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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 31 (30. Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0083
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Nr. 31

Mal lebendige Wesen. Die Mövcn wirbeln
in den grauen Lüften wie lange schmale
weissblitzende Tuchfetzen.

Der feuchte Sand beginnt zu schwanken,
zu sinken. Es ist, als wolle alles Zusam-
menstürzen.

Gott sei Dank I Da draussen etwas Leben-
diges, Menschliches! — Ein Boot! — Ein
Fischerboot mit seinem weissen Segel I ...

Meergeruch

Es ist ein Regen gewesen und eine
Frische in der Luft. Ein feuchter Wind
weht schräg über die Weite gegen den
Strand heran.

Man kauert zwischen den braunrothen
Tanghaufen, hört, wie der letzte Schaum
der Brandung an ihnen verzischt, und sucht
mit den Kindern um die Wette nach den
kleinen gelben Bernsteinstückchen, die das
Gerank birgt und athmet diesen thranigen
Fischgeruch ein, den die Weiten mit der
fröhlichen Brise herüberschicken wie einen
fernen, wunderlichen Gruss; und nun sieht
man zwischen den rothen Korallenwäldern
der Tiefen all' diese absonderlichen Meer-
geschöpfe mit ihren Glotzaugen und aben-
teuerlichen Körpern ... Der äusserste Rand
des Tanges schillert von dem Gallerte
zerquetschter Quallen.

Und immer der Duft, der frische Thran-

geruchl — Das Meer, der Schöpfer der
Lebewesen I Die Wiege des Ursprunges! —
Dieser animalische, primitive Geruch I —

Man athmet ihn tief ein und hat so
eine Empfindung, als müsse er einem sehr
gesund sein . . .

Mondnacht

Ich lehne zu meinem Giebelfensterchen
hinaus in die köstlichen Düfte der Nacht.

Mondnacht I —

Die uralte Weltenschlange entfaltet die
ganze mystische Pracht ihrer furchtbaren
Erhabenheit . . . Ihr verschleiertes mono-
tones Grollen wirkt wie eine unendlich
tiefe Ruhe, wie ein gigantisches Behagen,


Nr. 31


Moritz Weinholdt (München).

_ ,, evil utuu ljima una wenn

die unsägliche Wonne ihrer Sehnsucht übei
die schweigende, lauschende, lichtdäm
mernde Nachtöde des Strandes. — Wem
es Winter ist, wird sie zur rasender Bruns
werden und sie wird die riesigen Arme ihrei
Springfluthen über den Geliebten breiten
ihn in ihren brünstigen Schoos zu ziehen..

Aber jetzt weint sie nur leise, besänf
tigt von der erhabenen Anmuth der klarer
gefriedeten Höhen und gleisst und lock
und singt die süssesten Sirenenlaute, wit
die holden Vorwürfe einer ewig beharr
liehen, ewig unglücklichen und ungestillter
Liebe .. .

Oie Meerweibchen

Der Mond scheint so klar, dass ich nicht
einschlafen kann. Das ganze Zimmer ist
mit seinem Glast erfüllt. Ich werde warten
müssen, bis er nicht mehr so grell auf den
Fenstern liegt, dass ich werde schlafen
können. —

Diese unsagbare Stille! — Diese beinah
übernatürliche Stille, noch vertieft durch
das verschleierte Brausen der Brandung
aus der Tiefe! — Nur der Glast! — Nur
dieses taghelle Mondlicht! —

Ich sehe gerade auf die blauen Leinen-
vorhänge mit ihren braunen Landschaften.
So klein die Fensterchen sind, die Ron-

leaux reichen doch nicht bis auf’s Brett
herab. Sie können auch das Licht nicht
abhalten und sind ganz transparent.

Man glaubt nun, wie man so daliegt,
an das Unbekannte; man fühlt es, sieht
es, so gut man es eben sehen kann und
spürt seinen alten magischen süssen Bann ...

Und man glaubt und weiss: das sehn-
süchtige Lied der Brandung wird Gestalt.
Und aus dem weissen glitzernden Gischt
löst es sich und wandelt mit dem feuchten
Saum meergrüner Gewandung, mit grossen
meerdunklen Augen im lieblichen Rund
weisser Gesichter über die geisternde
Strandfläche, zwischen den Dünen hin, die
Höhe herauf, durch den Mond . . .

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