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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 2 (8. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3337#0035

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Nr. 2

1898

• JUGEND -

Einer, der keinen Euren raucht.

Julius Diez (München).

Studienkopf

Von Ludwig Fulda

Vas sitzt dort und gleisset von üppigem Cand,
Mi perlenverziereterri tjusei}?

Cs ist eine i)ame von grossem Verstand,

Gefeiert als freundin der fviuseg.

Sie spricht über das, und sie redet von den;,
Önd lockige Jünglinge lauschen,

Indessen nach wohlüberlegtem System
J)ie seid'nen Gewänder ihr rauschen.

Sie spricht von dem pinselgewaltigen ;Mann,
per gestern mit fröhlichem fvluthe
Cin langes Menu, das sie selber ersann,
pei ihr zu verspeisen geruhte.

Sie spricht von dem pichter, der beifaltumtobt
pes Helikons Gipfel erklommen,

Önd zeigt ein piltetchen, worin er gelobt,

2um morgigen frühstück zu kommen.

Sie redet sodann von dem neuesten Stern,
pen eben die Leitungen buchen,

Önd dass er geäussert zu mehreren Herrn,

Cr werde sie nächstens besuchen.

So reiht sie und füget die glänzende Schnur;

Cs fehlt kein erlauchtester J'fame,

b;ein perlchen, von dessen Calent man erfuhr,

Jm funkelgeschmeide der pame.

pie Jünglinge schütteln das lockige Haupt
)kts höchster pewunderung Reichen;

Sie hätten es nimmer gedacht und geglaubt,

Man könne so Grosses erreichen,
penn jeglicher Heros und jeder Gigant,

Vor dem man in Chrfurcht versteinert,

Cr zeigt sich in dieser geschmeidigen Hand
Zum niedlichen Spielzeug verkleinert.

pie Jünglinge suchen in schlafloser flacht
pie Zaub'rin umsonst zu vergessen:
fkch, hätten sie selber so weit es gebracht,
pei ihr sich unsterblich zu essen!

)\n wen die bedeutsame Xadung ergeht
Zu dieser geheiligten Stätte,
per findet das amtliche puhmesdekret
Gleich unter der weissen Serviette.

Ueber die ärztlichen Zustände
auf der Insel Humbugia

Fragment aus einer grösseren Reisebeschreibung
Von Walter Wock.

Auf der im vorigen Kapitel beschriebenen
Besteigung des höchsten Gipfels dieses
merkwürdigen Landes, des Berges „Gibtsnich“
hatte ich mir eine Wunde am Ringfinger zu-

gezogen. Da der Finger immer mehr an-
schwoll, sah ich mich veranlasst, einen Arzt
zu konsultiren. Dies gab mir Gelegenheit,
auch in den Zustand der Heilkunde jenes selt-
samen Landes, welches gewissermassen eine
Verschmelzung höchster mitteleuropäischer
Cultur mit feuerländischer Barbarei aufweist,
ein wenig einzudringen.

Seit langer Zeit besteht in diesem fernen
Lande ein Gesetz, welches die Aerzte unter
die Gewerbetreibenden einreiht. Daher wird
dort die Heilkunde nicht als Kunst, sondern
als Geschäft betrieben, und da dies bei uns
so ganz anders ist, war ich im höchsten Grade
gespannt, einiges von diesen Gebräuchen kennen
zu lernen. —

Schon die Inschrift auf dem Hause des
Doktors war überraschend : „Magasin de Chirur-
gie et d’öpilepsie. English spoken. Man spricht
deutsch.“

In den Schaufenstern (denn was ich von
weitem für den Laden eines Metzgers gehalten
hatte, waren die Schaufenster des chirurgischen
Magazins) hingen in reichlicher Auswahl am-
putirte Beine, Arme, Nasen und ähnliche Gegen-
stände. Jedes Stück trug einen Zettel mit dem
Preise der Operation und dem Namen des
Operirten. — —

Ein reizendes kleines Hühnerauge baumelte
an einem blauen Bändchen von der Decke
herunter und trug als Aufschrift: „Mademoi-
selle la princesse d’Himalayaü — Prix de
l’opöration: 20 Pfg. — -- —

