1898
JUGEND
Nr. 35
Walther Caspari (München).
Getheilte Freud'
— Was seh' ich! Ihr beiden friedlich vereint bei Sekt und Austern?
— Ja, sieh'st Du, das Gericht hat eben unsere endgiltige Scheidung ausgesprochen, na — und so einen Tag
verlebt man doch gern zusammen!
ungen des Genusses sofort eintraten, so war
der Keim zu ihnen allen doch unausrottbar den
Menschen einverleibt. Zunächst hörte die hold-
selige Unbefangenheit auf, mit der sie in ihrer
ersten Zeit Gutes und Böses durcheinander ge-
than hatten, so weit es damals überhaupt Etwas
zu thun gab. Sie hatten jenseits von Gut und
Böse gelebt, und das horte jetzt auf; sie wurden
moralisch und unmoralisch, lernten Scham,
Heuchelei und Gewissensbisse kennen, und damit
war das Paradies zu Ende. Man hätte sie nicht
noch besonders aus dem Garten zu vertreiben
brauchen, wenn nicht der Herr dies auf Bitten
der Engel gethan hätte, die fürchteten, daß Adam
und Eva nun auch vom Baume des Lebens
essen und ihnen an Unsterblichkeit gleich werden
würden. Es steckte sehr viel Neid hinter dieser
Maßregel, zu der sich der liebe Gott nur ungern
entschloß; übrigens meinte er, es sei so vielleicht
besser. Daß die Menschen viel vom Affen haben,
leugnete Er im vertrauten Kreise nicht; er habe
eben, seinem Grundsätze getreu, keinen jähen
Sprung machen, sondern an Bestehendes an-
knüpfen wollen; es sei cin Jrrthum, zu glauben,
daß es Aufgabe des Künstlers sei, stofflich Neues
Sn ersinden. Auch könne Er ja thun, was Er
wolle; sei Er nicht der liebe Gott? Um Luciser
sei es Ihm freilich manchmal leid; aber ohne
Strenge lasse sich nun einmal nicht regieren.
Auch wisse sich der Bösewichl die Zeit auf Kosten
der Menschen oft recht gut zu vertreiben. Die
Menschen seien -eigentlich der bedauernswcrtheste
Theil bei dem ganzen Abenteuer und wären
geradezu unglücklich zu nennen, wenn sie nicht
den Hang zur Selbsttäuschung hätten, der Vieles
erträglich mache. Alles in Allem jedoch müsse
Er sagen, daß Luciser durch sein boshaftes Ein-
greifen die Schöpfung erst vollendet habe. Ge-
rade durch die Unvollkommenheit, die er hinein-
brachte, habe er jenes gewisse Etwas hineinge-
than, das die Wirkung erhöhe; jetzt erst sei die
Welt interessant geworden.
Wenn der Herr so sprach, pflegte er auch dem
Engel, der den Baum der Erkenntniß gepflanzt
hatte, sein Lob zu spenden. Es war ein nach-
denklicher Engel, den man sonst wenig beachtete.
Daß sich übrigens die Heerschaaren mit dem
Thema „Mensch" eifrig in ihren Gesprächen be-
schäftigten, ist begreiflich. Den Luciser, dem sie
das anregende Schauspiel verdankten, bekamen
sie nur selten zu sehen. Er erhielt später vom
lieben Gott mehrere hohe Orden, auch den Titel
eines wirklichen geheimen Oberteusels, lebte aber
in Zurückgezogenheit. Zuweilen äußerte er, er
könnte Manches erzählen, wenn er wollte, und
gewissen Persönlichkeiten sei sehr an seinem Leben
gelegen, weil sie nicht länger leben würden, als
er. Thatsache ist, daß er mst ausfallender Rück-
sicht behandelt wird.
M. Berthold.
Der moderne Storch
„VTeiit wirklich, Frau Nachbar?
Wann kam cs denn an?"
Heut früh, so gegen halb sieben,
Und denken Sie, mein sorgender Mann
War extra zu Hause geblicbenl
Ich sage Ihnen, so reizend und blank!
So zierlich gebaut und entzückend,
Die Forme» fein und doch nicht zu schlank,
Mit einem Worte: Berückend!
„Besorgen Sic's selber?" Natürlich!
Die Lust,
Wie könnt' ich sic mir denn versagen?
tNir schlägt das Herz dabei in der Brust,
Es ist ein Vergnügen, kein plagen!
Wie dank' ich's meinem gütigen Mann!
Er hatte mich immer bedauert,
Zwar äußerlich sah man cs ihm nicht an,
Doch innerlich hat er getrauert!
Neun Monat hofft' er und wirklich: man hat
Ihm Gehaltserhöhung gegeben, —
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JUGEND
Nr. 35
Walther Caspari (München).
