Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 28 (9. Juli 1898)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0031
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 28

JUGEND

1898

Sie aus der Heimath kommen gross und schwer,

Und alles, was ich auf dem Weg verloren,

£,'s drängt mit bitt’rem, stummem lSund sich her. ..

Sa steigt die Stadt nun auf mit offnen Jhoron,

IBit Bäuitien, die die Stauern Überhängen,

6's flattern Taschentücher auf den Gängen
Und grüssen meiner fahrt nie schmerzlich nach.

Sa blick’ ich auf der Steinen friedlich Sach
Und fühl’ in mir ein Heimweh heimlich weinen.

Sur manchmal sich das Blut wie träumend regt,

Weil es zu viel an Wissen in sich trägt,

Und blasse frauenlippen hör’ ich beben:

Wohin trägst Su mich, endlos weites Leben ?
fhn fenster dort die frau sieht unverwandt
Huf mich. Hat sie mich ahnend doch erkannt?

So stand sie wartend dort vor Bahren,

Soch heute bin ich erst vorbeigefahren,

Beim Sähen tropfte Blut ihr auf das Linnen,
fühl’ ich dasselbe heute in mir rinnen?

In fernen sah sie damals unverwandt,

Sie drohten ihr so leer und unbekannt.

Soch weit und weiter trägt mich fort mein Boot
Und in der ferne schwindet’s, die so droht....

Sas mag zur Stunde schmerzlich auferstehen,

Jetzt kommt der Wind und wird es gleich verwehen.

Gustav Gugitz.

Die Kommandeuse

cSfie Gattin des Herrn Oberst und Regimentskommandeurs befindet sich
's» in sehr, sehr schlechter Laune und wahrlich nicht ohne Veranlassung.
Gestern Abend ist großer Walkürenritt gewesen, die sogenannten Herrn der
Schöpfung waren im Kasino zum Kriegsspiel und diese Gelegenheit hatte
die Etatsmäßige — die Oberstlieutenantsgattin — benutzt, um sämmtliche
Damen des Regiments zu einem „Schälchen" Thee einzuladen. Die Etats-
mäßige hatte geladen und sie waren Alle gekommen, wie es sich gebührt,
selbstverständlich streng nach der Anciennetät. Als Erste war die jugendliche
Braut eines rugendlichen Lieutenants erschienen, dann die jüngste Lieu-
tenantsfrau, und als Schlußeffekt, trenn auch ohne große bengalische Be-
leuchtung, war die Kommandeuse in den Saal gerauscht. Und sie konnte
rauschen, das mußte der Neid ihr lassen. In ihrer Erscheinung lag etlvas
ungemein Gebieterisches, man sah es ihr an, sie war zu herrschen gewohnt.
— Wie elektrisirt sprangen alle Damen von ihren Stühlen auf, als sie in
das Zimmer trat, selbst Napoleon hätte es in ihrer Nähe nicht gewagt, aus
seinem Thron sitzen zu bleiben, sondern hätte ihr denselben mit einem
sauer-süßen „prenez place, madame“ eingeräumt.

„Aber ich bitte Sie, meine Damen, so behalten Sie doch Platz, aber bitte,
so setzen Sie sich doch."

Huldvollst hatte dieKommandeuse diese
Worte gesprochen, aber die Walküren
kannten das schöne Wort: „Richtet Euch
nicht nach meinen Worten, sondern nach
meinen Gedanken."

Und der Gedanke der Kommandeuse war gewesen:

„Möchte das Militär-Kabinet dem Mann derjenigen
Frau gnädig sein, die da wagen sollte, sich wieder
hinzusetzen, bevor ich sitze."

Endlich saß sie, natürlich auf dem Svpha, rechts
von ihr die „Majornaise", links von ihr „die Etats-
mäßige."

Dann hatte das obligate Gespräch über die Zähn-
chen der Kinder, über den Soxhlet-Apparat, über die
Dienstboten und das schlechte Fleisch seinen Anfang
genommen und da war das Unglaublichste geschehen:
eine ganz junge Frau, die Gattin des Premier-Lieu-
tenants Baron von Sperber, hatte es gewagt, der
Kommandeuse zu wiederholten Malen zu wider-
sprechen.

Die Frau Baronin war die Einzige, die der Kommandeuse nicht bei-
stimmte, daß das Fleisch bei dein gemeinsamen Schlächter geradezu un-
genießbar sei.

Alle waren starr gewesen und hatten abwechselnd die Baronin und die
Kommandeuse angesehen — die Elftere stickte, als ob nichts Vvrgefallen
wäre, an ihrer Handarbeit weiter, die Kommandeuse aber, die aller Blicke
ans sich ruhen fühlte, machte ein Gesicht, das da zu sagen schien: „Rur
ruhig, meine Damen, ich werde sie, die Sünderin, schon klein bekommen."

Mit hoch erhobener Stimme hatte sie dann der Frau von Sperber ihre
Ansicht auseinandergesetzt und ihre Behauptung, daß das Fleisch schlecht
sei, eingehend begründet. Aufmerksam lauschten alle Damen, die Hand-
arbeiten ruhteil, man horchte mit angehaltenem Athem, damit nian nur
keins der goldenen Worte verliere.

