1898
JUGEND
*
Nr. 35
Glosse
Ein Standpunkt ist nur dadurch der
höhere, dass er den tieferen in sich ein-
schliesst, nicht aber ihn umgeht. Es ist
Mode geworden, namentlich in Deutsch-
land, die Vaterlanderei gegenüber dem
Weltbürgerthum herabzusetzen. Aber man
weiss nicht, dass auf dem Grunde des
Weltbürgerthums das gesättigte Stammes-
bewusstsein zu lagern und Schicht für
den höheren Standpunkt zu bilden hat.
Weltbürgerthum ist ein schönes Wort, so-
gar ein sehr schönes, und ich hoffe für ge-
wiss, dass es einst Fleisch annehmen und
unter uns wohnen wird; aber mit schönen
Worten werden die hässlichsten Dinge um-
schrieben, und so deckt mancher mit die-
sem sein armseligstes Eigenbürgerthum zu
und entzieht sich unter seinem prahler-
ischen Mantel den einfachsten Forderungen
seiner Staatspflichten. 2
&
Awei Möpfe
„Schon wieder schäumst Du über —:
Sieh' wie.gesetzt* ich bin!" —
„Dir freilich läuft nichts drüber, —
Du hast ja nichts darin!" R
&
Lueifer
ober
die Schöpfungsgeschichte auf Grund
authentischer Daten.
s ist nicht allgemein bekannt, ist aber doch
Thatsache, dasz der liebe Gott Anfangs die
Welt gar nicht erschaffen wollte, sei es, weil er
voraussah, es werde nichts Gutes dabei heraus-
kommen, sei es aus irgend einem aitderen Grunde.
Aber die Engel wurden von Lucifer aufgehetzt,
die Erschaffung der Welt zu verlangen. Ein
Jahrtausend nach dem andern, so stellte er ihnen
vor, verinne, ohne das; man etivas Anderes
zu sehen bekomme, als das Ding an sich; selbst
l'ie_ sprichwörtliche Geduld von Engeln müsse
schließlich reißen, wenn das so weiter gehe; so
schon das Lobsingen und ähnliche (Zeremonien
feien, so langweile man sich doch dabei zu
Tode; es scheine, daß der Herr die Scherereien
fürchte; aber wozu sei er denn der Herr, wenn
er nichts erschaffe? Durch solche, und ähnliche
Reden brachte er die Engel dazu, den lieben
Gott mit ihren Billen zu bestürmen, und in
seiner unendlichen Güte gab der Herr nach. In
sechs Tagen, versprach Er, solle Alles fix und
fertig sein. Die Engel waren hocherfreut, und
die meisten fielen auf die Knie und dankten
inbrünstig. Aber anders verhielten sich Lueifer
und sein Anhang, und es lohnt sich vielleicht,
einmal zu erzählen, was in Folge der da-
maligen Haltung dieses Engels geschah und
wie sich die Ereignisse im weiteren Verlaufe
wirklich entwickelten.
Lueifer hatte einer Gruppe von Engeln, die
stets geneigt waren, auf ihn zu hören, ausein-
andergesetzt, daß es nicht angehe, dem Herrn die
Erschaffung der Welt vollständig zu überlassen.
Das wäre noch schöner, in einer so wichtigen
Sache nicht mitreden zu dürfen! Die Welt müsse
so eingerichtet werden, daß nicht der liebe Gott
mit ihr thun könne, was ihm beliebe; da würde
es ja beständige Diener-Arbeit für die Engel
geben. Bald werde es heißen; Ariel gehe dahin!
bald wieder: Gabriel richte dies und Rafael richte
jenes! Das wäre eine Machtvermehrung des
ohnehin allmächtigen Herrn, die nicht zu ertragen
wäre. Die Welt müsse nach Gesetzen regiert
werden, und „diese Gesetze", so rief Lueifer aus,
„müssen wir beschließen, wir freigeboreneu Engel.
Schaffen mag dann der Herr die Welt; das ist
seine Sache; er hat die Kraft dazu; aber die
Geister sind wir, und sie soll so geschaffen werden,
wie wir es wollen." Als nun der Herr sein
gütiges Versprechen gegeben hatte und die Menge
der frommen Cherubim und Seraphim dankend
auf den Knieen lag, brachte Lueifer sein Anliegen
vor. Das Regieren der Welt sei doch, meinte er,
eine Last, und es sei besser, wenn sie so eingerichtet
sei, daß man sie nur ein für alle Male aufzu-
ziehen brauche und sie dann ganz von selber
weilergehe. Diese Einrichtung selbst zu bestim-
men, würde aber den Engeln die größte Freute
bereiten, und da der Herr ihnen nun einmal das
Vergnügen versprochen habe, so möge er es
ihnen auch vollständig gönnen, und er könne
dann sicher sein, daß die angestammte Liebe und
Treue, die sie Alle grenzenlos für ihn empfänden,
noch unaussprechlicher und grenzenloser sein werde
als zuvor. So sprach Lueifer in schon gesetzter
Rede, und Lille riefen ihm Beifall zu, und am
lautesten selbstverständlich seine Parteigenossen.
