Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 27 (2. Juli 1898)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0013
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 27

JUGEND

1898

VesuD auf dem Lande

von (jnrio Vanzaeehi

Sie plauderte in Einem fort» die richt'ge
Landwirthin: „Der Ertrag des Gutes war
Raum drei Procent, so ein in's andre Jahr,
Dazu die Steuerlast noch» die gewicht'ge."

Und ich: Mcht wahr! in jenem Wäldchen drüben
Ganz nah beim Flusse nisten stets im Mai
Die Nachtigallen» und Du gehst vorbei,
wenn sie im Zwielicht ihre Triller üben!

wir sprachen von Mustk. Sie hielt noch immer
Bei Meyerbeer. — „Ach leider, mein Llavier
Ist ganz verstaubt. Zwei Saiten sprangen mir,
wie lange steht's verschlossen schon im Zimmer."

wir traten in den Garten, von den Beeten
Rühmte sie nur Ertrag und Fruchtbarkeit.
Dev alten Freunde und der alten Zeit
Gedachte sie, doch ohne zu erröthen.

Ghn' einen Seufzer, der geheim bekundet
vergangnes Glück, mit Augen kühl und klar.
Daß ich mich fragte: ist's denn wirklich wahr,
Linst küßt' ich dies Gesicht, so hübsch gerundet!

Und vor der Seele gaukelte mir wieder
Lin wunderlich Erinnern, hell umglänzt,

An ihre Jugend, blühend und bekränzt.

An meine Jugend voller Liebeslieder!

Deutsch von Paul Heyse.

Die jungen

Von Henry Lavedun.

Prosper Charaux: 39 Jahre.

Maurice Duvars: 70 Jahre, Mitglied der Aka-
demie.

Im Winter. Bei Duvars. Ein geräumiges
Arbeitszimmer. Duvars und Charaux sitzen
am Kamin in der Dämmerung.

Duvars: „. . . mit meiner Unterstützung, die
Ihnen nie fehlen wird, mein Kind, nie!“
Charaux: „O, Herr Duvars! . . .“

Duvars: „Das ist jetzt fünf, sechs Jahre her,
dass ich hinter Ihnen her bin, und Sie nicht
aus den Augen lasse . . . Ich kenne alles,
was aus Ihrer Feder hervorgegangen ist.
Sie sind ein grosses Talent.“

Charaux: „Aber Herr Duvars . . ."

Duvars: „Ihr letzter Roman „Ein Ehren-
mann“ ist beinahe ein Meisterwerk. Ich
habe ihn meiner Frau zum Lesen gegeben.
Ich kann Ihnen sagen, ich wäre stolz, ihn
geschrieben zu haben.“

Charaux: „Sie, Herr Duvars?“

Duvars: „Jawohl, mein junger Freund.“
Charaux: „Sie, der bewunderungswürdige
Schriftsteller, der köstliche Erzähler der
„Goldenen Thränen“, der Verfasser von
25 Romanen, die das gewaltigste und ge-
treueste Bild unserer Zeit geben ? In der
That, Sie verwirren mich!“

Duvars: „. . . Ich bin noch nicht fertig. Ich
kann ihnen ausserdem noch sagen .. . unter
dem Siegel der Verschwiegenheit natürlich.“
Charaux: „Keine Furcht, Herr Duvars!“
Duvars: „. . . und das wird Ihnen mehr
Freude machen, als alle meine Artigkeiten...
Erratheil Sie es denn nicht?“

Charaux (bebend): „Ich wage nicht . . .“
Duvars: „Wagen Sie es. Sie haben es. Ja,
wir haben gerade in den letzten Tagen
ganz ernstlich in der Akademie Ihren Namen
genannt. (Pause.) Nun. Sie schweigen?“
Charaux: „Ich bin so glücklich, so . . ."
Duvars: „Der Marquis von Saint-Hülöne, der
einen riesigen Einfluss bei uns besitzt, hat
Sie sehr lieb . . ."

Charaux: „O! Ich ihn auch. Ich ihn auch.“
Duvars: „Der Marquis von Saint-HüRne hat
wörtlich gesagt: Wenn dieser kleine Cha-
raux brav ist . . . es ist nicht unmöglich,
dass er in 18 Monaten, he, he! . . .“
Charaux: „Wirklich, hat er das gesagt, dieser
gute, liebe —“

Duvars: „Er hat es gesagt.“

Charaux: „Zu wem?“

Duvars: „Zu mir und zu zwei, drei anderen
meiner Collegen vorigen Donnerstag, im
Arbeitszimmer von Pingard.“

Charaux: „Ohl Herr Duvars! Nein, Herr
Duvars! 1“

Duvars: „Das freut Sie, was?“

Charaux: „Wie können Sie fragen? Und
dann, was mich am meisten beglückt, das
ist die gute Meinung, die Sie mir so liebens-
würdig entgegenbringen, das Interesse, das
Sie so gütig an meinen Schreibereien
nehmen.“

Duvars: „Ein lebhaftes Interesse, glauben Sie
mir!“

Charaux: „Das ist mir ein grosser Trost,
Herr Duvars, denn, ich will es Ihnen nicht
verhehlen, seit einiger Zeit bin ich sehr
entmuthigt.“

Duvars: „In Ihrem Alter? und warum?“
Charaux: „O, wenn Sie wüssten! . . .“
Duvars: „Was ist es? Erzählen Sie mir, was
Sie kränkt.“

Charaux: „Es ist, — es ist, Herr Duvars, dass
man mich jeden Tag in den Koth zerrt.“
Duvars: „Sie? Aber wer denn, um Himmels-
willen?