Als die Kommandeuse geendet, sah sie sich stolz im Kreise um, sie hatte
es der Frau Baronin einmal ordentlich gegeben — aber das stolze Gefühl,
das ihre Brust, um nicht zu sagen ihren Busen, durchdrang, schwand sehr
schnell dahin, als die Sperber ganz ruhig und gelassen meinte: „Ja, ja,
es hat eben ein Jeder und eine Jede seine eigene Auffassung."

Schrecken lähmte Alle: die Frau Etatsmäßige, die für die Waisenkinder
in Kiautschou wollene Strümpfe strickte, ließ unzählige Maschen fallen; die
Majornaise, die einen neuen Faden einfädeln wollte, saß unbeweglich, in
der Linken die Nadel, in der Rechten den angefeuchteten Faden haltend —
alle Arbeit ruhte, daS schönste Wort blieb ungesprochen, der geistreichste Ge-
danke ungedacht.

Einer Ohnmacht nahe lehnte sich die Kommandeuse in die Sopha-Ecke, sie
hatte für die Aeußerung der Sperber keine Worte: das war keine versteckte,
sondern offenkundige Rebellion und Revolution.

Für den Rest des Abends wurde Frau von Sperber von allen Seiten
„geschnitten", die Kommendeuse sprach nicht mehr mit ihr und in Folge
dessen war sie auch für die Uebrigen „Luft", selbst die Hausfrau ivagtc
es nicht, ihr etwas direkt anzubieten oder sie anzureden.

Früher als sonst trennte man sich und nach einer schlaflosen Nacht ging
dieKommandeuse jetzt erregt in ihrem Zimmer aus und ab. Ihr größter
Kuuuner anl gestrigen Abend war der gewesen, daß sie sich bei ihrem
Mann keinen Rath hatte holen können. Spät erst war er heimgekehrt unb
geduldig hörte er, während er sich ausklcidete und sich darüber freute, daß
seine Untergebenen ihn nicht als Sansculotten sähen, ihre Leidensgeschichte
an. Dann aber sprach er das große Wort: „Ich habe genug mit den
Männern zu thun, sieh Du zu, lute Du mit den Frauen fertig wirst."

Eine halbe Minute später ivar er, nach Ansicht der Untergebenen leider
nicht für immer, entschlafen.

Die Kommandeuse dachte aber die ganze Nacht darüber nach, >vie sie mit
den Frauen fertig werden sollte — vorläufig revoltirte Gott sei Dank ja
nur eine, aber was dann, wenn die Revolution immer weiter um sich
griffe, wenn die Walküren eines Tages geschlossen vor ihr Haus rückten
und ihr den Gehorsam kündigten? Sie sah sich entthront, eine Andere
saß auf ihrem Platz, und sie, die nur zu befehlen verstand, mußte gehorchen
und statt „nein" immer „ja" sagen. Schauder erfaßte sie und unruhig
hatte sie sich in dem breiten englischen Bett hin- und hergewälzt, sodaß
ihr Lagergenosse, der theure Gatte, ein paar Mal unwillig knurrte.

Nun lvar es Tag, Heller Tag, die Nacht mit ihren Schrecken war dahin,
aber auch bei Sonnenschein machte die Revolte sich nicht besonders. Die
Gefahr blieb bestehen, nur energische Maßregeln konnten helfen. So eilte
die Kommendeuse denn an ihren Schreibtisch und verfaßte ein Rundschreiben,
in dem sie die ihr unterstellten Damen zum Nachmittagskaffee uni fünf Uhr
zu sich entbot — Frau von Sperber wurde gebeten, präzise vier Uhr bei
der Kommandeuse zu erscheinen. „Eine Absage", so schloß der Brief,
„kann ich von Ihnen, gnädige Frau, unter keinen Umständen anuehmen,
da ich Wichtiges mit Ihnen zu besprechen habe."

Fünf Minuten später trug der Diener die Einladungen aus und
lvieder fünf Minuten später meldete die
Zofe, die zugleich Köchin und Stuben-
mädchen war, daß Frau von Sperber der
gnädigen Frau ihre Aufwartung zu ma-
chen wünsche.

Als der Papst den berühmtesten aller
Heineriche vor der verschlossenen Hausthür auf den
Knieen liegen sah, konnte ihn kein stolzeres Gefühl
durchdringen, als es in diesem Augenblick die Kom-
mandeuse hatte.

„Sie kommt, sie ist da, sie sieht ihr Unrecht ein, sic
bittet um Verzeihung."

Ha, es ist doch schön, Kommandeuse zu sein, und
so leicht soll es der Sperber nicht werden, wieder in
Gnaden ausgenommen zu werden. Das Programm,
das sie sich gemacht, will sie durchführen, um vier
Uhr soll die Sperber bei ihr antreten, dann will sie
ihr einmal gehörig den Standpunkt klar uiachcn und
sie, wenn dann die anderen Damen erscheinen, „in
Prier Freiheit gezähmt" vorführen. Das soll der herrlichste
Augenblick ihres Lebens werden.
Register
Frh. v. Schlicht: Die Kommandeuse
Fritz Erler: Zeichnung ohne Titel
 
Annotationen