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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 34 (20. August 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0145
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3m Lüden war's; den Scheitel sengte
Hochsommerliche Mittagsgluth.

Der Lisack, uns zu Füßen, drängte
Durch Felsgeklüft die Kühle Zluth.

Und uns zu Häupten in der Laube,

Die grün des Bergwirths Haus umzäunt,
Schwoll schwer von Segen Traub' an Traube,
Schon von der Sonne sanft gebräunt.

Wie fühlten sich am Licheatische
Die wandermüdcn Glieder wohl,

Wie köstlich mundete die Frische
Des Purpurtranks von Südtirol!

Bunt führten uns des Zufalls Launen
Zusammen in der Berge Schooß;

Den Bayern hier, den wetterbraunen,

Und dort den Preußen, blond und groß.

Den Sachsen, der nach Zweck und Titel
Von jedem Ding und Menschen srug,

Den Wiener, der am Lodenkittel
Lin schwarzrothgoldnes Zeichen trug.

Schon holte unfern Krug zum Keller
Die Magd zum vierten Male fort,

Schon blitzten unsre Augen Heller
Und kecker gab sich Wort um Wort.

Bald fielen scharfe Stichelreden,

Der frohe Becherfriede schied — ,

Echt deutsch! — sang auch in diesem Lden
Lin Zeder sein politisch Lied!

Man stritt um Reichstag, Papst und Kaiser,
Erbittert zankte Rord und Süd,

Der Bruder Bayer schrie sich heiser,

Der Vetter Sachse schrie sich müd'.

Vismarck todt!

Und Beide schrie der Preuße nieder,
Helllichterloh erglomm der Streit —

Du lieber Gott! — Da war sie wieder,

Die schöne deutsche Linigkeit!

Beim vierten Schoppen schon zum Raube
Ererbter Streitlust tollem Brand! — —

Da trug der Wirth verstört zur Laube
Lin weißes Blatt mit schwarzem Rand —

Wir starrten's an — die Streiter schwiegen,
Wie plötzlich einer Schuld bewußt,

Und dumpfe Schmerzenslaute stiegen
Uns allen aus gequälter Brust.

Und alle Lippen sah man beben
Und alle Augen thränenschwer —

Lin Rame und ein f daneben:

Der alte Bismarck ist nicht mehr!

Rur flüsternd ging's von Mund zu Munde,
Und Keiner fragte „Wann?" und „Wie?"
Genug des Schmerzes barg die Kunde,

Der Rame und das Kreuz für sie! — —

Der nun für immer stumm geworden,
Wohl war er längst ein stiller Mann,

Dem, fern den Menschen, dort im Rorden
Geschicklos Tag um Tag verrann.

Richt mehr der Welt gebot sein Wille,

An Macht war ihm der Letzte gleich —
Und doch: er war in dieser Stille
Der Stärkste noch im weiten Reich!

Und doch: es war, da er gegangen,

3m deutschen Land so große Roth,

So jäher Schmerz, so tiefes Bangen,

Als wär' des Hauses Vater todt! —

Wie oft am Sarg entzweiten Söhnen
Der langgenährte Groll zerbrach,

Kam auch ein freundliches Versöhnen
An unfern Tisch — und Liner sprach:

„Stoßt an! Wir wollen Frieden halten,
Dem flammenden Gebot zu lieb'.

Das von dem wundervollen Alten
Dem Vaterland als Lrbe blieb!

Spürt 3hr> wie ich, die Geifternähe
Des Einigers — so denkt daran:

Wenn er uns jetzt so zanken sähe,

Ls hätt' ihm bitter weh' gethanl

Tragt Lins des Andern Art geduldig
Und spart den Feinden Zorn und Wuth —
3hr seid's dem greisen Schläfer schuldig,

Der fern im Lichenschatten ruht!

Was er gefügt, der Größte, Beste,

Das wahret bis zum jüngsten Tag,

Daß nie und nirgend je die Veste
Der deutschen Lintracht wanken mag!

So seid Zhr seines Geistes Lrben —

D'rauf leert den letzten Becher Wein!"--

Und splitternd flogen jetzt die Scherben
Der Gläser nieder in's Gestein.

Dann ward das Ränzel umgeschwungen,
Verleidet war uns Trunk und Ruh.

Wir schritten, Arm in Arm verschlungen,
Dem rebenreichen Ltschthal zu.

Die taktgemäßen Tritte klangen
Metallisch von der Porphyrwand,

Und vier gedämpfte Stimmen sangen:
„Was ist des Deutschen Vaterland?"

Fritz v. Ostini.

Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; G. HIRTPI’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN; sämmtlich in München.

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