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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 29 (16. Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0051
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Nr. 29

JUGEND

1898

BRAUCHENSKEiN

Julius Diez (München).

Liebe Friedensbertha!

Schon längst wollte ich einmal
deutlich mit Dir reden. Der spanisch-
amerikanische Krieg bietet mir jetzt
die beste Gelegenheit dazu.

In dem Maiheft Deiner Zeit-
schrift „Die Waffen nieder“ trauerst
Du mit Recht in Sack und Asche
über den Ausbruch des spanisch-
amerikanischen Krieges, während
Du noch im Aprilheft im Vertrauen
auf die Macht Deiner Friedensliga
nicht recht an den Krieg glauben
wolltest. Jetzt aber bist Du, wie
Du so schön geschwollen schreibst,
„von mitleidszuckendem und zürnen-
dem Weh erfüllt“ und „vertieft in
die flitterentkleidete Abscheulichkeit
des tobenden Mordspiels.“

Wäre es nicht schöner von Dir
gewesen, liebe Bertha, wenn Du statt
solcher und ähnlicher Stilblüthen
einfach geschrieben hättest, dass Du
seit Jahren auf dem Holzweg ge-
wandelt bist? Oder merkst Du es
noch immer nicht? Aber gleichviel,
ob Du es merkst oder nicht — wie
darfst Du wagen zu schreiben, dass
Niemand anderer als die kleine ver-
streute Schaar der Friedenskämpfer
den Krieg als Unglück oder Ver-
brechen auffasst! Also nur die Mit-
glieder Deiner Friedensliga sind sich
bewusst, dass der Krieg etwas höchst
Grausames, Entsetzliches ist! Alle
andern Menschen, besonders aber
Diejenigen, die vernünftig genug
sind einzusehen, dass die Mittel und
Wege Deiner Friedensgesellschaften
verfehlte sind, alle diese Menschen
sehen im Kriege nicht eines der
grössten Uebel, dessen Vermeidung
auf’s innigste zu wünschen bleibt!

Liebe Bertha, Deine unerhörte
Behauptung ist Dir nur deshalb
zu verzeihen, weil Du im Schmerz
nicht weisst, was Du redest. Du
fühlst ganz richtig, dass Dein Gerede
und Geschreibe grade durch diesen
Krieg unheilbar compromittirt wird.
Gerade durch diesen Krieg!

ja, wenn noch das böse Deutsch-
land, dieser Ausbund des Militaris-
nus, Krieg angefangen hätte, dieses
Deutschland, das Eisass-Lothringen
durch kein Schiedsgericht dem lieben
Frankreich zusprechen lassen will,
das böse Deutschland, in dem von
etlichen 50 Millionen nur Wenige
auserwählt Thörichte auf Deinen
Leim gekrabbelt sind — ja, liebe
Bertha, wenn dies Deutschland Krieg
angefangen hätte, das hätte Wasser
auf Deine Friedensmühle geleitet.
Da hättest Du Deine Weisheit fliessen
lassen in Redeströmen. Da wäre
der Krieg eine nothwendige Folge
des Militarismus, des Cäsarismus
gewesen, da wäre eingetroffen, was
Du als weise Frau seit Jahren pro-
phezeit hast.

Nun aber sind es die Vereinigten
Staaten von Nordamerika, die „das
tobende Mordspiel“ begonnen haben.
Die Vereinigten Staaten! Eine Re-
publik, keine Monarchie ! Eine reine
Demokratie, in der es keine Junker,
keine Hofkamarilla, keine 20 Armee-
korps, keine allgemeine Wehrpflicht
gibt! Nur eine Miliz, Bebels Ideal!

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Register
Julius Diez: Brauchen's kein Modell
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Friedensbertha!
 
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