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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 29 (16. Juli 1898)
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Nr. 29

JUGEND

1898

Valdesgang

J'fun steht der Vatd voll weisser Anemonen,
fernher . . . fernher eig leiser l^ukukschrei.

Jch schaue durch der fäume kahle fronen
3n’s lichte flau erripor; dort kreist ein Veit).

foch über mir, im Glanz des frühtingstages,
per grell ins lichtentwöhnte f\uge bricht,

Entschwebt er freien, stolzen flügetschlages . . .

Qnd immer höher.,, ugd verschwimmt im Jucht.

Jch schau’ ihm nach und denk’ an eigen fernen,
Verscholl’nen Craum. — pann geh’ ich still bergab
Qnd pflück’ im Vandern von den weissen Sternen
Gin frisches Sträusschen für pein armes Grab.

Franz Lerse

Ä

-v-

Fontana Trevi

Im Frühschein brennt das ew’ge Licht
Vor Gottes Mutter stechend roth
Und heller tönt und voller rauscht
Der alte stolze Brunn.

Schwarzgraue Wolken thürmen sich
Hoch überm lichten Quirinal —

Im Frühschein brennt das ew'ge Licht
Vor Gottes Mutter roth.

Von meinem Lager floh der Schlaf,
Viel bange Sorgen zogen mich
Ans Fenster — leicht durch Morgenluft
Wiegt pfeifend sich der Schwalben

Flug. .

Im Frühschein brennt das ew’ge Licht.

Rom, 17. VI. 98. Otto Erich Hartleben.

Die traurigen Augen

Deine Augen sind so traurig, Mädchen,

Wie das Haideland, das dich geboren.

Weint der Wind nicht, wenn er drüber säuselt?
Schluchzt nicht auch der Bach an seine Ufer,
Der an deinem Vaterhaus vorbeißiesst ?

Durch die Lüfte irrt auf dunklen Flügeln,
Aengstlich schreiend, die erschrock’ne Dohle,
Wenn die Glocke eures Thürmcliens jammert.
Sahst du jemals auf dem strengen Antlitz
Deines Vaters Sonnenlichter flimmern ?

Aber ich, ich bin aus heitern Landen:
Zwischen Wein und Wiesen glänzt das Städtlein,
D’rin das weisse Haus der Eltern leuchtet,

Und der Strom ist ihm ein klarer Spiegel.
Meiner Sonne soll dein Dunkel rveichen!

Schau mich an, da ernstes, liebes Mädchen,
Deine Augen sollen heiter werden!

Hugo Salus.

Rem M

V on E l s b e 11) Bi e H e v - F ii r ft c r

Gatte der Frau Reginald war ge-
Ve lähntt! deshalb war auch ihre Ehe
gelähmt. ES gab kein Leben mit der
Außenwelt für siet am Rollstuhl des Herrn Regi-
nald spann sich das Dasein beider Gatten ab. Sie
waren noch nicht alt, sie standen in der Blülhe der
Jahre. Aber kann man da von Bliilhe sprechen’?

In ihrer kleinen Villa an der Waldpromenade
lebten sie gleich den Einsiedlern: sie sahen die
Menschheit nur durch ihren Gartenzaun; und sie
wunderten sich über die Hellen Töne und bunten
Farben, die lachenden Mienen und raschenSchritte
des Sonn- und Feiertags. In dieser lebeuS-
lnstige» Mittelstadt schien häufig Feiertag zu sein,
ltnt die Stadt herum zog sich der Gürtel eines
mächtigen Waldes, und in seine gepflegten Alleen
sah man zur frühen Nachmittagstunde die leuch-
tenden Uniformen des Dragonerregiments nnter-
tanchen, und die schlanken, militärisch tänzelnden
Regimentspserde. Ganze Cavaleaden junger
Mädchen in weihen und rosa Kleidern, den lawn-
tennis-@c£)läger geschultert, oder auch zu Rade,
in einer straffen Pumphose und kecken Jockeh-
kappe, folgten der Caoaleade junger Lffiziere
in den Waid. So daß es aussah, als fände da
drinnen, in den grünen Zelten, ein tausend
saches Rendezvous statt, zu dem erst zur späten
Nachmittagsstunde die älteren Damen und Mütter
mit sauersüßer Miene herbeieilten, den Pompa-
dour und das Kuchenpacket im Arm.

Dieser breite Zug des Lebens und Vergnügens
bewegte sich täglich am Gärtchen der Reginalds
vorbei, an der stummen, weißen Parkvilla. Herr
Reginald ward attf den Kiesweg gerollt, dicht
neben den winzigen Springbrunnen — dort blieb
der Krankenwagen unbeweglich stehen und starrte
mit den schwarzen Polstern aus die Straße hinaus.
Frau Reginald saß unter ihrem rothen Sonnen-
schirm und starrte gleichfalls hinaus. Die rolhe
Seide deS. kleinen Baldachins'warf einen rothen
Schein auch aus ihr mattes, etwas schwammiges
Gesicht, und gab ihm jugendliche Farbe. Ihre
wasserblauen Augen sahen Alles und sahen Nichts.

Zuweilen auch wurde der Wage» von dem
dazu gemiethelen Manne zu dem Thiirchen hinaus-
gefahren, die schattige Allee entlang, bis zum
Eingang des zoologischen Gartens. Dort ließ
der gemiethete Alaun einen Augenblick den Griff
los, und begab sich an den Billetschalter, um
zwei Eintrittskarten zu lösen, Frau Reginald legte
dann für den Augenblick die behandschuhte Rechte
auf den Griff, als wolle sie mit dieser Bewegung
den Wagen mit dem schweren Manne darin in
ihren persönlichen Schutz nehmen. Sie selbst
hätte es nicht über sich gebracht, den Billetschalter
zu betreten; das Aussehen, das ihr kleiner Zug
stets bei den Passanten erregte, beschämte und
verschüchterte sie. Mit gesenkten Augen, ab und
zu erröthend, wie ein Schulmädchen ging sie
neben dem Krankengefährt her: sie dankte Gott,
tvenn sie endlich das Eiutrittsthor passiert hatten,
und in die schattigen Wege des Zoologischen ein-
gelenkt waren.

Dann nahm der gemiethete Mann die Mütze
vom Kopf, wischte sich.den.Schweiß von der Stirn,
und blieb ausathniend stehen. Meist gleich hinter
demEingang des Gartens, vor dem Löwenzwinger.
Der Wagen war dicht bis vor das Gitter gerollt,

P. Haustein (München).

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Register
Paul Haustein: Zierrahmen
Otto Erich Hartleben: Fontana Trevi
Elsbeth Meyer-Förster geb. Blaschke: Kein Kind
Franz Lerse: Waldesgang
Hugo Salus: Die traurigen Augen
 
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