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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 33 (13. August 1898)
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Nr. 33

JUGEND

1898

Robert Engels (Düsseldorf).

Der schöne KnaSe

von Hugo Salus, mit einer Zeichnung von
Rodert Engels (Düsseldorf).

Mreund, gib Acht auf Deinen holden

Knaben,

Lr ist schlank und schön, wie Raffael,
Und der Zrauen streichelnd weiche Blicke
Wecken bald in ihm die Leidenschaften
Also, daß ihm seine Schönheit schadet!
Lächle nicht! Fch Hab ihn heut beachtet,
Als wir nach dem Mahle uns ergötzten,
Und in hoch erhabner Silberschale
Deine schöne Magd die Früchte brachte;
Sie ist stolz von Wuchs und voll erblühend,
Und auf ihren Wangen kämpft das Roth
Mit dem weichen Weiß des jungen Halses,
Und mein Malerauge freute sich
An der schönen Linie ihres Busens
Und den Säulen ihrer runden Arme,

So die volle Früchteschale trugen.

„Sie ist herrlich wie Herodias"

Rief ich aus: da ftreift’ mein Blick den

Knaben,

Der verträumt auf ihre Schönheit starrte;
Run bemerkt er meinen schnellen Blick,
Seine Lider senkt er, wie ertappt,
f Seine bleichen Wangen glühen auf,

Und zwei Thränen rollten still hernieder.
Sr verließ den Saal. Du merktest nichts:
Freund, gib Acht auf Deinen holden

Knaben!

Ihr Alaiibe

Von Savloz (Paris)

Älfuf der Treppe der Madeleine, ZN beiden
«Ä Seilen des wundervollen, buutgewirkten,
orientalischen Teppichs, der die Stufen hinan-
führte. drängte sich neugieriges Volk zwischen
den Pflanzengruppe», mit welchen der Eingang
geschmückt war. —

Drinnen in der Kirche hielt eine elegante
Versammlung Schiff und Seitenchöre beseht.

Mit ihren zarten ParfüniS, die sich mit dem
Duft der Blumen vermischten, dem Rascheln
ihrer seidenen Unterkleider, das gleich einer
profanen, lockenden Musik zum Altäre empor-
drang, schienen die Frauen, die sich an diesem

Frühlingstage hier an diesem Orte, weit eher
ein Rendezvous der Eleganz und der Weltlich-
keit als ein Heiligthum des Glaubens, getroffen,
nur eine schwache Ahnung zu besitzen, wo sic
sich eigentlich befanden.

Die Umgebung stimmte übrigens zu dieser
Illusion.

Es märe schwer gewesen für diese hübschen
Puppen, in dieser Kirche — einer Art griech-
ischen Tempels, der nichts von christlicher Mystik
an sich hatte, und in welchem ein Fremder,
wären die Heiligenstatuen verhängt gewesen, sich
fragen konnte, welch' heidnischen Göttinnen all
diese Altäre dienten - an etwas Anderes zu
denken, als an was sie dachten: an ihre Toi-
letten, an den Flirt, der sie gerade beschäftigte,
oder an den Skandal, der augenblicklich das In-
teresse der Pariser Salons beherrschte.

Da oder dort gab eine alte Douairiore,
voll selbstbewußter Demnth über ihr Gebetbuch
geneigt, ihre frommen Gefühle einer Welt zum
Besten, die in den Kathedralen noch dieselbe
Physiognomie beibchält, die sie beim Rennen
zur Schau trägt, den Ton würdevoller Eleganz,
der ihr sonst fehlen würde.

Im Hintergründe der Kirche unterhielten
sich die Männer, lächelten, rückten ihre Monocles
zurecht, bedienten sich, wenn sic von den Frauen
sprachen, die ihnen gefielen, der gleichen Aus-
drücke, wie bei der Beschreibung ihrer Lieblings-
pferdc, und verbargen, des Wartens bereits
müde, ihr Gähnen, so gut es gehen wollte,
hinter den steifen, tadellos glänzenden Hüten.

Von Zeit zu Zeit trat ein Geistlicher ans
der Sakristei, schritt über den Chor, machte
einen raschen gleichgültigen Knix vor dem Altar
und verschwand eiligst auf der andern Seite.

