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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 30 (23. Juli 1898)
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1898

JUGEND

«

Nr. 30

„Oh, wie soll ich Ihnen danken!'“ rief
die kleine Schauspielerin.

Kein Wort von Dank erwiderte ich, in-
dem ich sie auf den Mund küsste.

Seit diesem Erlebniss waren zwei Tage

vergangen.

Zufällig traf ich in einem Restaurant mit
dem radsuchenden Dichtersmann zusammen.

„Entschuldigen Sie,“ begann ich, „wenn
ich Ihnen wegen des Rades noch keinen
Etscheid gab. Glauben Sie nicht, dass ich
unthätig war, aber ich bin seit ein paar
lagen durch eine Privatangelegenheit in An-
spruch genommen . .

„Aber bitte; ja richtig,“ entgegnete er
®'frig> „dass ich nicht vergesse, die Sache
ist erledigt, bemühen Sie sich nicht weiter.

„Wieso?“

„Ich hab’ schon ein Bicycle, sehr billig,
ein grossartiger Gelegenheitskauf.“

„So, wie denn das?“ .

„Denken Sie, ein fast neues Damenrad für
ein Spottgeld. Es gibt eben im menschlichen
Leben Verhältnisse, unter deren Zwang . . .

„Ja, ja, ich weiss, aber erzählen Sie!

„Durch ein Inserat bin ich drauf gekom-
men. Gestern war ich dort. Eine reizende,
kleine Person empfängt mich, ich rieche
gleich Schminke, eine Theaterdame; Sie
verstehen: ohne Engagement, von ihrem
Verehrer aufgegeben, in Wien fremd, das
sind zwingende Umstände. Sie braucht Geld,
und das Geschäft war bald gemacht. Neben-
bei ein allerliebster kleiner Käfer. Blond,
zierlich, jung und vor allem anständig, hoch-
anständig. Ich habe eine angenehme Stunde
mit ihr verplaudert.“

„Ueber das Verkaufsobjekt?“

„Ah, die Affaire war mit ein Paar Wor-
ten erledigt. Nein, sie erzählte mir die Ge-
schichte ihrer ersten Liebe, sehr interessant,
aber im Grund die alte Geschichte: ein junger
Cavallerie-Offizier, ein unerfahrenes Mädchen,
Sommer, -— Radpartien zu Zweien, — Blu-
men, — Schmuck, — Abschiedsbrief, —
standesgemässe Verlobung des aristokratischen
Verehrers. O, wenn diese blaublütige, stolze
Adelsgesellschaft wüsste, wie viele Opfer
sie heischt, wie viele brave bürgerliche Mäd-
chenherzen ihretwegen verrathen, getäuscht,
gebrochen, verlassen werden! Schade um
dieses Mädchen, hübsch und gemüthvoll,
keine gewöhnliche Theaterprinzessin.“

„So? Na und — —“

„Was ,und‘ ? Es scheint, dass ich einen
guten Eindruck auf sie gemacht habe. Schrift-
steller und Theaterleute, da besteht ja so
wie so ein gewisser Zusammenhang; wir
haben uns angefreundet, Händedrücke und
wie es schon geht, zuletzt —“

„Nun, zuletzt?“

„Sie sind sehr ungeduldig, Vereintester,
indem Sie mich immer unterbrechen. Sie
können sich doch denken, was folgte; zuletzt
habe ich ihr einen Kuss gegeben, zur Be-
siegelung unseres Kaufvertrages.“

„Brav!“ erwiderte ich ironisch.

