JUGEND
1898
Nr. 31
Ein findiger Kopf
roße Verlegenheit herrschte in der galizischen Judengemeinde X. Man
war von einer benachbarten Judengemeinde in Prenßisch-Schlesien
um die Verleihung eines Schaars oder Blashornes für ein großes
religiöses Fest gebeten worden, und wollte den Glaubensgenossen auch
damit zu Hilfe kommen; leider aber wurde au der Grenze für ein solches
Instrument Zoll verlangt. Man berathschlagte lange hin und her, ohne
einen Ausweg zu finden; endlich kam die Kunde von der Sache auch
an das älteste Gemcindemitglied. Gegen eine kleine Belohnung erklärte
sich derselbe im Stande, das Schofar durch den preußischen Zoll zu bringen.
Mit einigen ihn stützenden Begleitern machte er sich auf den weg, wo-
bei er zur Bestürzung der übrigen das Schofar offen in der Hand trug.
So kam man an die Grenze, „Haben Sie etwas Zollbares?" fragte die
wache, „was sagen Sie?" entgegnete der alte Moses, und setzte das
Born als Hörrohr an das Bhr. Die wache ließ ihn ruhig passiren, und
so gelangte das Schofar unverzollt an den Grt seiner Bestimmung.
C. M.
Letzte Worte
reiche Kleinhändler pantsch lag im Sterben. In seinen
letzten Zügen rief er noch seinen jüngsten Sohn und Liebling an's
Bett. „Schließe die Thüren und Fenster, sorge dafür, daß Niemand
horcht, und nun will ich Dir ein Geheimniß anvertrauen, mein
Sohn: .Man kann auch Wein aus Trauben machen und.“
Da starb er.
Die ganze Gegend kam zum Begräbniß, denn pantsch war
ein reicher Mann und fast alle Weingutsbesitzer des Landes waren
seine Schuldner und hatten Geld von ihm geborgt.
Alles glaubte, die beiden Söhne würden das Geschäft des
Vaters übernehmen. Der jüngere Sohn hatte die letzten Worte
seines Vaters als Nath aufgefaßt, ließ sich von dem älteren Bruder
den Geschäftsantheil ausbezahlen, heirathete und gründete in einer
anderen Stadt ein eigenes Weingeschäft. Lr kaufte Weingüter
und verkaufte nur selbstgekelterten Naturwein. —
Mit seinem Vermögen ging es aber abwärts, und als er älter
wurde, waren seine Güter mit Hypotheken überlastet. Die Sorgen
brachten ihn früh auf's Sterbelager, und als er den Tod nahen
fühlte, da rief er seine Kinder zu sich: „Deffnet Fenster und Thüren,
damit Jedermann höre, was ich zu sagen habe." Nachdem sich
die Familie und viele Leute der Nachbarschaft an seinem Bett ver-
sammelt, rief der Kranke mit Anspannung seiner letzten Kräfte:
„Man kann keinen Wein aus Trauben machen und.“
Da starb er.
Bei der Beerdigung fiel nur ein äußerst eleganter Zweispänner
auf — er gehörte dem älteren Bruder des Verstorbenen. R N
Was die Leute sagen
„wohlauf, die Luft gehr frisch und rein, wer lange fitzt muß
rosten" — sang der Zuchthäusler, da brach er aus.
„was liegt mir daran?" fragte erstaunt der junge Mann; da
lag ihm eine hcirathswüthige Jungfrau an der Brust.
„Man soll sich nicht mit Füßen treten lassen" — sagte das
Bicpclc, da warf cs seinen Reiter in den Graben.
„Lberebsr In komme" — rief der bankerotte Graf, weil er
eine reiche Partie machen mußte.
„Das geht mir denn doch über die Hutschnur" — sagte der
Nichtschwimmer, als er in's Wasser fiel und untcrging. D
Herausgeber: Dr. GEORG H1RTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTIN1; G. HIKTH’l Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICIIMANN; sirumtlich in München.