Der Herr aber, der alle Gedanken mit einem
Blicke durchschaute, strich seinen Bart und sagte:
„Wohlan, die Welt soll nach Gesetzen regiert
werden imb Ihr sollt sie beschließen; Causal-
nexus, Raum und Zeit, Alles sei Euch gewährt:
berathet, und ich werbe ausführen." Mit diesen,
in einem etivas herberen Tone gesprochenen
Worten waren die Engel entlassen, der Herr
aber entschwand in das Innerste der Unendlich keit.
Die gesetzgebende Versammlung der Engel
zur Berathung der Naturgesetze trat nunmehr
zusammen und wurde vom Erzengel Gabriel
eröffnet. Wir wollen, sagte der würdige Erz-
engel in seiner feierlichen Ansprache, zwar nicht
die beste aller Welten Herstellen, aber auch nid t
bje schlechteste; wir sind weder Optimisten noch
Pessimisten. Wir wollen eine mögliche Welt
(Bravo!) und wir ivollen sie zur Ehre und zum
Ruhme unseres allerhöchsten Herrn. Gabriel
brachte alsdann ein dreimaliges Hoch auf den
lieben Gott aus, in das Alle begeistert einstimmten
und danach würben die Berathungen eröffnet.
Daß die Welt sehr groß sein solle, darüber waren
Alle einig, denn der Platz, den der Herr ge-
schenkt hatte, ein Stück in der rechten Ecke der
Unendlichkeit, war geräumig genug, und die
Ansicht war allgemein, daß, wenn man schon
eine Welt mache, man eine große machen solle,
in der man sich in Bezug auf Entserilungen
einen ausgiebigen Spielraum gönnen könne.
Man begab sich nun an die Feststellung der
Naturgesetze, die nicht ohne heftige Debatten
zwischen den fortschrittlich gesinnten und den
eonservativer gesinnten Engeln abging. ' Auf
Antrag der Fortschrittspartei, an deren Spitze
Luciser stand, begann man mit einem Beschlüsse
über die Flugkraft, worauf die Conservativen
einen Antrag auf Einführung des Gesetzes der
Schwere einbrachten und durchsetzten. Für den
freien Fall wurde die Formel ¥=gt angenommen
und die Anfangsgeschwindigkeit im leeren Raume
auf 9,8 Meter festgesetzt, eine Geschwindigkeit,
die zwischen den Anträgen der Conservativen
und denen der Fortschrittler die Mitte hielt.
Dafür drang aber die äußerste Linke durch, als
es sich um die Feststellung der Geschwindigkeit
handelte, mit welcher das Licht sich fortzupflanzen
habe; sie erklärte, ihre Parole sei: Licht, mehr
Licht, und ihre Redner wußten die Mehrheit der
Versammlung so fortzureißen, daß die enorme
Ziffer von 305,684,636 Meter in der Sekunde
angenommen wurde, über welchen Triumph die
Linke in donnernden Beifall ausbrach. Es war
dann ein leichtes, auch für die Elektrieität eine
sehr hohe Ziffer zu erzielen, aber in der nächsten
Sitzung rächten sich die Conservaüven, indem
sie bei der Berathung über die Fortpflanzung
des Schalles die lächerlich niedrige Schnelligkeit
von 330 Dieter in der Secunde beantragten und
auch durchbrachten, worauf Lueifer geringschätzig
erklärte, daß ihm und seiner Partei ohnehin am
Gesang der Sphären nicht viel gelegen sei. Sehr
interessant gestaltete sich die Diseussion über das
Thema Chemie, wie die Mechanik der kleinsten
Theile genannt wurde; als man dann in die
organische Chemie mit ihren verwickelten Formeln
hjuemgerieth, betheiligten sich freilich an der
Debatte nur noch wenige Redner, die sich gegen-
seitig in Spitzfindigkeiten zu überbieten suchten,
und die Ahstimmungen erfolgten auf Autorität
hin und unter sichtlich mangelndem Berständniß
der überwiegenden Mehrzahl. Für die Bestimm-
ung der speeifischen Gewichte und der Tempera-
turen, bei denen ein Körper aus einem Aggregat-
zustande in einem anderen übergeht, auch der
Härtegrade und sonstiger Eigenschaften, wurden
Ausschüsse gewählt. Während diese ihrer un-
endlichen Arbeit oblagen, würbe über die Stern-
bilder verhandelt, einen Gegenstand, über den
Jedermann glaulite urtheilen zu können, und
zum Schluffe machte man sich an die Bestimm-
ung der Größe und Schwere und gegenseitigen
Entfernung der Weltkörper, wobei Lueifer die
Versammlung durch ungeheuerliche Vorschläge
erst erschreckte und dann faseinirte. Er hatte
eine so außerordentliche Gewalt über das Parla-
ment gewonnen, daß man schließlich jeden seiner
Anträge annahm.
