1898
JUGEND
Nr. 31
Die Violine
Lin populär-wissenschaftlicher Vortrag
HMie Violine ist die Königin der Instrumente, schon ihres bescheidenen
^ Umsanges wegen, der es ermöglicht, sie fast überallhin mitzunehmen,
selbst auf Landparthien. Dadurch unterscheidet sie sich vortheilhaft von
der Orgel.
Die Violine wird in verschiedenen Größen hergestellt: Die größte
d°ißt Baßgeige und wird stehend gespielt, eine etwas kleinere, die
Zwischen den Knieen gehalten wird, heißt deshalb Lello, die nächst
kleinere, die sitzend oder stehend gespielt werden kann, nennt man
Bratsche, die kleinste, daher billigste und verbreitetste wird schlechtweg
Bioline (Geige) genannt.
Wir unterscheiden an der Violine verschiedene Theile.
Zunächst den Kasten. Derselbe ist mehr oder weniger verziert, oder
ganz schlicht, hLafig schwarz, manchmal Heller lackirt. Für den ersten
Unterricht genügt aber auch ein Ueberzng ans Wachstuch oder Leder. Der
Geigenkasten enthält verschiedene Utensilien zur pflege und Wartung des
Instruments, gewöhnlich auch ein seidenes Taschentuch, mit welchem
die Geige nach jedesmaliger Ingebrauchnahme gut zugcdeckt wird.
Ferner enthält der Kasten etwas Lolophonium. In Gegenden,
wo dies nicht zu haben ist, thut jedes andere kjarz dieselben Dienste.
In einer besonderen Abthcilung erblicken wir einen Vorrath von Saiten,
die aus gut ausgetrockneten Schafdärmen bestehen. Ulan thnt am besten,
dieselben fertig zu kaufen, da ihre Herstellung zeitraubend und umständ-
lich ist. In jeder größeren Handlung sind solche Saiten vorräthig.
Der Geigenkasten bietet ferner noch Raum für die Geige selbst. Die-
selbe besteht aus dem hübsch polirten Geigenkörper und dem Geigen-
hals mit seinem charakteristischen Schneckenfortsatz. Um dem Körper
ein gefälliges Aussehen zu geben, versieht man ihn zum Uebcrfluß auch
noch mit zwei F-förmigen Einschnitten.
vom Geigcnhals bis zum Geigen-Ende laufen die Saiten, die ein
aufrecht stehendes Holzblättchcn, den Steg, festhalten. Ulan verleiht
diesem Steg gleichfalls ein gefälligeres Aussehen, indem man durch An-
bringung von runden Löchern den Käse nachahmt.
Die Geige wird nur mit vier Saiten bespannt, daher sind auch nur
kurze Stücke darauf zu spielen. Der Geigenbauer ist sich dieses Mangels
wohl bewußt, ohne ihm abhelfen zu können.
Der Geigenbogen — seiner gestreckten Form wegen so genannt—
ist seiner ganzen Länge nach mit Roßhaaren bezogen, die bei neuen Lxem-
plaren schwarz sind, später aber zu ergrauen pflegen und oft ganz weiß
sind. Auch diese Bögen kauft man am besten fertig, sie werden in jedem
größeren Geschäft vorräthig gehalten, wünscht der Spielende nicht gehört
zu werden, so setzt er den Dämpfer (Sordine) auf, der aus einem
zackigen Holzstücke besteht und leicht in der Westentasche verborgen werden
kann.
Man erzielt durch das Aufsetzen dieses Dämpfers oft sehr schöne
Wirkungen, und der billige Anschaffungspreis macht es jedem Spieler
möglich, sich damit zu versehen.
Nicht alle Violinen sind gleich gut. Der Anfänger braucht indeß
keineswegs gleich nach einer neuen Geige zu greifen, es thut's auch ein
altes Instrument, und man findet solche darunter, die noch einen ganz
guten Klang haben.
Bei Ankauf einer Geige nehme man stets einen Freund mit, und
hüte sich vor Uebervortheilung und Täuschung. Durch künstliche Mittel
wird oft ganz alten Instrumenten ein neues Ansehen gegeben und gewissen-
lose Händler bringen oft Instrumente in den Handel, die notorisch ein
paar hundert Jahre alt sind. Bei keinem andern Musik-Instrument duldet
die Gewerbe-Ordnung einen solchen Unfug!
Jedenfalls dringe man darauf, daß der Verkäufer auf der Geige,
die man zu erwerben wünscht, ein beliebiges S-ück zum Vortrag bringe.
Nach dieser Probe wird jeder sehen, woran er ist.
Die Violine soll nicht an sehr feuchten oder zu heißen Orten auf-
bewahrt worden, da die Politur darunter leidet.
Paul von Schönthan.