Getheilte Freud'
— Was seh' ich! Ihr beiden friedlich vereint bei Sekt und Austern?
— Ja, sieh'st Du, das Gericht hat eben unsere endgiltige Scheidung ausgesprochen, na — und so einen Tag
verlebt man doch gern zusammen!
ungen des Genusses sofort eintraten, so war
der Keim zu ihnen allen doch unausrottbar den
Menschen einverleibt. Zunächst hörte die hold-
selige Unbefangenheit auf, mit der sie in ihrer
ersten Zeit Gutes und Böses durcheinander ge-
than hatten, so weit es damals überhaupt Etwas
zu thun gab. Sie hatten jenseits von Gut und
Böse gelebt, und das horte jetzt auf; sie wurden
moralisch und unmoralisch, lernten Scham,
Heuchelei und Gewissensbisse kennen, und damit
war das Paradies zu Ende. Man hätte sie nicht
noch besonders aus dem Garten zu vertreiben
brauchen, wenn nicht der Herr dies auf Bitten
der Engel gethan hätte, die fürchteten, daß Adam
und Eva nun auch vom Baume des Lebens
essen und ihnen an Unsterblichkeit gleich werden
würden. Es steckte sehr viel Neid hinter dieser
Maßregel, zu der sich der liebe Gott nur ungern
entschloß; übrigens meinte er, es sei so vielleicht
besser. Daß die Menschen viel vom Affen haben,
leugnete Er im vertrauten Kreise nicht; er habe
eben, seinem Grundsätze getreu, keinen jähen
Sprung machen, sondern an Bestehendes an-
knüpfen wollen; es sei cin Jrrthum, zu glauben,
daß es Aufgabe des Künstlers sei, stofflich Neues
Sn ersinden. Auch könne Er ja thun, was Er
wolle; sei Er nicht der liebe Gott? Um Luciser
sei es Ihm freilich manchmal leid; aber ohne
Strenge lasse sich nun einmal nicht regieren.
Auch wisse sich der Bösewichl die Zeit auf Kosten
der Menschen oft recht gut zu vertreiben. Die
Menschen seien -eigentlich der bedauernswcrtheste
Theil bei dem ganzen Abenteuer und wären
geradezu unglücklich zu nennen, wenn sie nicht
den Hang zur Selbsttäuschung hätten, der Vieles
erträglich mache. Alles in Allem jedoch müsse
Er sagen, daß Luciser durch sein boshaftes Ein-
greifen die Schöpfung erst vollendet habe. Ge-
rade durch die Unvollkommenheit, die er hinein-
brachte, habe er jenes gewisse Etwas hineinge-
than, das die Wirkung erhöhe; jetzt erst sei die
Welt interessant geworden.
Wenn der Herr so sprach, pflegte er auch dem
Engel, der den Baum der Erkenntniß gepflanzt
hatte, sein Lob zu spenden. Es war ein nach-
denklicher Engel, den man sonst wenig beachtete.
Daß sich übrigens die Heerschaaren mit dem
Thema „Mensch" eifrig in ihren Gesprächen be-
schäftigten, ist begreiflich. Den Luciser, dem sie
das anregende Schauspiel verdankten, bekamen
sie nur selten zu sehen. Er erhielt später vom
lieben Gott mehrere hohe Orden, auch den Titel
eines wirklichen geheimen Oberteusels, lebte aber
in Zurückgezogenheit. Zuweilen äußerte er, er
könnte Manches erzählen, wenn er wollte, und
gewissen Persönlichkeiten sei sehr an seinem Leben
gelegen, weil sie nicht länger leben würden, als
er. Thatsache ist, daß er mst ausfallender Rück-
sicht behandelt wird.
M. Berthold.
Der moderne Storch
„VTeiit wirklich, Frau Nachbar?
Wann kam cs denn an?"
Heut früh, so gegen halb sieben,
Und denken Sie, mein sorgender Mann
War extra zu Hause geblicbenl
Ich sage Ihnen, so reizend und blank!
So zierlich gebaut und entzückend,
Die Forme» fein und doch nicht zu schlank,
Mit einem Worte: Berückend!
„Besorgen Sic's selber?" Natürlich!
Die Lust,
Wie könnt' ich sic mir denn versagen?
tNir schlägt das Herz dabei in der Brust,
Es ist ein Vergnügen, kein plagen!
Wie dank' ich's meinem gütigen Mann!
Er hatte mich immer bedauert,
Zwar äußerlich sah man cs ihm nicht an,
Doch innerlich hat er getrauert!
Neun Monat hofft' er und wirklich: man hat
Ihm Gehaltserhöhung gegeben, —
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