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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 27 (2. Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0018
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1898

Nr. 27

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t

Kurze Geschichte

Bei einem klugen Manne meldeten sich
Zwei Bewerber für einen Posten, der Selb-
ständigkeit und rasche Entschlossenheit for-
derte. Der Mann bat die Beiden, sie möchten,
während er noch ein dringliches Geschäft er-
ledige, eine Viertelstunde in seinem Garten
verweilen. Der kluge Mann beobachtete
nun von seinem Fenster aus, wie einer von
den Beiden ein Gespräch begann und wie
Beide dann plaudernd auf und abgingcn.
Dabei bemerkte er, daß eben jener, der
das Gespräch begonnen hatte, jedesmal zu-
erst den Schritt wendete, wenn der Garten-
weg zu Ende war. Diesen Mann wählte er.

Otto Ernst.

Wenn zwei dasselbe thun —

Der Hamburger Hafenmensch ist durchaus Kein
Freund der Gigerln. dlun geschah es, daß ein Gigerl
einem Hafenarbeiter auf den Fuß trat.

„Entschuldigen Sie!" sagte das Gigerl obenhin.
„Dch, dat mokt nir!" versetzte jener mit grenzen-
loser Gutmüthigkeit, „ick pett' (trete) Di eenfach
mol werter." Sprach's und that also. R. R.

Philosophie des Küssens

Markus fuhr mit feiner Hulda
Linst von Merseburg nach Zulda.

Markus! rief die Maid lebendig,
Wahre Weisheit küßt verständig!

Sachte, mit gefchlossnen Lippen,

Gilsts ätherisch nur zu nippen!

Schüchtern, in bekiomm'ner Leisheit —
Alfa küßt die wahre Weisheit!

Hulda! sprach verzückt der Markus.
Küßt ein (Karr, so ist's ein Narrkuß!

Ach, und dies vernarrte Küsten
Gleicht Llysiums Hochgenüssen!

Heut noch küss' ich Dich vernünftig,
Doch vernunstlos küss' ich künftig!

Und die Maid an seiner Seiten
Hauchte: Nun, ich will nicht streiten!

Sei's ein Klugkuß, sei's ein Narrkuß —
Lins nur wünsch' ich, gold'ner Markus:

Db's erschmeichelt, ob's geraubt wird:
Daß geküßt nur überhaupt wird!

Ernst Eckstein.

?*•

Vravo, Ztieve!

ober

So muß es kommen!

^Endlich hat ein katholischer Jurist, dem es
Sö Ernst ist mit derAbtödtung seines Verstandes,
den offenen, ehrlichen Muth gehabt, öffentlich
Zeugnis; abzulegen von dem, was der ultra-
montane Klerus im Stillen und im Dunkeln
Segensreiches lvirkt. Dieser Mann, der Land-
gerichtsrath a. D. und Rechtsanwalt Stiebe in
Zabern, hat die anerzogene falsche Bescheidenheit
der Söhne Rvnrs säst bis zur Splitternackthcit
abgestreift. „Fast", sage ich. Aber leider hat
er, wie der gekreuzigte Knabe von Alberschweiler,
eine Badehose anbehalten. Die muh auch noch
herunter. Ein Nachfolger des Herrn Stiebe

wird bei dem nächsten Prozeß gleicher Art das
Versäumte nachholen. Ein solcher Prozeß hängt
bereits. In der Rheinprovinz fragte eine kathol-
ische Frau den Beamten am Eisenbahnschalter,
ob die Rückfahrt von einem bestimmten Orte
nicht iheurer sei als die Hinfahrt; sie hätte ge-
hört, der Rückweg sei länger als der Hinweg,
lieber die fromme Einfalt dieses einträglichen
Pfarrkindes hatte eine Zeitung in Memel (Ost-
preußen) sich lustig gemacht, indem sie einige iron-
ischeAusrusungszeichen hinzusügte. Ein Exemplar
oder doch ein Stück dieser Zeitung mußte jeden-
falls nach Lothringen gekommen sein; denn eines
Tages trug der Wind einen Fetzen davon über
die Mauer einer Jdiotenanstalt in Zabern. Einer
der Simplexianerbrüdcr, die die Anstalt verwalten,
las auf diesem Fetzen die fragliche Notiz und
nahm Aergerniß an den Ausrufungszeichen. Er
sragte einen neben ihm stehenden Idioten, ob
er auch Aergerniß nehme. Ja, sagte der, er
nehme alles, was er kriegen könne. Der fromme
Bruder sammelte dann auf einem weißen Bogen
107 Aergernißnehmer, sämmtlich Idioten. Man
erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft,
und diese machte die Klage beim Gericht in
Zabern anhängig, da insolge von Wind der
Gerichtsstand des Memeler Blattes in Zabern
sei. Die 107 Idioten (inclusive Wärter) traten
als Nebenkläger auf und ernannten zu ihrem
Vertreter einstimmig einen RcchtSanwalt, den
tvir der Einfachheit halber Bullenkalb nennen
wollen. Die Verhandlung ist aus den 31. Juni
anberaumt. Die rühmlichst bekannte Seherin und
Märthrerin der weltlichen Polizei, Maria Sobeczki
in Porcmba (Schlesien) schildert das Plaidoher des
Centrumsanwalts Bullenkalb folgendermaßen:

Bullenk.: Als ich die Ausrusungszeichen
in jenem Schmutz-, Schwein- und Saublatte las,
sagte ich mir: Das soll mich doch wundern, ob
das katholische Deutschland diese unverschämte
Gemeinheit so hingehen lassen wird.

Präs.: Solche Gedanken dürfen Sie hier
nicht aussprechen.

B.: Ich Hab' doch keine andern.

Präs.: Pardon, das ist etwas anderes!

B.: Ich habe die Vertretung der Nebenkläger
übernommen aus Geivissenspflicht, weil ich näm-
lich s. Z. als Landrichter gegangen worden bin,
obwohl ich Gott mehr fürchtete als die Menschen,
ausgenommen den hl. Vater, und obgleich ich
als pflichttreuer Katholik jeden Protestantenhund
mit kanonischer Unparteilichkeit zu den höchsten
Strafen verdonnerte.

459
Register
Ernst Ewerbeck: Medaillon
Bruno: Bravo, Stieve! oder So muß es kommen!
Josef Rudolf Witzel: Leda's Tochter
R. R.: Wen zwei dasselbe thun
Otto Ernst: Kurze Geschichte
Ernst Eckstein: Philosophie des Küssens
 
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