Lieber Leser, sieh Dir mal die Berliner „Germania" gegen da3
Licht an — und Du wirst sie durchschauen!
zzoa
JUGEND
Nr. 31
Die Violine
Lin populär-wissenschaftlicher Vortrag
HMie Violine ist die Königin der Instrumente, schon ihres bescheidenen
^ Umsanges wegen, der es ermöglicht, sie fast überallhin mitzunehmen,
selbst auf Landparthien. Dadurch unterscheidet sie sich vortheilhaft von
der Orgel.
Die Violine wird in verschiedenen Größen hergestellt: Die größte
d°ißt Baßgeige und wird stehend gespielt, eine etwas kleinere, die
Zwischen den Knieen gehalten wird, heißt deshalb Lello, die nächst
kleinere, die sitzend oder stehend gespielt werden kann, nennt man
Bratsche, die kleinste, daher billigste und verbreitetste wird schlechtweg
Bioline (Geige) genannt.
Wir unterscheiden an der Violine verschiedene Theile.
Zunächst den Kasten. Derselbe ist mehr oder weniger verziert, oder
ganz schlicht, hLafig schwarz, manchmal Heller lackirt. Für den ersten
Unterricht genügt aber auch ein Ueberzng ans Wachstuch oder Leder. Der
Geigenkasten enthält verschiedene Utensilien zur pflege und Wartung des
Instruments, gewöhnlich auch ein seidenes Taschentuch, mit welchem
die Geige nach jedesmaliger Ingebrauchnahme gut zugcdeckt wird.
Ferner enthält der Kasten etwas Lolophonium. In Gegenden,
wo dies nicht zu haben ist, thut jedes andere kjarz dieselben Dienste.
In einer besonderen Abthcilung erblicken wir einen Vorrath von Saiten,
die aus gut ausgetrockneten Schafdärmen bestehen. Ulan thnt am besten,
dieselben fertig zu kaufen, da ihre Herstellung zeitraubend und umständ-
lich ist. In jeder größeren Handlung sind solche Saiten vorräthig.
Der Geigenkasten bietet ferner noch Raum für die Geige selbst. Die-
selbe besteht aus dem hübsch polirten Geigenkörper und dem Geigen-
hals mit seinem charakteristischen Schneckenfortsatz. Um dem Körper
ein gefälliges Aussehen zu geben, versieht man ihn zum Uebcrfluß auch
noch mit zwei F-förmigen Einschnitten.
vom Geigcnhals bis zum Geigen-Ende laufen die Saiten, die ein
aufrecht stehendes Holzblättchcn, den Steg, festhalten. Ulan verleiht
diesem Steg gleichfalls ein gefälligeres Aussehen, indem man durch An-
bringung von runden Löchern den Käse nachahmt.
Die Geige wird nur mit vier Saiten bespannt, daher sind auch nur
kurze Stücke darauf zu spielen. Der Geigenbauer ist sich dieses Mangels
wohl bewußt, ohne ihm abhelfen zu können.
Der Geigenbogen — seiner gestreckten Form wegen so genannt—
ist seiner ganzen Länge nach mit Roßhaaren bezogen, die bei neuen Lxem-
plaren schwarz sind, später aber zu ergrauen pflegen und oft ganz weiß
sind. Auch diese Bögen kauft man am besten fertig, sie werden in jedem
größeren Geschäft vorräthig gehalten, wünscht der Spielende nicht gehört
zu werden, so setzt er den Dämpfer (Sordine) auf, der aus einem
zackigen Holzstücke besteht und leicht in der Westentasche verborgen werden
kann.
Man erzielt durch das Aufsetzen dieses Dämpfers oft sehr schöne
Wirkungen, und der billige Anschaffungspreis macht es jedem Spieler
möglich, sich damit zu versehen.
Nicht alle Violinen sind gleich gut. Der Anfänger braucht indeß
keineswegs gleich nach einer neuen Geige zu greifen, es thut's auch ein
altes Instrument, und man findet solche darunter, die noch einen ganz
guten Klang haben.
Bei Ankauf einer Geige nehme man stets einen Freund mit, und
hüte sich vor Uebervortheilung und Täuschung. Durch künstliche Mittel
wird oft ganz alten Instrumenten ein neues Ansehen gegeben und gewissen-
lose Händler bringen oft Instrumente in den Handel, die notorisch ein
paar hundert Jahre alt sind. Bei keinem andern Musik-Instrument duldet
die Gewerbe-Ordnung einen solchen Unfug!
Jedenfalls dringe man darauf, daß der Verkäufer auf der Geige,
die man zu erwerben wünscht, ein beliebiges S-ück zum Vortrag bringe.
Nach dieser Probe wird jeder sehen, woran er ist.
Die Violine soll nicht an sehr feuchten oder zu heißen Orten auf-
bewahrt worden, da die Politur darunter leidet.
Paul von Schönthan.
Lieber Leser, sieh Dir mal die Berliner „Germania" gegen da3
Licht an — und Du wirst sie durchschauen!
zzoa