Endlich machte sich am großen Portal eine
Bewegung bemerkbar, die Menge, die sich ans
der Treppe drängte, staute sich jetzt, und in
dem Augenblicke, als lUu->. Evcline Grnnbnch,
am Arme ihres Vaters, des bekannten jüdischen
Banquiers, die Kirche betrat, brach von der
Orgel eine Flnth von Harmonien los, zum
Gruße der Verlobten, Repräsentanten zweier
Dinge, welchen die Kirche stets geneigt war,
des Adels und des Geldes. —

Das junge Mädchen, sehr blaß unter ihren
schwarzen Scheiteln, mar eigenartig hübsch in
der lilicnhaftcn Weiße ihres Hochzeitsgewandes.

Unter ihrem Tüllschleier — die kostbaren
Spitzen hatte sie verschmäht — erschien ihr zarter
Körper beinahe wie etwas Aetherischcs, Durch-
sichtiges. Als sie sich dem Altäre näherte, trat
in ihre Augen ein Ausdruck grenzenlosen Glückes,

sie sandte dem Heiland einen jener Blicke z».
wie ihn die Maler der italienischen Schule
den, ersten Christinnen gaben, und als der
Vicomte d'Abrnze neben ihr ans den Betschemcl
niederkniete, stieg ans ihrem gläubigen, verlieb-
ten Mädchenherzen ein jubelnder Lobgesang
empor zu diesem Gotte, der am Kreuze gestorben,
damit sie, frei von aller Schuld, all' diese
Seligkeit genießen könne.

Sie dankte ihm gleichzeitig für den Glauben,
den er ihr gegeben und für das Geschenk, das
er ihr bot in demjenigen, der ihr Gatte sein sollte.

In ihrem jungen Glaubcnseifer fühlte sie
sich ganz von dieser Religion erfaßt, die ihr
das Paradies und die Liebe zugleich verhieß.

Als der Priester auf sic znschritt, blickte sie
schüchtern auf ihren Bräutigam.

M. d'Abrnze, sehr korrekt, merkte diesen
Blick der Verwirrung und der Dankbarkeit
gar nicht.

Er, der skeptische. Pariser, der aufgeklärte
Lebemann, fühlte die Augen von mehr als
2000 Personen ans sich gerichtet, erricth die
boshaften Bemerkungen, die neidischen Worte,
die spöttischen Redensarten der abgcwiesencn
Nebenbuhler, oder der verlassenen Maitressen.
J>n klebrigen machten weder die Worte des
Geistlichen, noch die- Klänge der Orgel, noch
die Heiligkeit des Ortes irgend einen Eindruck
mehr auf ihn. Er war wie nenn Zehntel der
Anwesenden, er glaubte nicht mehr, hielt es
aber, des guten Geschmackes wegen, für noth-
wendig, den Schein zu wahren.

Nur etwas verursachte ihm augenblicklich
einige Unruhe. Während in der ganz neuen Seele
seiner Braut alle Saiten des Glaubens und des
weiblichen Empfindens in einen einzigen, vollen
Akkord zusammenklangen, fragte er sich, ob der
reiche Banqnier, der durch die Mitgift der
Tochter sein etwas abgenütztes Wappen frisch
vergoldet hatte, in der Sakristei nicht irgend
eine unverbesserliche Dummheit anstelle. —

Einmal jedoch, als der Trauungsakt vor-
über, und er, immer unter den brausenden
Klängen der Orgel dem Ansgang znschritt,
hatte er einen kurzen, zärtlichen Blick für seine
junge Frau. — Das war, als er den alten
Marquis de la Rochefeuillöc zum Grafen
d'Apremont sagen hörte:

— Sie ist entzückend, diese kleine Grün-
bach. —

Worauf dieser zur Antwort gab:

— Ja, aber ich fürchte sehr für d'Abruze,
sie nimmt die Religion zu wörtlich und die
Liebe zu ernst. —

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Register
Savioz: Ihr Glaube
Hugo Salus: Der schöne Knabe
Robert Engels: Zeichnung zum Gedicht "Der schöne Knabe"
 
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