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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 30 (23. Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0066
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1898

. JUGEND •

doch nicht radle. — Gott, was soll ich ver-
langen, — wenn ich nicht in Verlegenheit
wäre . . . Am 15, Oktober bekomme ich ja
niein Geld, aber bis dahin, ich bin auch
ziemlich fremd in Wien, — ohne Bekannte,
und so muss ich eben um jeden Preis, . . -
man muss doch vor Allem seinen Verpflicht-
ungen nachkommen. Das sollte jede Künst-
lerin, — wenn ich denke: Schulden!

- - . Prr!“

Sie schüttelte sich mit löblichem Abscheu
vor einem Begriff, der viele ihre Colleginnen
minder erschreckt.

«Das Prinzip macht Ihnen alle Ehre,

Fräulein Malvi!“ sagte ich mit moralischem
Ernst, und da sie so stand, dass ich ihre
Stirne nicht erreichen konnte, drückte ich
eine Art Weihekuss auf ihren Hals.

Die Künstlerin war wie versteinert. . Sie
rührte sich nicht. Mit abgewandtem Gesicht,
ihr Rad betrachtend, sagte sie vor sich hin:

«Sie wollen es wohl für eine Dame kaufen,
die Sie verehren?“ und es schien mir, als
wäre der Klang ihrer Stimme, als sie so
fragte, aus Schelmerei und Sentimentalität zu-
sammengesetzt.

Ich protestirte. „Wie kommen Sie dar-
auf? Es ist gar nicht meine Angelegenheit,
sondern die eines Freundes!“ versicherte ich.

„Ein Freund!“ wiederholte sie, und ich
errieth, dass sie ironisch lächelte, „das sagt
man immer so, wenn man einen Andern
vorschützen will.“

„Mein Wort!“ betheuerte ich.

Fräulein Malvine vollführte eine _ kleine
Kopfwendung und sah mich sehr lieblich an,
dann blickte sie sogleich auf das Rad. „Sie
werden sehen, es ist wenig benützt, — im
Ganzen drei Monate; — heben Sie, wie
leicht! Ein Kind kann darauf fahren, es ist
besser wie die amerikanischen . . .“ Während
sie so sprach, fuhr sie mit der Hand über
den Sattel und die blitzblanken Obertheile
des Rades, und ein Paar Augenblicke lang
liess sie diezartgestimmte Signalglocke spielen.

Dabei begegneten sich unsere Hände und
auf der Lenkstange blieben sie, während
wir sprachen, eine Minute lang aufeinander
ruhen.

Ich brach das stimmungsvolle Schweigen;

„Ich muss auf den delikaten und peinlichen
Punkt unseres Handels zurückkommen, es han-
delt sich — leider — um ein trockenes Ge-
schäft, das ich für den bewussten Freund hier
zum Abschluss bringen will; dürfte ich Sie
bitten, mir zu sagen, welchen Preis Sic
fordern, und wenn es mit den gegebenen
Umständen halbwegs zu vereinbaren ist, so
werde ich mich glücklich schätzen, wenn
dieser Handel zwischen Ihnen und mir...“
Ohne mich anzusehen, antwortete sie,
mit einer rührenden Unsicherheit: „Fünfzig
Gulden!“

Ich lächelte erstaunt.

„Sie grosses Kind, Sie, — man sieht:
eine echte Künstlernatur, — ein so schönes
Rad! . . .“

Fräulein Malvine seufzte, dann warf sie
den Kopf zurück, als wolle sie die Trauer
über ihre Situation abschütteln, und dieser
Geberde folgte ein resignirtes „Nun ja! Was
will man machen!“

Sie stand am Fenster und wendete mir
den Rücken zu. Ich prüfte mit wachsendem
Wohlgefallen ihre liebliche Gestalt und hielt
dabei etwa folgenden unausgesprochenen
Monolog:

„Stehst Du nicht im Begriff, eine ganz
nichtswürdige Handlung zu begehen, die
momentane Verlegenheit einer jungen Dame,
die Nothlage eines Nebenmenschen kaltblütig

_ am Deines Vortheils willen?

Du willst ihre Unerfahrenheit, ihre geschäft-
liche Untüchtigkeit, ihre künstlerische Vor-
' ’hr einen Gegen-

UgKCIl,

nehmheit missbrauchen und ihr einen Gegen-
stand entlocken, an dem vielleicht im zwei-
fachen Sinne ihr Herz hängt, der für sie die
Bedeutung einer theuren Erinnerung besitzt.
Warum willst Du Dich zu dieser Handlungs-
weise erniedrigen? Um einem Bekannten
gefällig zu sein. Welchen Werth hat dieser
Dienst, den Du ihm zu erweisen wünschest?
Ist es eine zwingende Nothwendigkeit, dass

um es

einer Dame
Was für eine
sein I Eine

Kind

er ein Rad erwirbt,
zu schenken, einer „Dame!“

Dame wird es denn am Ende
Quartalsliebe! Er mag sehen, wo er ein
Bicycle herbekommt; nein, dieses arme
solj nicht darum kommen . .

Mein Entschluss war gefasst.

„Fräulein,“ begann ich mit
eines Mannes ' I

dem Ernst
der&"in seinem Innern einen

Kampf ausgekämpft hat, und dessen guter

Genius siegte, „ich freue mich, ich schätze
mich glücklich, dass dieser Zufall mir Ihre
Bekanntschaft vermittelt hat. Ich bin ent-
zückt von Ihnen, ich fühle Etwas für Sie...

Behalten Sie Ihr Fahrrad . . .“

Malvine wandte sich um, und blickte mich

betroffen an.

„ja, behalten Sie Ihr Rad,“ wieder-
holte ich, und ich ergriff wieder ihre Hand,
die sich einen langen, warmherzigen Druck
gefallen liess, als ahnte sie die Grösse meiner
Gesinnung; „und was die genannte Summe
betrifft, so wird es mich freuen, Ihnen da-
mit dienen zu können . . .“

„Oh, ich bitte, — nein!“ . . . wehrte

Malvine ab, „auf keinen Fall, wofür halten
Sie mich ?“

„Nicht als Geschenk,“ ergänzte ich, um
ihren edlen Widerstand zu brechen, „wenn
Ihre momentane Verlegenheit beseitigt sein
wird, steht es Urnen frei, die Bagatelle dann
als Darlehen anzusehen . . .“
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