„Gelegenheit macht Diebe. Ein bischen

muss man sich doch auf seinen Vortheil
verstehen.“

„Hm, ich dächte, den hätten Sie schon
durch das gute Geschäft erreicht. Sich da-
bei auch noch einen Kuss herauszuschlagen 1“

Der Schriftsteller stiess mich an. „Gehen
Sie doch, als ob Sie’s an meiner Stelle an-
ders gemacht hätten!“ sagte er mit leicht-
fertiger Laune. „Warum denn auf einmal so
moralisch 1“

R. M. Eichler (München),

„Ich hätte Sie für einen grösseren Idealisten
gehalten,“ bemerkte ich mit geheimem Ver-
druss, „nun sehe ich, dass Sie kein übler
Geschäftsmann sind.“

„Ah, das Compliment kann ich nicht an-
nehmen. Uebrigens mir wäre dieser Kuss
den Kaufpreis des Rades werth gewesen, —
fünfzig Gulden, -— die Erinnerung daran ist
mir so viel werth!“

„Wirklich?“

„Mein Wort.“

„Ihr Ehrenwort?“

„Was haben Sie denn? Natürlich, mein
Ehrenwort.“

„Nun, und haben Sie das Rad schon ab-
geholt? Nein, morgen Abend gehe ich
wieder hin, ich hole es selber ab,“ schmun-
zelte der Pfiffikus.

„So? nun mir fällt ein, dass Sie sich gar
nicht zu bemühen brauchen, ich wollte Ihnen
vorhin sagen, dass ich ja Ihren Auftrag
schon ausgeführt habe; ich habe ein wunder-
schönes Rad für Sie gekauft. Morgen früh
haben Sie es.“

„O1“ stotterte der überraschte Dichter,
„das ist — hm, •— entschuldigen Sie, so
billig wie das Meine ist es gewiss nicht?“
„Fünfzig Gulden. Alles inbegriffen!“
„Das ist auch mein Kaufpreis. Aber ich
verstehe Sie nicht!“

„Ist am Ende auch gar nicht nothwendig.
Also morgen ist das Rad bei Ihnen. Fünf-
zig Gulden, Alles inbegriffen.“

Die willkommene Dazwischenkunft eines
Dritten machte unserer Unterredung ein Ende.
Bald darauf trennten wir uns, noch ehe es
ihm möglich war, auf die Angelegenheit
zurückzukommen.

Ich eilte nach Hause und richtete an
Fräulein Malvine einige Zeilen, deren Inhalt
man mir nach dem Vorgefallenen kaum ver-
argen wird. Ich erklärte ihr in verbindlichen
Worten, dass ich ihren ausdrücklichen Wunsch,
die bewusste Summe nur als Darlehen an-
zusehen, als durchaus berechtigt anerkenne
und begreife, dass sie ihrem Ruf und ihrer
Moral diese Bedingung schuldig sei, dass ich
aber weder jetzt, noch später die Rückerstatt-
ung in Baar beanspruchen wolle, vielmehr
auf die Erwerbung des Rades zurückkommen
möchte. Meine älteren Ansprüche würden
sie jeder, etwa mittlerweile eingegangenen
Verpflichtung entheben.

Ich rechnete so: fünfzig Gulden von mir,
fünlaig Gulden von ihm, macht zusammen
hundert Gulden. Das ist ein anständiger
Kaufpreis für ein gebrauchtes Rad. Nun
und was den Kuss betrifft, so scheint der
bei ihr nur eine Formalität gewesen zu sein,
die nicht in Rechnung zu bringen ist.

Fräulein Malvine hat also ein ganz gutes
Geschäft mit ihrem Rad gemacht. Und was
den Freund Dichtersmann betrifft, so kann
er damit zufrieden sein, für fünfzig Gulden
ein Rad erworben zu haben.

Seine fünfzig Gulden repräsentiren das
Aequivalent für den empfangenen Kuss, der
nach seiner ehrenwörtlichen Versicherung
so viel werth war. Dichter und Idealisten
schätzen solche Dinge vielleicht ein bischen
zu hoch ein, aber das ist ihre Sache.

Nun und ich bin am Ende auch nicht
gerade zu kurz gekommen, wenn man nicht
etwa die Erschütterung meines Kinderglaubens,
und die Zerstörung einer kleinen, flüchtigen
Illusion in Anschlag bringen will.

Und so ist uns Dreien geholfen, und aucn
der unbekannten Vierten, die inzwischen schon
auf Malvinens Rad in den Prater fährt.

PAUL V. SCHÖNTHAN.

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Reinhold Max Eichler: Die Arkaden zu München
 
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