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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 4 (22. Januar)
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Nr. 4

JUGEND

1898

Julius Diez (München).

KathSherrntochter

Von Elsbeth Meyer-Förster

Liebster! Ich liebe Dich, glühender wie Dich
die Sonne liebt! Ich küsse Dich viel heißer. Du
kennst mich gar nicht, und Du liebst mich nicht,
aber ich liebe Dich, meine Seele zittert wie ein
Kind, das auf der Straße irrt. Ich liebe Dich,
obgleich ich Dich nicht kenne; ich liebe Deinen
Mund, und möchte mich festsaugen an ihm, und
ihn küssen und Dir danken. Du bist der Einzige,
vielleicht nur für einen Traum von wenigen
Nächten; aber Du bist der Einzige.

Ich möchte mich um Dich hängen >vie wilder
Wein, wie duftendes Heu. Ich möchte Dich lieben,
lvie die lustigen Mädchen ihre Männer lieben,
mit Gluth, mit Freude, mit Schmerz -—-. Und
Du bist so kühl wie Mondnacht, und so stumm
>vie ein Stummer. Du sagst kein Wort, und ich
sage Alles, ich sage mehr — ich schäme mich nicht
— ich sinke so tief — aber in ein grünes, wunder-
volles Meer, in dem alles Lieben und Schweigen
ist. Was bist Du mir, nichts, nichts — nur ein
Traum, in dem ich hange und bange, und doch
bist Du Alles — und doch wird vielleicht am
ersten Kuß alles zerfliegen, vergehen — Du kennst
mich gar nicht, und Du magst mich nicht, sonst
müßtest Du fühlen, daß ich Dich lvill, Du müß-
test es fühlen, so tief, daß Du keine Ruhe hättest,
und kämest und sagtest: „Komm'!"

Es ist Nacht, und mein Herz schlägt wärmer
als alle Herzen, lauter als alle Herzen; es ist,
als drängte der Frühling gegen mein Herz,
und die Nacht ist so warm, und doch ist es Herbst
und wird Winter. O liebe Welt, liebe Liebe, in
dich hinein wie in eine grüne Fiuth, bedecke mich,
ersticke mich, flüstere und rausche!

Nichts als Liebe, Küsse, ewige Küsse rauschen
durch die Nacht, ich möchte leben und nicht schlafen,
träumen und nicht leben. Goldene Jugend, ich
halte Dich noch, Du bist das Süße, das Reiche
auf der Welt, ich bin eine Riesin, denn ich halte
Dich! Ich sehe Alles in der dunklen Nacht, alle
Menschen, die sich umschlungen halten und sich
im tiefen Dunklen in die Augen blicken. Und sie
seufzen vor Glück.-

Sechsundzwanzig Jahre bin ich geworden
in dieser kleinen Stadt. Auf meiner Stirn muß
ein Krönchen von Moos sein, lvie auf unseren
Dächern und Pflastersteinen, mr denen nie eine
Veränderung rüttelt. Rathstochtcr bin ich ge-
wesen, sechsundzwanzig Jahre, und alte, steinerne
Rathsväter habxn mich großgezogen. Mein
Vater, mein Großvater, mein Oheim, sie ragen
in mein Leben lvie unverrückbare Ruinen. Das
Meer der Tage kommt, und lvirst seine Wellen
gegen sie an, heult gegen sie auf, aber sie rücken
und rühren sich nicht. Mitten im Aufruhr der
neuen Zeit stehen sie fest, Felsblöcke im Meer,
keine Welle spült auch nur einen Quader von
ihnen fort. So starrten sie mich an, sechsund-

zwanzig Jahre, und weichen nicht vom Flecke,
und in hundert Jahren stehen sie noch da.

Da kamst Du in unsere Stadt wie ein Sonnen-
gott. Deine Worte stürzten nieder über die
Philisterhäuser und zündeten alle Dächer an.
Die Stadt brannte lichterloh und zischte auf gegen
Dich, wie eine Raketengarbe, die gegen die Wolken
fährt. Und durch den Schein sah ich Dein lächeln-
des Gesicht. Du sahst im Vorübergehn hin zu
mir, Verachtung und Kälte im Blick und dachtest:
„Rathsherrntochter!!"

Aber ich bin cs nicht, nein, sieh mich doch
an, ich reiße allen Plunder von mir ab. Ich
renne gegen den moosbewachsenen Mauernring,
der mein Elternhaus umgibt, und ich lause hin-
aus zu Dir auf offene Straße!-

Ist das eine weite, schöne, hoffnungsvolle
Nacht! Ich liebe, — ist das nicht reich, bin ich
nicht Königin? Dieser Strom von Leben, der
durch die Adern braust, er reißt mich um, lvie
Sturzwellen. Eine große, rvthe Kirche steht vor
meinen Fenstern, darüber hängt der Mond. In
ihr ist Liebe ulid Glaube und Hoffnung begraben,
aber nicht so reich wie in mir!! Der, den ich
liebe, küßt mich nicht, aber ich küsse ihn und
mein junges Leben freut sich und jubelt. Also
bin ich noch nicht todt, mein Herz ist noch nicht
eingebettet in ein zu enges Grab, ich darf meine
Arme nusstrecken und den Geliebten an meine
Brust ziehen.-

Ich wage nicht Dich anzuschauen, nur Deinen
Mund weiß ich, der ist sein und stunnn, lvie ein
verschlossener Fraucnmund. Ich habe ihn an-
gesehn, gestern als Du sprachst — ich sagte wirres
Zeug, dnmmcS Zeug, wie alle Weiber, die in
den Tag hinein tfinten, bimmeln und läuten,
um die süße, selige Stimme aus tiesstem Herzens-
grund nieder zu läuten.

