kronen bekommen, und die waren für Cognac
d'raufgegangcn. Quisling setzte die Flasche mit
einem Stoh auf den Boden.

„Was ist das fiir eine Art Chlinder, die Du
trägst?" zeterte er. „Zwei Kronen! He, he, zwei
Kronen!"

„Wo hast Du den Schein?" rte|_ Johann
wieder aufgebracht. Und als er den Schein be-
kommen halte, zündete er ein Licht an und unter-
suchte ihn mißtrauisch, ob er auch nicht mehr Geld
aus den Chlinder bekommen hätte

K. Riss.

Ein Weilchen später waren wir Jeder am
Tisch gewesen und hatten ein Gläschen getrunken.
Ich trank ziemlich viel und war sehr gierig, auch
Johann wank viel; es war, als wollte er seinen
Antheil ordentlich bergen. Nur Quisling war
so vorsichtig, sein Glas jedes Mal nur halbvoü
zu gießen.

JLs fit unverschämt, wie ihr saust," sagte er

Der Cognac hatte auch mich wieder belebt,
ich wollte diese Zurechtweisung nicht passiren
Iahen, ich kam mir so stark und energisch vor,
daß ich antivortctc:

„Mißgönnst Du es uns? Höre, Johann, wir
sollen nicht so unverschämt saufen!"

Quisling sah mich an.

„Was fehlt Dir denn?" sagte er.

Johann war recht froh geworden; er trank
noch ein Glas, indem er geltendmachte, daß
der Cognac eigentlich ifini gehörte, und wurde
immer lustiger. Ein Weilchen später fragte er
wieder nach Mettwurst. Quisling füllte auch
mein Glas und brachte es mir hinüber, weil
ich am Boden saß; aber ich nahm es nicht an.

„Du bist doch wohl nicht beleidigt?" fragte
Quisling und sah mich wieder aufmerksam an.

Ich erwiderte, er sollte sich um mich keine
Sorgen machen, ich würde ihm seinen Cognac
gewiß nicht austrinkcn. Wenn er nichts dagegen
hätte, könnte ich ja hier sitzen bleiben, wo ich
säße. Aber ich könnte auch ebenso gut gehen.

Pause. Quisling starrte mich unbeweglich an.

„Wenn Du zurechnungsfähig wärest, würde
ich Dir eins hinter die Ohren geben, verstehst
Du. Aber, Du armer Mensch, bist ja nicht zu-
rechnungsfähig," sagte er und ging von mir svrt.

„Du glaubst vielleicht, ich bin betrunken?"
rief ich.

„Nein, betrunken? Du hast aber vorläufig
genug!"

Ich blieb sitzen, um darüber uachzudenken,
und währenddessen machte sich Johann beim
Cognac zu schaffen. Nun >var es mit ihm schon
ziemlich iveit gekommen, er summte und schwatzte
mit sich selbst.

„Beleidigt?" sagteer, „wer ist beleidigt? Ich
meine, ihr spracht von Jemand, der beleidigt
wäre?" Er konnte auch die Mettwurst nicht ver-
gessen und sagte geradezu, er hätte noch von
keinem Weihnachten ohne Mettwurst gehört.
Plötzlich schlug er vor, wir sollten etwas singen.
Johann und Quisling intonirten: „Wenn die
Abendsonne lacht."

„Ächrsfimimg!" rief Johann.

Und sie sangen es noch eiir Mal, „mehr-
stimmig.''

Ich hörte zu, aber sie waren noch nicht über
den ersten Vers hinaus, so erhob ich mich und
trat hervor, tiese Rührung hatte mich ergriffen;
ich erfahte Quislings Hand und stammelte etwas.

„Es ist schon gut," sagte Quisling. Und als
er sagte, es wäre gut, setzte ich mich wieder.

Johann stimmte ein neues Lied an, ein
schwedisches Lied. „Hört, geht und besorgt etwas
Mettwurst," sagte er dann abermals.

„Ja, gieb nur Geld," erwiderte Quisling.
„Ich lveiß, Du hast Gelb, mich machst Du nicht
zum Narren!"

Johannes Treu's Miene veränderte sich plötz-
lich, er setzte sich oben auf den Bcttrand und
unterdrückte seinen Rausch, so gut er konnte. Der
Bauer erwachte wieder in ihm, vorsichtig faßte
er nach der Brusttasche und sagte mit bcr schlauen
Dummheit eines betrunkenen Menschen:

„So, Du weiht, dah ich Geld habe? Wer
hat Dir das erzählt? Du kannst mich ganz durch-
suchen — ich konnte heute ja nicht einmal, meine
Wäsche einlösen."

„Nein, natürlich/' sagte Quisling, „es war ja
auch nur Scherz. Dir geht es gerade so elend,
wie uns."

„Ja, Du hast ja so recht!"

„Kein Mensch wird einen Kerl, der in solch
einem Loche wohnt, in Verdacht haben, Geldmann
zu sein," fuhr Quisling fort.

„Ach, was das anbelangt, so . . . ."

„Nein, damit kommst Du nicht weiter. Ein
Mann, bei dem nicht einmal ein Schtvcin logieren
möchte, ist natürlich ein armer Teufel, gerade
wie wir, ein reiner Lump. Selbstredend ist cs
keine Schande, einen zwei Kroncn-Cylinder zu
tragen, lvcnn man dazu gezwungen ist."

„Dazu gezwungen?" ruft Johann. „O, das
ist noch nicht gesagt, daß ich . . . ."

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Karl Riss: Kleine Zeichnung
 
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