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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 21 (21. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3337#0352

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1898

JUGEND

Nr. 21

Julius Diez (München).

Der Andere schwor bei Himmel und Erde,
daß er das nicht thue.

Da füllte der Erste wieder das Glas und
begann dann abermals zu bitten und zu betteln.

' Der Andere erklärte, er thue cs doch nicht,
aber dann goß der Erste noch zwei Gläser ein
und sagte, cs wäre ein Freundesdienst ohne
jedes Risiko.

Der Andere versicherte, er habe seiner Frau
gelobt, niemals quer auf ein Papier zu schreiben.

Der Erste goß wieder ein und sagte, er
wäre ihm auch schon dankbar, wenn er auf das
Papier nur der Länge nach seinen Namen setzte.

Sie brummten und knurrten noch eine
Iveile. Als aber die Flasche leer war, war
auch der Name der Länge nach auf ein Papier
und quer auf ein anderes geschrieben, so daß
der heimische Lognak doch wohl nicht so elend
sein kann, wie man immer sagt, mindestens
dann nicht, wenn die Trinkenden glauben, daß
es echter Martell sei.

Aber warum er so kläglich um den Namen
bat, das zu begreifen, bin ich nicht Pfropfen
genug, denn einmal war ich mit meiner Flasche
oben in einem Fremdenzimmer der „Traube"
und da wohnte ein junger Herr, der mit solch
einem länglichen Papier vor sich dasaß und
seufzte und schwitzte. Aber als er die Flasche
geleert, schrieb er selbst drei Namen darauf,
und das schien mir ganz einfach zu sein.

In der „Traube" gibt es neben der Küche
einen Raum, den Lotto die „Kinderstube" nennt,
weil die Gymnasiasten, die nach dem Schul-
gesetz keine Kneipe besuchen dürfen, sich dort
zu verstecken pflegen, wenn sie sich ein wenig

anheitern wollen. Einmal war ich in Ge-
sellschaft von vier punschflaschen dort drinnen.
Erst saßen die Jungen schüchtern und ängst-
lich und still, wie die Mäuse; aber als sie
gingen, war nicht sonderlich viel von der Ehre
und dom Ruf des Lehrercorps übrig, und
sämmtliche Jungen hatten beschlossen, hier in
der Welt etwas Feines und Großes zu werden,
und alle diejenigen zu zerschmettern, die dem
Gymnasiasten nicht gebührende Achtung zollten.

Im Allgemeinen ist es furchtbar, wie der
Muth wächst und welche großen, kecken und
wichtigen Beschlüsse in der „Goldenen Traube"
gefaßt werden. Ich denke mir so manchmal, wie
viele von ihnen wohl zur Ausführung kommen
mögen? Allzuviel sind es wohl nicht, denn
wäre es auch nur die Hälfte, so müßte Kräh-
winkel längst die Hauptstadt der Welt sein. —
' vorigen Monat rechnete Lotte und der
wirth aus, daß sie wohl im Laufe des winters
300 Flaschen echten Martoll verkaufen würden
und dazu mindestens zehn Flaschen kaufen
müßten. Die neuen trafen in der vorigen
Woche ein, und an. Tage darauf wurde ich
fortgeworfon. Ein Junge fand mich und hielt
mich für feine Lnftbüchse geeignet. Ihm habe
ich cs zu danken, daß ich hieher in den variütö-
Garton gelangte.

Aber' meine Beobachtungen sind darum
noch nicht beendet. Es ist so lustig, hier zu
liegen und die elegante» Damen zu betrachten,
die schmutzige llnterröcke und zerrissene, schief-
getretene Schuhe mit korkhohen Haken an-
haben, sowie die herzenswarmen, jungen Män-
ner zu beobachten, die bei den Abendpromc-

naden einer Woche drei verschiedenen Mädchen
hier in den schattigen Gängen „ewige Liebe"
schwören. Gestern kam ein Ehepaar her und
zankte sich. Sie fragte ihn nur, wo er sich
aushalte, wenn er wegen wichtiger Geschäfts
angclegenheitcn nicht zu Mittag nach Banse
komme, und warum er dann nicht im Lomptoir
ZN sinden sei, wenn sie einen feiner Schlüssel
brauche. Er hatte es gewiß vergessen, denn
er antwortete nichts, sondern stieß nach mir
Unschuldigem mit dein Fuße, so daß ich über
den halben Garten hinflog. Lotte's Buchhalter
ging hier gestern mit einem andern Mädchen,
und Lotte selbst ruhte auf dieser Bank am Sonn-
tag Abend in den Armen eines Korporals."

(Aus dem Manuskript übersetzt

von L. Brausewetter.)

Ans der lateinischen Stunde

L. Quinctius Cincinnatus ruri vitam agere
constituit.

Ludwig der Fünfte beschloß, in Lincinnati
sein Leben durch die Ruhr zu beschließen.

Licercmis opera res publica conservata est.

Durch eine Bper Eiceros wurde der Staat
gerettet.

Quod patrem decet, id filium saepe dedecct.

was sich ein Pater erlauben darf, das ist
bei einem jungen Mann oft unanständig.

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Register
Julius Diez: Entwicklungsgeschichte des Kellners
[nicht signierter Beitrag]: Aus der lateinischen Stunde
 
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