Charaux: „Die Jungen, Herr Duvars, die
Clique der Jungen.“

Duvars: „Das versteh’ ich nicht. Sie sind
ja doch selbst ein Junger. Und wie jung!
Neununddreissig Jahre! Sie sind ja noch
ein Bubi! — Ja, wie jung muss man denn
eigentlich für diese Leute sein?“

Fritz Erter (München).

Charaux. „Ich denke wie Sie. Aber das
hindert nicht, dass man mich, trotz meiner
Jugend, bei jeder Gelegenheit angreift und
in der fürchterlichsten Weise herunterreisst.“
Duvars: „Im Ernst?“

Charaux: „Ich bin einer von den Alten für
diese Leute. Weil ich das Glück hatte,
schon in jüngeren Jahren in die Ehren-
legion zu kommen, weil mir Alles gelungen
ist, weil meine Bücher abgehen wie das
frische Brot, darum muss man mich bei
der Gurgel packen, muss man mich zu
Tode quälen. Wer weiss, sie bringen es
noch einmal so weit!“

Duvars: „Wehren Sie sich!“

Charaux: „Das geht nicht, Herr Duvars.
Da kann man gar nichts thun. Wenn das
noch ein ritterlicher Kampf wäre. Aber
Sie haben ja gar keine Ahnung, Herr
Duvars, mit welcher Blutgier, mit welcher
scheusslichen, hinterlistigen Wildheit diese
kleinen Jaguars sich auf ihre älteren Brüder
werfen, auf ihre Genossen und Freunde
von gestern.“

Duvars: „Ich kenne das. Aber, was wollen
Sie? Das Taufwasser des Ruhmes stammt
aus der Pfütze, mein Freund. Und dann
das war immer so.“

Charaux: „Ich widerspreche Ihnen ungern»
Herr Duvars, allein —“

Duvars: „Nichts hat sich darin geändert,
gar nichts.“

Charaux: „Erlauben Sie mir ein Wort der
Entgegnung. Ich weiss ganz gut, dass ich
früher einmal, in meiner Schülerzeit, als
ich noch nicht wusste, was ich wollte und
daher ein starrer Radicaler war, auch nicht

immer die Grenzen.Gewiss nicht.“

Duvars: „Es handelt sich ja nicht um Sie.“
Charaux: „Es mag vorgekommen sein, leider!
dass ich hart und feindselig schrieb. ' Das
beklage ich seit Jahren. Aber dem Wort-
schatz und dem Ton, dessen man sich
heute ganz allgemein bedient, kam das
nicht im entferntesten nahe. Der Wahl-
spruch dieser Herren scheint zu sein: In-
sultiren auf alle Fälle, etwas bleibt immer
hängen. Die Verleumdung, die einen
Beaumarchais überwand, ist ihre Sache
nicht mehr. Man legt sie zurück als un-
zeitgemäss und viel zu geistreich. Die
schnöde, plumpe Beleidigung, das ja! —
Die aufgelegte Niederträchtigkeit, dick hin-
geschmiert mit einer dicken Feder ....
das ist der Genuss, der Sport, den unsere
Literaten betreiben. Was sage ich? Die
niederträchtige Beleidigung ist heute schon
zu classisch in ihrer Formenstrenge und
eine Kunstgattung im Verblühen. Man
muss noch einen kleinen Schritt weiter
machen in der Gosse. Und man macht
ihn schon. Vor Weihnachten noch wird
man einfach Schimpfworte aneinander-
reihen, anstatt Kritiken zu schreiben. Denn
Alles vergröbert sich in unserer ordinären
Zeit, sogar der gemeine Neid. Man hat
die Kunst der höflichen Böswilligkeit ver-
lernt. Dahin sind die heroischen Zeiten
der geistreichen Impertinenz. Wer am
besten schimpfen kann, wird morgen König
sein.“

Duvars: „Sie können sogar sagen: Heute.
Worüber erstaunen Sie dabei? Man hat
die Könige, die man verdient. Aber er-
eifern Sie sich darüber nicht allzusehr, lieber
Freund, und lassen Sie sich die Sache nicht
so nahe gehen! Das ist vergeudete Kraft.
Ich, der ich mehr mitgemacht habe, als
Sie, kann Ihnen nur versichern, dass die
kleinen Haifische, die meinem Bote folgten,

454
Register
Henri Lavedan: Die Jungen
Enrico Panzacchi: Besuch auf dem Lande
Fritz Erler: Silhouette
 
Annotationen