Aber vielleicht bist Du kalt lvie Erz, und ohne
Empfindung lvie ein Stein. Und weißt gar nicht
lvie schön die Welt ist. Und lvenn man Dich
geküßt hat, ist alles kalt, nnb man geht wieder
ruhig und stumm seines Weges.-

Endlich, endlich hast Du lliich bemerkt! Ja,
Du hast mich angesehen, aus der Straße, im
Vvrübergehen, lvie ein Pfeil flog Dein Blick in
meine Augen, mein Herz blieb stehn. Als Du
vorüber lvarst, wandtest Du Dich um, und ich
sah Dir mit starren Blicken gleichfalls nach. Eine
Weile stailden wir, nnb starrten uns an, mitten
in der Einsamkeit des Marktplatzes, vor tausend
Fensteraugen. Die Meßglockcn dröhnten über
uns, zu unseren Füßen lag der erste, srischge-
fallene Schnee.

Wie hast Du mich angesehen — wie noch
nie eill Mensch cmf Erden. In Deinen Augen
lag ein einziges Wort: „Hierher! Zu mir!!"
Und ich sagte: „Ja! Ewiges Ja!!" Dann gingst
Du weiter. Und ich trat in's Haus.

lieber dem Spitzbogengiebel llnseres Erkers
liegt die Sonne. Sieh den Hausrath an, gelbes

Messing und schwere Schlösser an schwarzgedun-
keltcll Schränken, Leberblümchen zwischen dem
Fenstcrmoos, mit trüben ausgewaschene» Augen,
Du hörst keinen Ton in unserem Hause, über
den Dielen liegt knisternder Sand, aus den tiefen
Ofenröhren duftct's nach Maltheseräpfeln. lieber
den verschneiten Marktplatz gleitet die Sonne wie
eine huschende Hand, fährt in die hölzernen
Schnörkel unter dem Fenstersims, und bohrt an
dem vielhundertjährigen Staub — —

Aber Nachts, heute Nacht kommt der Früh-
lingswind I! Beben und Krachen wird das alte
Hans in allen Fugen, der schwarze Giebel soll
sich niederneigen, und die Geister der Rathsfrauen
mit den goldenen, harten Ketten über den harten,
kalten Herzen sollen wehklagend durch die Kam-
mern irren. Beben soll alles, was felsenfest stand,
in die Chronik des Hauses ein Feuer fahren, sil-
berne baumelnde Engel sollen ihre Maienköpschen
gegen die schwarzen Deckenbalken stoßen. Feuer soll
der Windstoß in den tiefen Rathsherrnkeller jagen,
daß die Reifenfässer erplodiren, gelber und rokher
Wein, und der Jubiläums-Muskateller wie ein
Springbrunnen gegen die Decke spritzt, und die
glühenden Farben der Flammen von Feuer und
Wein einen Widerschein auf die Honoratiorcn-
fenster lverfen. Tanzen, taumeln, prasseln soll
das ganze Hans, sich öffnen im ersten Liebes-
rausch nnb mit den geheiligten Armen nach dem
Himmel langen! Rathstochter wird ein Menschen-
kind, Rathstochter geht aus die offene Straße hin-
aus, bei Schnee und bei Nacht in die Vorstadt hin-
aus, wo die Armen lvohncn und die hungernden
Studenten. — Rathstochter geht zur Liebe.-

Ich habe gefiebert, — sechs, acht Wochen lang.

In diesem Fieber ging ich eines Nachts aus
die Straße hinaus. Zum ersten Mal ging ich
allein bei Nacht, ich war von einem Glück be-
seelt, in meinem Kopf brannten jubelnde Flämin
chen und wie die Blinden sah ich tief in meinem
Inneren die unvergängliche Sonne.

Vor dem kleinen Borstadthause blieb ich stehen
und starrte auf die zivei niedrigen Fenster. Da
begann mein Herz zu schlagen und zu rasen, ich
lvollte gegen die Scheiben klopfen und vermochte
es nicht, ich drückte mich in die Hausthür und
lvartete und lauschte in die athemlose Stille.

Plötzlich that sich das eine der Fenster auf

Ein Mann erschien tind mit beiden Armen
hob er ein Mädchen aus dem niedrigen Fenster
heraus. Sie lachte leise und fröhlich aus.

Es war Margot, ein Vorstadtmädchen, ein
verwildertes Geschöpf, das in der Stadt die
Wäsche ansträgt.

Sie wandte sich noch einmal zu ihm unt
Ihr lachendes Gesicht lvar dem Mond zngekchrt
und er riß es noch einmal zurück, und küßte es
laut und stürmisch, daß sie aufschrie vor Schmerz.

Dann ging ich in's RathShcrrnhaus zurück

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Register
Julius Diez: Zierleiste
Elsbeth Meyer-Förster geb. Blaschke: Ratsherrntochter
 
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