Als Alles beschlossen war, wurden die Be-
schlüsse dem lieben Gott zur Sanetion vorgelegt.
Er überflog das sehr umfangreiche Schriftstück,
wobei er hie und da beifällig nickte oder eine
kurze Bemerkung, wie ein „Nicht übel" oder
„Ei, ei" fallen ließ, ergriff die Feder und Unter-
zeichnete mit seinem Namenszug. Dann schaarte
sich die Menge der Engel in demüthiger Ent-
fernung hinter dem Herrn, sein Auge leuchtete,
er streckte die Hand aus und rief: „Es werdet"
In diesem Augenblicke war es auch schon. Die
Engel waren — matt kann es nicht anders
sagen — paff. Welch ein Anblick! In der Mitte
" einer, auf blauem Grunde goldglitzernden un-
übersehbaren Welt glühte die Sonne; rings
in weiten Abständen kreisten die Planeten,
noch weiter hin waren sogenannte Fixsterne,
vereinzelt oder zu Sternbildern vereinigt, zu
sehen und durch das, in verschiedenartiger
Regelmäßigkeit bewegte Ganze eilten lang-
geschwänzte Kometen, die dem großartigen
Bilde einen wohlthuenden Zusatz von Pi-
kanterie verliehen.
Der Herr selbst hatte sein Vergnügen an
dem schönen Schauspiel, das ihn ganz versöhnt
zu haben schien, und besonders an der Freude
der Engel, die von Bewunderung und auch
von Stolz erfüllt waren. „Jetzt aber, sagte Er
nach einer Weile, wollen wir das Uhrwerk erst
JUGEND
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Nr. 35
Glosse
Ein Standpunkt ist nur dadurch der
höhere, dass er den tieferen in sich ein-
schliesst, nicht aber ihn umgeht. Es ist
Mode geworden, namentlich in Deutsch-
land, die Vaterlanderei gegenüber dem
Weltbürgerthum herabzusetzen. Aber man
weiss nicht, dass auf dem Grunde des
Weltbürgerthums das gesättigte Stammes-
bewusstsein zu lagern und Schicht für
den höheren Standpunkt zu bilden hat.
Weltbürgerthum ist ein schönes Wort, so-
gar ein sehr schönes, und ich hoffe für ge-
wiss, dass es einst Fleisch annehmen und
unter uns wohnen wird; aber mit schönen
Worten werden die hässlichsten Dinge um-
schrieben, und so deckt mancher mit die-
sem sein armseligstes Eigenbürgerthum zu
und entzieht sich unter seinem prahler-
ischen Mantel den einfachsten Forderungen
seiner Staatspflichten. 2
&
Awei Möpfe
„Schon wieder schäumst Du über —:
Sieh' wie.gesetzt* ich bin!" —
„Dir freilich läuft nichts drüber, —
Du hast ja nichts darin!" R
&
Lueifer
ober
die Schöpfungsgeschichte auf Grund
authentischer Daten.
s ist nicht allgemein bekannt, ist aber doch
Thatsache, dasz der liebe Gott Anfangs die
Welt gar nicht erschaffen wollte, sei es, weil er
voraussah, es werde nichts Gutes dabei heraus-
kommen, sei es aus irgend einem aitderen Grunde.
Aber die Engel wurden von Lucifer aufgehetzt,
die Erschaffung der Welt zu verlangen. Ein
Jahrtausend nach dem andern, so stellte er ihnen
vor, verinne, ohne das; man etivas Anderes
zu sehen bekomme, als das Ding an sich; selbst
l'ie_ sprichwörtliche Geduld von Engeln müsse
schließlich reißen, wenn das so weiter gehe; so
schon das Lobsingen und ähnliche (Zeremonien
feien, so langweile man sich doch dabei zu
Tode; es scheine, daß der Herr die Scherereien
fürchte; aber wozu sei er denn der Herr, wenn
er nichts erschaffe? Durch solche, und ähnliche
Reden brachte er die Engel dazu, den lieben
Gott mit ihren Billen zu bestürmen, und in
seiner unendlichen Güte gab der Herr nach. In
sechs Tagen, versprach Er, solle Alles fix und
fertig sein. Die Engel waren hocherfreut, und
die meisten fielen auf die Knie und dankten
inbrünstig. Aber anders verhielten sich Lueifer
und sein Anhang, und es lohnt sich vielleicht,
einmal zu erzählen, was in Folge der da-
maligen Haltung dieses Engels geschah und
wie sich die Ereignisse im weiteren Verlaufe
wirklich entwickelten.
