Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1897

JUGEND

Nr. 52

E. ‘Barlach (.Friedrichroda).

Er sprang vom Stuhl aus, all' seine Vorsicht
verlieh ihn, er gab seiner Empörung nach, schlug
auf den Tisch und nannte sich den jungen Sohn
des reichen Treu, den Treuer Jungen. Er riß
sein Porlcscuille aus der Rocktasche hervor, hielt
es Quisling dicht unter die Nase und rief:

„Siehst Du das hier? Ich frage, ob Du
es sichst?"

Quisling sah sehr verwundert aus und ivich
zurück.

„Ja, das ist der Sohn vom reichen Treu!"
sagte Johann; „aber man hätt' es doch nicht
glauben sollen, was? Du hast mich nicht dafür
angesehen?"

„Nein," sagte Quisling und schüttelte, wie
geschlagen, den Kopf.

Johann bekam immer mehr Blut auf den
Zahn, er genoß mit Entzücken die Verblüfftheit
Quisling's und ging weiter und weiter in seiner
Prahlerei. Er blies sich geradezu auf, stellte sich auf
die Zehenspitzen und schrie, und er kam hinüber
und hielt auch mir die Brieftasche unter die Nase.

„Aber eine leere Brieftasche imponirt mir nun
auch nicht," sagte Quisling herausfordernd.

„Eine leere —? He, Du Dackel!" Johann be-
gann Geldscheine hervorzuziehen und fächelte mit
all' seinem Geld in der Faust und verfolgte
Quisling in alle Ecken der Kammer, indem er
ihm mit den Scheinen auf den Leib nickte. Ob
er das eine leere Brieftasche nennen wollte?
He—he—he! Ja, er mühte ihn schon fragen, da
er ja so einfältig wäre.

Seine Prahlerei wollte gar kein Ende nehmen,
er setzte sich, leerte die Flasche bis zur Neige und
fuhr fort, großzuthun.

Quisling sagte endlich: „Ja, das habe ich ja
die ganze Zeit gesagt, daß Du ein merkwürdiger
Kerl bist, Johann Treu! Na, wie steht cs denn
nun mit den fünf Kronen? Run ist die Mahl-
zeit zu Ende, und es ist doch noch immer Weih-
nachtsabend."

„Ab er,"sagte Johann, als wenn er ununter-
brochen seine Rede forlsetzte und Qnisling's Worte
nicht gehört hätte, — „aber — mein Geld habe
ich Euch jetzt nicht gezeigt, um es Euch zu leihen.
Da täuscht Ihr Euch gründlich."

Und als Quisling wieder begann, ihn mit
den schlimmsten Schimpfworten, die ihm eiusieleu,
zu überhäufen, sah Johann ein, daß er ctivas
thun müßte, er unterbrach Quisling also und

fuhr fort: „Denn so lange ihr meine Gäste seid,
braucht Ihr Erich kein Geld zu borgen, um etwas
für das Haus zu kaufen. Das wird der junge
Treu selbst besorgen, die Zeche bezahle ich."

„Bravo!" rief Quisling vergnügt.

Und durch dieses Bravo wurde Johanucs Treu
noch mehr angestachclt, er erhob sich, faßte in
die Westentasche und zog ein Fftnslronenstück
hervor, das er für Quisling auf den Tisch warf,
so daß es klirrte, und sagte:

„Ich ermächtige Dich m meinem Namen, die
beiden längsten Mettwürste zu kaufen, die Du
bekonrmen kannst, und eine neue Flasche Cognac.
Da sind fünf Kronen, hast Du nicht Geld gcirug,
so sag's, hier auf meiner Brust gibt's mehr!
Denn hier siehst Du den Sohn des reichen Treu
in höchsteigener Person, wenn Du ihn noch nicht
gesehen haben solltest!"

Quisling riß sich schließlich los und eilte
davon. Johann rief ihm noch nach:

„Sieh zu, das; man Dir richtig hcrausgibt.
Denn Du bekommst viel zurück."

