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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI issue:
Nr. 31 (30. Juli 1898)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0084

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Nr. 31

JUGEND

1898

Julius Diez (München).

Die Cournüre kommt!

Sic nahtl — Ich spüre, sozusagen
Ihr fernes Flügclschlagcn schon
Und manche Jungfrau wird sie tragen
Der Tugendhaftigkeit zum Hohn —

Und wißt Ihr, was ich ahn' und spüre?
Es ist das Scheusal, die Touvnürc!

wo im Gebiß die schwarze Lücke
wie öde Fensterhöhlen gähnt,

Dicnt's förmlich zu der Menschheit Glücke,
wen» sich die Holde neu bezähm,

Und an dein Fräulein auf dem Rade
Schmäht nur ei» Thor die falsche Wade!

Und. das Lied wird ein flüsterndes, wis-
perndes überaus feines Stimmchen unten
im Garten. Das sind die feinen Kinder-
stimmchen der Meerweibchen, die einem
in solchen Nächten das Herz sehnsüchtig
flüstern . . .

Es ist ihre Lust, in dieser Stunde zwi-
schen den stillen Kathen der Menschen
hinzuwandeln und mit scheu lächelnden
Augen so im Vorüber in die dunklen
Fenster zu lugen . . .

Aber na ja: am Morgen weiss man
dann, es waren nur die Vögel, die in dem
hellen Mondglast träumten . . .



Gedanken

Lin Wunderkind, das heißt, ein um
seine Kindheit betrogenes Kind.

Viele Männer gibt es, viele Zrauen,
die vernünftig sind im Umgang mit dem
eigenen und ach, so albern im Umgang
mit dem andern Geschlecht!

vertrauensselig — ein schönes Wort,
vertrauen macht selig, ob man es hat, ob
man es einsiößt.

Die kleinen Miseren des Lebens lenken
uns oft von dem großen Llend des Lebens
ab.

ZNar.e von Ldner-Lschenbach.

Seidenwurm und Stiege

Die Insekten waren empört über den Seiden-
wurm. „Die Arroganz, mit der dieses Ge-
schöpf sich einspinnt und von aller vielt ab-
sondert, ist unglaublich I Sein Dünkel über-
steigt alle Grenzen! Und das Alles um das
bischen Seidel" So brummte das Krabbelzeug.
Am lautesten aber raisonnirte und rumorte
eine gewöhnliche Stubenfliege.

Da geschah es eines Tages, daß diese Fliege
auf einem Teller eine nach ihrer Meinung
besonders schöne und kräftige Spur zuriickließ.
„lfm", summte sie, in liebevolle Betrachtung
ihres Werks versunken, „schließlich ist der Stolz
auf ein bedeutendes Lrzeugniß ja begreiflich.
Ich habe dem Seidenwurm unrecht gethan;
ich fange an, ihn zu verstehen."

von nun an blickte sie kein Insekt mehr
an; sie verkehrte nur noch auf den vornehmsten
Thieren und spreizte sich täglich mehr, bis
eines Tages ein Pferd, gegen das sie zudring-
lich wurde, sie beiläufig mit seinem Schweif
erschlug. «tt» .ernst.

Erfunden von frivolen Weibern,

Die stets nad) dem vertrackten fpäh'n,
Soll sie an Euren keuschen Leibern
Sich wie ein Viertels Globus bläh'n?

Soll rücklings zittern, wackeln, schwanken?
Mir schaudert schon bei dem Gedanken!

Bevor Ihr Eure Anmuth meuchelt,

Ihr holden Mägdelein, bedenkt:

Es hat mit dem, was sie nur heuchelt,
Natur Euch so sdzon reich beschenkt I
wollt Ihr vom Edlen zum Enormen
vergröbern Eure Rörpcrformen?