Lueifer hatte einer Gruppe von Engeln, die
stets geneigt waren, auf ihn zu hören, ausein-
andergesetzt, daß es nicht angehe, dem Herrn die
Erschaffung der Welt vollständig zu überlassen.
Das wäre noch schöner, in einer so wichtigen
Sache nicht mitreden zu dürfen! Die Welt müsse
so eingerichtet werden, daß nicht der liebe Gott
mit ihr thun könne, was ihm beliebe; da würde
es ja beständige Diener-Arbeit für die Engel
geben. Bald werde es heißen; Ariel gehe dahin!
bald wieder: Gabriel richte dies und Rafael richte
jenes! Das wäre eine Machtvermehrung des
ohnehin allmächtigen Herrn, die nicht zu ertragen
wäre. Die Welt müsse nach Gesetzen regiert
werden, und „diese Gesetze", so rief Lueifer aus,
„müssen wir beschließen, wir freigeboreneu Engel.
Schaffen mag dann der Herr die Welt; das ist
seine Sache; er hat die Kraft dazu; aber die
Geister sind wir, und sie soll so geschaffen werden,
wie wir es wollen." Als nun der Herr sein
gütiges Versprechen gegeben hatte und die Menge
der frommen Cherubim und Seraphim dankend
auf den Knieen lag, brachte Lueifer sein Anliegen
vor. Das Regieren der Welt sei doch, meinte er,
eine Last, und es sei besser, wenn sie so eingerichtet
sei, daß man sie nur ein für alle Male aufzu-
ziehen brauche und sie dann ganz von selber
weilergehe. Diese Einrichtung selbst zu bestim-
men, würde aber den Engeln die größte Freute
bereiten, und da der Herr ihnen nun einmal das
Vergnügen versprochen habe, so möge er es
ihnen auch vollständig gönnen, und er könne
dann sicher sein, daß die angestammte Liebe und
Treue, die sie Alle grenzenlos für ihn empfänden,
noch unaussprechlicher und grenzenloser sein werde
als zuvor. So sprach Lueifer in schon gesetzter
Rede, und Lille riefen ihm Beifall zu, und am
lautesten selbstverständlich seine Parteigenossen.
Der Herr aber, der alle Gedanken mit einem
Blicke durchschaute, strich seinen Bart und sagte:
„Wohlan, die Welt soll nach Gesetzen regiert
werden imb Ihr sollt sie beschließen; Causal-
nexus, Raum und Zeit, Alles sei Euch gewährt:
berathet, und ich werbe ausführen." Mit diesen,
in einem etivas herberen Tone gesprochenen
Worten waren die Engel entlassen, der Herr
aber entschwand in das Innerste der Unendlich keit.
Die gesetzgebende Versammlung der Engel
zur Berathung der Naturgesetze trat nunmehr
zusammen und wurde vom Erzengel Gabriel
eröffnet. Wir wollen, sagte der würdige Erz-
engel in seiner feierlichen Ansprache, zwar nicht
die beste aller Welten Herstellen, aber auch nid t
bje schlechteste; wir sind weder Optimisten noch
Pessimisten. Wir wollen eine mögliche Welt
(Bravo!) und wir ivollen sie zur Ehre und zum
Ruhme unseres allerhöchsten Herrn. Gabriel
brachte alsdann ein dreimaliges Hoch auf den
lieben Gott aus, in das Alle begeistert einstimmten
und danach würben die Berathungen eröffnet.
Daß die Welt sehr groß sein solle, darüber waren
Alle einig, denn der Platz, den der Herr ge-
schenkt hatte, ein Stück in der rechten Ecke der
Unendlichkeit, war geräumig genug, und die
Ansicht war allgemein, daß, wenn man schon
eine Welt mache, man eine große machen solle,
in der man sich in Bezug auf Entserilungen
einen ausgiebigen Spielraum gönnen könne.