Einige Minuten vergingen, ganze zehn Mi-
nuten vergingen, Johann redete unaufhörlich,
und ich wurde so schläfrig davon. Vier Mal
setzte er sich neben mich auf den Boden und
sprach; aber er hatte keine Ruhe und stand immer
wieder auf. Er sang auch.

Wir hörten Schritte auf der Treppe, langsame
Schritte. Johann lächelte.

„Hörst Du, er hat schwer zu tragen," sagte
er und streckte grinsend die Zniige aus.

Aber Quisling batte nicht schiver zu tragen,
er trug gar nichts, die Läden Ivarcu geschlossen,
als er hinunterkam. Quisling fluchte ioüthcnd
auf alle Händler der Stadt.

Johann war der Einzige, der doch ganz ver-
gnügt war; es war kein Zweifel, er freute sich
im Stillen und fragte sogleich nach dem Gelbe.
Auch er schalt heftig auf die Händler; aber
konnte man ihm einen Vorwurf machen? Hatte
er uns nicht frcihalten wollen? Ja, er hätte sogar
daran gedacht, Quisling mit noch einem Fünf-
kroncn-Stück nnchzulaufen, das nur zur Bewirth-
ung für uns dienen sollte. Denn es käme ihm
nicht auf ein paar Heller an ... .

Das Licht war herab gebrannt, es war spät
am Abend. Johann begann zu gähnen und
wollte zu Bett gehen. Quisling saß ganz füll,
er dachte über etwas nach. Er wußte immer so

viele Ausivegc. „Daun müssen ivir ivohl gehen,"
sagte er zu mir, „nach Hause gehen und uns zu
Bett legen, dann vergessen wir vielleicht, daß
heute Weihnachten war."

Und er drehte sich nach Johann Treu herum
und sagte ihm gute Nacht. „Wir hätten an einem
solchen Abend richtig zusammenhaltcii sollen, ivir
drei!" sagte er. „Ja, denn Johann könnte doch
wohl nicht mitgehen!"

Er könnte nicht

Nein, könnte er denn mit dem Strohhnt aus
die Straße hinaus?

Ach ja, das könnte er schon.

Und Johann setzte seinen Strohhut auf und
schivankte voran, die Treppen hinab.

Als wir auf die Sttahe hinuiitergekommen
waren, schlug Quisling den Weg zun; Cafe
„Katakombeii" ein, Johann's Strohhnt leuchtete
wie ein Glorienschein auf seinem wackelnden Kopse,
und er niußte ihn sesthalten, wenn der Wind daher-
kam. Quisling ging voran, bis wir zu den
„Katakomben" gekommen waren. Hier blieb er
stehen.

„Nein, das geht nicht, Johannes Treu,"
sagte er. „Die Leute glotzen Dich au und sagen,
Du wärest ein Narr, der im Strohhut den Weih-
nachtsmann macht. Das kannst Du Dir nicht
gefallen lassen."

Johann suhr wieder zusammen.

„Wer sagt, daß ich ein Narr bin?" schrie
er und war bereit, auf den ersten Besten los-
zugehen. Wieder flammte er aus, er ging uu-
nöthig nahe zur Thürlaternc hin, bannt die
Leute recht seinen Strohhut sehen sollten, er
nahm ihn ab, nur um ihn hernmzuschwingen,
setzte ihn in den Nacken zurück und sagte, er
schivitze, es Iväre so lvarnl, und er möchte über-
haupt denjenigen sehen, der es wagte, den Sohn
des reichen Treu anzuglotzen.

Als Quisling ihn so weit gebracht hatte, ivar
es nicht sehr schiver, ihn auch in die „Katakom-
ben" hineinzubekvmmen, wo dann Johann Treu
doch seine fiins Kronen springen lieg.

Und cs zeigte sich, daß Quisling den ganze»
Tag gar nichts gegessen hatte, obschvu er mir
eine reichliche Mahlzeit spendete.

Dann begann ein anderer Kamerad zu er-
zählen.

899

(Deutsch von E. Brausewetter.I
Register
Ernst Barlach: Jungens vom andern Dorfe
 
Annotationen