Nein, was ich schmähe, was ich sd)elrc,
wogegen meine Leier schreit,

Das ist die künstlich aufgcsdiwelltc,

Ist die verlogne Siysamkeitl
Es spottet jeglicher Beschreibung
Die Thorhcit solcher Uebertrcibungl

Den» wer mit diesem Wulstgerüste
Sid) ausstaffirt der Glieder Bau,

Der mahnt buchstäblich an die wüste
Bizarre HottcntStkcnfrau — —

Nur daß bei jener echt und wahr ist,
was hier aus Rohr und pfcrdehaar ist!

Id) will'» nid)t prinzipiell verhöhnen,
wenn, wo Natur am Stoff gespart,

Das zicrlid-e Geschlecht der Schönen
Sid) klüglich hilft auf seine Art —

Doch nur mit Mäßigung gebrauch' cs
Den wcid)cn Flaum des Baumwollstrauchcs!

Auch wenn in Miedern oder Blouscn
Die Schwellung fehlt, die reizend mad)t,
Sei ein diskreter Gummibusen
Nid)t a priori schon verlacht!

Auch wo das Haar wird kurz und spärlich,
Sei Manche lieber „falsch", als ehrlich!

O Mägdlein, laßt Euch nicht bethören,

Dies Raffcrnblcndwerk anzuzieh'nl
Mich treuen Eckart müßt Ihr hören
Und dann vielleicht verschmäht Ihr ihn,

Den cul, den ausgestopften. Hindern
wcrd id>'s »id)t ganz, doch möcht ich's mindern.

Symbolisch wcrf' id) die Tournüre
Jetzt in die rothc Opfergluth,
wo id) die Rachcflammcn schüre
Mit deutscher Zucht und deutsd)cr wuth!
Seht her: sie lodert auf im Feuer,

Das angebrannt der Biedermeier

lniit ei).

Aus der Mappe des Lerrn Reporters Don Loyala,

Spezialisten für Hof- und Familiennachrid>ten.

Der Engel von DinstSda. In dem idhll-
isäien, reizenden Curort Dingsda weilt bekannt-
lid) zur Zeit Ihre königlid), kaiserliche und groß-
herzogliche Hoheit Prinzessin Mclanie-Euphrosine
zunr Landaufenthalt, wo sie sich durä) ununter-
brochene Züge von Wvhlthütigkeit, himmlischer
Milde, wahnsinniger Sittenreinheit, fabelhafter
Güte, göttlicher Anmuth, hoheitsvoller Herab-
lassung, grenzenloser Menschenliebe und nie da-
gewesener Barmherzigkeit bereits den Ehrennamen
„der Engel von Dingsda" erworben hat.
Höchstihr goldenes Herz zeigte die Prinzessin erst
jüngst wieder, als man ihr mittheilte, eine arme
Arbeitersfrau sei mit Drillingen niedergekommen.
Die hohe Frau sandte der armen Wöchnerin so-

fort eine reizende, selbst gezeichnete, sd>erzhaste
Gratulationskarte, welche einen Stord) darstcllt,
welcher aus einem Teiche drei kleine Kinder fischt
welche sehr vergnügt dareinsehn. Außerdem er-
hielt die Frau von der Prinzessin ein Theebrctt
in Holzbrandmalerei und einen gebundenen Jahr-
gang der Zeitschrift „Die Kindermode." — Die
hohe Dame ging jüngst über die Curhansprome-
nade und zeigte dabei ihre enorme Anspruchs-
losigkeit ans eklatante Weise dadurch, daß sie einen
ganz einfachen, schwarzseidenen Regenschirm trug
wie eine ganz gewöhnliche Sterblick>e. Mit be-
glückender Leutseligkeit dankt Prinzessin Melanic-
Euphrosine den Passanten für jeden Gruß und sie
fürchtete neulich nicht, sich in ihrer Würde etwas

52»
Index
Ki-Ki-Ki: Aus der Mappe des Reporters Don Loyola
Marie Frf. v. Ebner-Eschenbach geb. Gräfin Dubsky: Gedanken
Otto Ernst: Seidenwurm und Fliege
Biedermeier mit ei: Die Tournüre kommt!
Julius Diez: Zeichnung zum Gedicht "Die Tournüre kommt!"
 
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