Man begab sich nun an die Feststellung der
Naturgesetze, die nicht ohne heftige Debatten
zwischen den fortschrittlich gesinnten und den
eonservativer gesinnten Engeln abging. ' Auf
Antrag der Fortschrittspartei, an deren Spitze
Luciser stand, begann man mit einem Beschlüsse
über die Flugkraft, worauf die Conservativen
einen Antrag auf Einführung des Gesetzes der
Schwere einbrachten und durchsetzten. Für den
freien Fall wurde die Formel ¥=gt angenommen
und die Anfangsgeschwindigkeit im leeren Raume
auf 9,8 Meter festgesetzt, eine Geschwindigkeit,
die zwischen den Anträgen der Conservativen
und denen der Fortschrittler die Mitte hielt.
Dafür drang aber die äußerste Linke durch, als
es sich um die Feststellung der Geschwindigkeit
handelte, mit welcher das Licht sich fortzupflanzen
habe; sie erklärte, ihre Parole sei: Licht, mehr
Licht, und ihre Redner wußten die Mehrheit der
Versammlung so fortzureißen, daß die enorme
Ziffer von 305,684,636 Meter in der Sekunde
angenommen wurde, über welchen Triumph die
Linke in donnernden Beifall ausbrach. Es war
dann ein leichtes, auch für die Elektrieität eine
sehr hohe Ziffer zu erzielen, aber in der nächsten
Sitzung rächten sich die Conservaüven, indem
sie bei der Berathung über die Fortpflanzung
des Schalles die lächerlich niedrige Schnelligkeit
von 330 Dieter in der Secunde beantragten und
auch durchbrachten, worauf Lueifer geringschätzig
erklärte, daß ihm und seiner Partei ohnehin am
Gesang der Sphären nicht viel gelegen sei. Sehr
interessant gestaltete sich die Diseussion über das
Thema Chemie, wie die Mechanik der kleinsten
Theile genannt wurde; als man dann in die
organische Chemie mit ihren verwickelten Formeln
hjuemgerieth, betheiligten sich freilich an der
Debatte nur noch wenige Redner, die sich gegen-
seitig in Spitzfindigkeiten zu überbieten suchten,
und die Ahstimmungen erfolgten auf Autorität
hin und unter sichtlich mangelndem Berständniß
der überwiegenden Mehrzahl. Für die Bestimm-
ung der speeifischen Gewichte und der Tempera-
turen, bei denen ein Körper aus einem Aggregat-
zustande in einem anderen übergeht, auch der
Härtegrade und sonstiger Eigenschaften, wurden
Ausschüsse gewählt. Während diese ihrer un-
endlichen Arbeit oblagen, würbe über die Stern-
bilder verhandelt, einen Gegenstand, über den
Jedermann glaulite urtheilen zu können, und
zum Schluffe machte man sich an die Bestimm-
ung der Größe und Schwere und gegenseitigen
Entfernung der Weltkörper, wobei Lueifer die
Versammlung durch ungeheuerliche Vorschläge
erst erschreckte und dann faseinirte. Er hatte
eine so außerordentliche Gewalt über das Parla-
ment gewonnen, daß man schließlich jeden seiner
Anträge annahm.
Als Alles beschlossen war, wurden die Be-
schlüsse dem lieben Gott zur Sanetion vorgelegt.
Er überflog das sehr umfangreiche Schriftstück,
wobei er hie und da beifällig nickte oder eine
kurze Bemerkung, wie ein „Nicht übel" oder
„Ei, ei" fallen ließ, ergriff die Feder und Unter-
zeichnete mit seinem Namenszug. Dann schaarte
sich die Menge der Engel in demüthiger Ent-
fernung hinter dem Herrn, sein Auge leuchtete,
er streckte die Hand aus und rief: „Es werdet"
In diesem Augenblicke war es auch schon. Die
Engel waren — matt kann es nicht anders
sagen — paff. Welch ein Anblick! In der Mitte
" einer, auf blauem Grunde goldglitzernden un-
übersehbaren Welt glühte die Sonne; rings
in weiten Abständen kreisten die Planeten,
noch weiter hin waren sogenannte Fixsterne,
vereinzelt oder zu Sternbildern vereinigt, zu
sehen und durch das, in verschiedenartiger
Regelmäßigkeit bewegte Ganze eilten lang-
geschwänzte Kometen, die dem großartigen
Bilde einen wohlthuenden Zusatz von Pi-
kanterie verliehen.
Der Herr selbst hatte sein Vergnügen an
dem schönen Schauspiel, das ihn ganz versöhnt
zu haben schien, und besonders an der Freude
der Engel, die von Bewunderung und auch
von Stolz erfüllt waren. „Jetzt aber, sagte Er
nach einer Weile, wollen wir das Uhrwerk erst