Der mitteleuropäische Culturmensch wird
mir Dank wissen, wenn ich nicht näher auf
die Details in diesen Schaufenstern eingehe,
sondern in meiner Schilderung weiterfahre;
als charakteristisch erwähne ich nur noch, dass
die eingeborenen Insulaner und Insulanerinnen
mit ebensogrosser Gleichgiltigkeit an diesen
seltsamen Handelsartikeln vorbeigingen, wie
an den übrigen Läden auch. Unter dem lange

wirkenden Einfluss jenes Gesetzes haben sie
sich vollkommen daran gewöhnt, dass mit ihren
Krankheiten Geschäfte gemacht werden. Merk-
würdige Menschen, diese Insulaner! Ich trat
also in das Innere des Magasin de Chirurgie
et d’öpilepsie ein. Ein Ladentisch, mit allerlei
Emblemen, Instrumenten und Papieren ge-
schmückt, nahm die Mitte ein und dahinter
stand ein weissbärtiger alter Herr in tadellosem
schwarzem Gehrock. Er verneigte sich höflich
und fragte: „Sie wünschen?“

Ich deutete mit schmerzerfüllter Miene auf
die Eiterbeule an meinem Finger.

„Schreiben Sie!“ rief der ehrwürdige alte
Herr einem hinter ihm sitzenden Schreiber zu :
„Offerte cc. 2 gr. netto pus bonum et laudabile.
Bezug ohne Verpackung direkt vom Produ-
zenten.“ — „Es kostet mich selbst 30 Pfg.“,
meinte er sodann, zu mir gewendet; „allein
Ihnen persönlich würde ich 25 Pfg. berechnen.
Sind Sie einverstanden?“ Ich bot nun 20 Pfg.,
indem ich mich auf das Hühnerauge der prin-
cesse d’Himalaya bezog; nach langem Handeln
einigten wir uns auf 21 Pfg. „Schreiben Sie,“
rief nun wieder der alte Herr, „cc. zwei Gramm
pus bonum et laudabile ä 10,5 Pfg., Summa
21 Pfg., zahlbar per Cassa oder in Raten.
Haben Sie’s? So, nun können wir’s machen.“
Ohne sich oder mir die Hände zu waschen,
zog der ehrwürdige alte Herr eine rostige
Lanzenspitze unter dem Ladentisch hervor und
stach, ehe ich ihn daran hindern konnte, mit
affenartiger Behendigkeit nach meiner Hand,
traf aber zum Glück nur den kleinen Finger.
Hierauf verneigte ich mich höflich, legte 21 Pfg-
auf den Tisch und verliess das Lokal, ohne
umzusehen. Draussen grösste mich ein Herr,
der die ganze Zeit durch die Schaufenster in
den Laden gespäht hatte, sehr höflich und
fragte, was ich für die Operation bezahlt hätte.
Ich sagte: „21 Pfg.“ Darauf stellte er sich
als Chirurg vor und sagte, dass er dieselbe
Operation für nur 20 Pfg. machen würde.
Ich dankte ihm bestens für diese Mittheilung
und ging in mein Hotel, wo ich nun beide
Finger selbst behandelte. Der Ringfinger heilte
sehr bald, aber der kleine Finger, in den mich
der alte Herr für 21 Pfg. gestochen hatte, heilte
erst nach mehreren Monaten. —

Ich hatte mir schon nach diesem ersten
Besuch bei einem eingeborenen Arzte die Ueber-
zeugung gebildet, dass die Ausübung der Heil-
kunde als Gewerbe zu allerlei Uebelständen
führen müsse; indessen wollte ich doch noch
einige weitere Erfahrungen sammeln, weil gerade
in diesem Punkte die Gebräuche dieser Insu-
laner so sehr von den unsrigen abweichen-
Von der Chirurgie glaubte ich mich aber fern-
halten zu müssen; daher eignete ich mir Magen-
schmerzen an und suchte einen Arzt für innere
Krankheiten auf, dessen Schaufenster mir in
der Hauptstrasse schon aufgefallen war. Es
enthielt einen mit Röntgenstrahlen durchleuchte-
ten Hofopernsänger und eine Unzahl farbiger
Gläschen.

J
Register
Julius Diez: Einer, der keinen Guten raucht
Fritz Erler: Kleine Zeichnung
Ludwig Anton Salomon Fulda: Studienkopf
Walter Wock: Über die ärztlichen Zustände auf der Insel Humbugia
 
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