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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 8 (19. Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3337#0134

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1898

JUGEND

Nr. 8

Die vier Cardinaltugenclen

Burne Jones.

Panen und Nymphen schon manches Hübsche
gemacht wird. Letztere hat man in Berlin W.
gerne sehr stark dekolletirt, während in Be-
amten- und Adelskreisen die hochgeschlossene
Kunst von allen denen bevorzugt wird, die
noch auf Reputation und Seelenheil halten. In
der Landschaft haben die farbigen Stoffe, wie
Abendbeleuchtungen, Morgenrüthen, „Blaue
Grotte“ u. s. w. wieder über die Neigung zu
grauen Stimmungen, einer Richtung, die man
vielleicht ihrer reichen Farblosigkeit wegen als
Lodenmalerei bezeichnen könnte, den Sieg da-
von getragen. Man hat die dicken, pastosen
Farben nicht mehr so viel, wie in den letzten
Jahren und zieht vielfach glatten, seidenartigen
Farbenauftrag mit hübschen Detailverzierungen
in Baumschlag und wirksamer Applikations-
staffage vor.

Die dekorative Kunst hat vollständig
neue Bahnen eingeschlagen; sie steht jetzt so-
zusagen im Zeichen des „bewegten Bandwurms“.
Undeflnirbare Gegenstände in kühnen, pitto-
resken Schwingungen, Schnecken, Schnörkeln
und Spiralen zieren alle erdenklichen Gegen-
stände in Holzbrand, Intarsia, Zuckerguss und
weiblichen Handarbeiten. Die Sachen sehen
hübsch aus und Kosten wenig. Ich sende Ihnen

die Zeichnung zu einer Thürfüllung (Wand-
teppich, Tischplatte, Handschuhkastendeckel,
Lineal, Zierleiste, Bügelbrett etc.) mit dem Motiv
„Hose im Sturmwind“. Eine Vignette in
Klecksographie wird Sie nicht minder inte-

Vignette in Klecksographie

ressiren. Heberhaupt herrscht auf diesem Ge-
biete eine starke Vorliebe für das Naive, Primi-
tive, ja geradezu Unbewusste. Radikale Führer
dieser Bewegung zeichnen jetzt ihre Motive, um
alles Absichtliche und Gekünstelte zu vermei-
den, nur mehr mit verbundenen Augen oder
mit der linken Hand, oder nach einem starken
Katerfrühstück und erzielen dabei Motive von
hinreissender Unverständlichkeit.

Um von der Plastik zu sprechen — man
sieht jetzt im Garneval namentlich sehr viele
hübsche Büsten von berückender Formgebung,
hie und da durch leichte Abtönung stark im
Reiz gehoben. Die Gesichter sind oft stark
polychrom behandelt, das Ganze durch die An-
wendung von Metall und Steinen im Effekt
gesteigert. Grossartigere Aufgaben werden bis-
her immer noch ausschliesslich der mit den
höchsten Auszeichnungen oft prämiirten Firma
Begas übergeben, einem Atelier, in dem stets
hunderte von allegorischen Frauenzimmern mit
der Darstellung aller erdenklichen Begriffe be-
schäftigt sind. Eine kolossale Arbeit, die eben
in dem genannten Etablissement fertiggestellt
wird, ist ein Denkmal für Brockhaus, den
Begründer des deutschen Konversationslexikons.
Sein Grundriss hat die Gestalt eines Sterns

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Julius Diez: Die vier Cardinaltugenden
[nicht signierter Beitrag]: Vignette in Klecksographie
 
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