Druck von KNORR 8c HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
1898
Nr. 31
Ein findiger Kopf
roße Verlegenheit herrschte in der galizischen Judengemeinde X. Man
war von einer benachbarten Judengemeinde in Prenßisch-Schlesien
um die Verleihung eines Schaars oder Blashornes für ein großes
religiöses Fest gebeten worden, und wollte den Glaubensgenossen auch
damit zu Hilfe kommen; leider aber wurde au der Grenze für ein solches
Instrument Zoll verlangt. Man berathschlagte lange hin und her, ohne
einen Ausweg zu finden; endlich kam die Kunde von der Sache auch
an das älteste Gemcindemitglied. Gegen eine kleine Belohnung erklärte
sich derselbe im Stande, das Schofar durch den preußischen Zoll zu bringen.
Mit einigen ihn stützenden Begleitern machte er sich auf den weg, wo-
bei er zur Bestürzung der übrigen das Schofar offen in der Hand trug.
So kam man an die Grenze, „Haben Sie etwas Zollbares?" fragte die
wache, „was sagen Sie?" entgegnete der alte Moses, und setzte das
Born als Hörrohr an das Bhr. Die wache ließ ihn ruhig passiren, und
so gelangte das Schofar unverzollt an den Grt seiner Bestimmung.
C. M.
Letzte Worte
reiche Kleinhändler pantsch lag im Sterben. In seinen
letzten Zügen rief er noch seinen jüngsten Sohn und Liebling an's
Bett. „Schließe die Thüren und Fenster, sorge dafür, daß Niemand
horcht, und nun will ich Dir ein Geheimniß anvertrauen, mein
Sohn: .Man kann auch Wein aus Trauben machen und.“
Da starb er.
Die ganze Gegend kam zum Begräbniß, denn pantsch war
ein reicher Mann und fast alle Weingutsbesitzer des Landes waren
seine Schuldner und hatten Geld von ihm geborgt.
Alles glaubte, die beiden Söhne würden das Geschäft des
Vaters übernehmen. Der jüngere Sohn hatte die letzten Worte
seines Vaters als Nath aufgefaßt, ließ sich von dem älteren Bruder
den Geschäftsantheil ausbezahlen, heirathete und gründete in einer
anderen Stadt ein eigenes Weingeschäft. Lr kaufte Weingüter
und verkaufte nur selbstgekelterten Naturwein. —
Mit seinem Vermögen ging es aber abwärts, und als er älter
wurde, waren seine Güter mit Hypotheken überlastet. Die Sorgen
brachten ihn früh auf's Sterbelager, und als er den Tod nahen
fühlte, da rief er seine Kinder zu sich: „Deffnet Fenster und Thüren,
damit Jedermann höre, was ich zu sagen habe." Nachdem sich
die Familie und viele Leute der Nachbarschaft an seinem Bett ver-
sammelt, rief der Kranke mit Anspannung seiner letzten Kräfte:
„Man kann keinen Wein aus Trauben machen und.“
Da starb er.
Bei der Beerdigung fiel nur ein äußerst eleganter Zweispänner
auf — er gehörte dem älteren Bruder des Verstorbenen. R N
Was die Leute sagen
„wohlauf, die Luft gehr frisch und rein, wer lange fitzt muß
rosten" — sang der Zuchthäusler, da brach er aus.
„was liegt mir daran?" fragte erstaunt der junge Mann; da
lag ihm eine hcirathswüthige Jungfrau an der Brust.
„Man soll sich nicht mit Füßen treten lassen" — sagte das
Bicpclc, da warf cs seinen Reiter in den Graben.
„Lberebsr In komme" — rief der bankerotte Graf, weil er
eine reiche Partie machen mußte.
„Das geht mir denn doch über die Hutschnur" — sagte der
Nichtschwimmer, als er in's Wasser fiel und untcrging. D
Herausgeber: Dr. GEORG H1RTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTIN1; G. HIKTH’l Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICIIMANN; sirumtlich in München.
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