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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 27 (2. Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0010
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1898

JUGEND

Nr. 27

Llavierspiel

Sch bin unmusikalisch, und so hat meine Seele um eine
Pforte weniger, durch die das Licht herein kann. Ich
höre wohl die Töne gern, aber was die Töne sagen wollen,
verstehe ich nicht: mir sind sie nur wie ein hohles Murmeln
und Rauschen, Murmeln des Baches, Rauschen des Waldes
in der Mittagsstunde, wobei sich's gut träumen läßt. Aber
es sind meine eigenen Träume, die Töne lösen sie nur los
vom Grund der Seele, und dann flattern sie auf wie Vögel,
denen der Käfig, der lang verschlossene, endlich geöffnet
wird, wohlan, so schwingt euch auf, schwebet über „mein
Gesild", umflattert das „große Leben"!

Sie, die am Llavier sitzt — ich kenne sie nicht. Ich
kann nicht einmal recht ihr Gesicht sehen. Jung ist sie und
hat eine hohe, volle Gestalt. Sie trägt ein tiefdunkles Uleid;
ein schneeiger Nacken, schneeige Arme blühen daraus wie
weiße Rosen. Ich denke sie mir sehr schön....

Sie beginnt zu spielen. Ich verstehe die Töne nicht.

Ich weiß nicht, was sie sagen wollen. Aber die Musik
ihres Leibes, die verstehe ich.

Lässig, leise gleiten die weißen Arme, die weißen Hände
über die Tasten hin. Kräuselnd quellen die Töne empor
zwischen den weißen Fingern.

Aber nun — ein Schlag mit starker gebietender handl
So schlägt die Zauberin in mitternächtiger Stunde die Erde,
wenn sie die Geister aus ihrer grauen Tiefe ruft. Und
grollend antworten die Geister der Tiefe, unwillig und
grollend — aus weiter, weiter Ferne tönt es zurück, aber
immer näher kommt's und näher auf den Fittichen des
Sturms: o, das sind starke Geisterl

Auf schwarzen Fluthen schwimmen sie heran, auf den
wassern der Tiefe: immer höher und höher steigt die Fluth
und überall ist Nacht — kein Stern funkelt.

Aber seht, jetzt leuchten die weißen Arme hoch über der
dunklen Fluth. Kühne Schwimmerin, starke Schwimmerin —
wie sie die wogen durchschneidet I Wie sie dem Ufer zustrebt l
Näher und näher glänzt im Morgenlicht das blühende Ufer.

(D diese starken Armei Die können heben und halten
und tragen die schwerste Last und das größte Leid und die
dunkelste Nacht. Aus dem Schlamm, aus dem Sumpf,
aus der brennenden wüste hinaus tragen sie dich hinauf
zu den Bergen, zu den Schneebergen ihrer fernen Heimat.
Dort ist's hell und ruhig.

Sieh, schon steht sie oben auf dem blühenden Ufer, auf
dem blühenden Hügel und winkt mit ihrer weißen Hand.
Folge ihr nur! wen sie führt, der wird nicht ausgleiten
am Felsenxfad, der wird sicher wandeln über allen Abgründen.
Wen diese Hand führt, der wird nicht müde werden, in
der Sonnengluth wird er schreiten wie in duftigem Schatten
und in düstrer Sturmcsnacht wird sein weg sein licht und
klar, zu neuen Glückseligkeiten wird sie ihn führen.

Immer ruhiger, immer leiser gleiten wieder die weißen
Arme, die weißen Hände über die Tasten hin- Kräuselnd
quellen die Töne empor zwischen den weißen Fingern. Leise
und schmeichelnd berührt sie die Tasten wie die Mutter
das Haupt des schlafenden Kindes. Und aller Schmerz
schläft und alle bösen Träume fliehen.

Wiegende Hände sind's, und wie sie sich auf und ab
bewegen, auf und ab, hin und her, ist's wie das süßeste
Schlummerlied. Die Töne verstehe ich nicht, ich höre sie
kaum. Aber ich sehe die weißen Arme, die weißen Hände.
D könnt' ich sie küssen!

LiebeshLnde sind's, Liebesarmel Wie weich sich die
schlingen müssen um den hals des Geliebten, weich und
doch wie Ketten so fest, unauflöslich, unentrinnbar! tv welche
Seligkeit, in solchen Banden zu ruhen, solche Fesseln zu tragen!

Die Töne verklingen. Ich weiß nicht, was sie haben
sagen wollen, denn ich bin unmusikalisch. Aber die Musik
ihres Leibes, die habe ich verstanden. £ugen*<ßUQ,iQ.

Nachbarskilider

J. Carben (München).

4SI
Register
Eugen Guglia: Clavierspiel
Julius Carben: Nachbarskinder
 
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