Nr. 37
Des lvittwer's Trauer
von Lars Dilling
ÄAurein Kalbes Jahr waren sic verheirathetgewesen.
Sie bewohnten eine kleine Wohnung, in der
Alles neu, hübsch und zierlich war, wie bei allen
Neuvermählten.
Er war Musiker, sie ein Singvögelchen, das
mit einer Stickerei am Fenster saß und nach dem
Männchen ausguckte, wenn er von seinen Musik-
siunden nach Sause kam.
Aber dann fing das Vögelchen an, den Kopf
hängen zu lassen, es zwitscherte nicht mehr, und
eines schönen Tages war es todt.
Der junge Musiker war am Morgen fortgegangcn
und kam erst spät am Nachmittag nach Panse. Er
hatte seinen Entreeschlüssel mit und öffnete sich selbst
die Thüre. Ls war so seltsam still in der Wohnung
und unordentlich.
Ihre Stickerei lag am Boden, der Nähtisch
mar umgestürzt, und die Wohnstube duftete nach
Naphtha. Er ging durch das Eßzimmer. Der Tisch
stand noch mit den Resten vom Frühstück; aber
das Mädchen war nirgends zu sehen.
Seltsam bedrückten perzens öffnete er die Thüre
zum Schlafzimmer und blieb entsetzt auf der Schwelle
flehen.
Unter den Hellen Lreton-Vorhängen auf dem
Bett lag seine Frau. Das blonde Köpfchen ruhte
matt auf den Kiffen mit den gestickten Einsätze»,
ihre Augen waren geschloffen, und das Gesicht merk-
würdig bleich.
Lr ergriff ihre pand, die vom Bett herabhing.
Sie war eiskalt.
„Alma, Alma!"
Keine Antwort.
von furchtbarem Schrecken ergriffen, eilte er die
Treppen hinab und zu feinen Schwiegereltern am
andern Ende der Stadt. Dort traf er das Dienst-
mädchen, das ihm weinend etwas erzählte, was er
nicht hörte und nicht verstand.
Wie in einem Traum ging er umher, und der
Traum dauerte mehrere Tage. Seine Wohnung
suchte er nicht wieder auf, sondern blieb bei den
Schwiegereltern.
Er wußte kaum, was vorging. Lr hatte nur
eine dunkle Ahnung, daß er eines Tags in der
Kirche war, die mit storverhängteu Kandelabern ge-
schmückt war, und mitten im Raume stand ein
schwarzer Kasten mit einer Menge Kränze und Blu-
men, und dann wurde eine Rede gehalten und ein
paar geistliche Lieder gesungen, und dann stand er
an der Kirchcnthüre und eine Reihe schwarzgekleideter
perren drückten ihm die pand, Gott mochte wissen
warum. Zuletzt fuhr er in einem geschlossenen Lan-
dauer zusammen mit dem Pfarrer hinter dem Leichen-
wagen hinaus zum Kirchhof und aß darauf mit ihrer
Familie Mittag und weinte viel.
Allmälig war es jedoch, als erwachte er aus
dem Traume. Lr begann wieder feine Stunden zu
geben, kehrte aber noch immer nicht zu feiner Woh-
nung zurück.
Lines Tages traf er auf der Straße einen feiner
besten Freunde, einen jungen Lieutenant.
Sie gingen ein Stück zusammen.
„Ich begleite Dich ein wenig", sagte der Lieu-
tenant, „Du willst wohl nach Pause?"
Der Wittwer stutzte.
„Nach Pause? — Ich — ich habe ja kein zu
Pause mehr."
„Na, und Deine Wohnung?"
Kudolf Wtike (Fans).
Künstlertypen von Montmart
Franzüs. Maler im 1. Semester.
Ilesuclit noch regelmassig die Sein
und hesitzl noch ganze Stiefel.
1893
„Sie steht verlassen. Das Dienstmädchen ist
davon gerannt, und ich bin nicht dort gewesen, seit
— na, Du weißt ja!"
„Komm, gehen wir hinauf und sehen wir ein-
mal, wie es da aussieht. Ich werde Dich begleiten."
„Ich — ich kann nicht!"
„Ach, man muß sich dem Schmerz nicht so hin-
geben. Zeige Dich als Mann. Komm' nur!"
Lr faßte ihn unter und führte ihn. Der Wittwer
folgte willenlos.
<Vbcn auf der Treppe blieb er stehen und holte
zitternd den Lnträefchlüffel aus der Tasche hervor. Sie
gingen hinein.
- Ls war drinnen ein wenig aufgeräumt, aber
die Luft war drückend und beklommen, die Blumen
standen welk und ließen die Blätter hängen, und der
Kanarienvogel statterte wild in feinem Bauer umher.
Lr hatte all' fein Futter aufgefressen, und auf dem
Boden des Glases war nur ein wenig fauliges
Wasser, das er nicht erreichen konnte.
Der Wittwer war auf einen Fauteuil nieder-
gefunken und schluchzte.
Der Lieutenant holte Wasser für den Vogel und
die Blumen und riß ein paar Fenster auf. Dann
schlug er dem Freunde leicht auf die Schulter.
„Siehst Du, nun hast Du genug geweint! Machen
wir eine kleine Runde durch die Zimmer!"
Sie gingen durch's Eßzimmer in's Schlafgemach,
in dem zwei Betten neben einander standen unter
den Hellen Lretondraperieen.
„Pier lag sie, Du, als ich sie das letzte Mal
sah. Dort auf dem Nachttisch steht noch die letzte
Medizin, die sie bekam. Ich hatte nicht einmal
die Freude, sie ihr zu geben. Da siehst Du ihren
Toilettentisch. Ist er nicht niedlich mit seinen weißen
Gardinen und all' den kleinen Nippsachen?"
„Und diese Masse Flacons," sagte der Lieute-
nant.
„Ja, sie liebte sehr Parfüms. Vas hier war ihr
Lieblingsodenr. Er ist fein, er kostet z. Mark die
Flasche. Sie verbrauchte jede Woche eine."
„Was ist das weiße da, was über den Stuhl
hängt?"
„Ihr Frisirmantel. Sie hatte sechs solche, alle
mit echten Spitzen besetzt."
„Sie war keine billige Frau."
„Nein, aber sie war ja auch ein wohlhabendes
Mädchen."
„Ist ein Testament aufgesetzt?"
„Ja. wenn die Eltern sterben, bekomme ich eine
nette Summe."
„Das ist ja immer ein Trost."
„Ach ja."
Lr seufzte tief.
„pöre, sage mir, bist Du nicht hungrig?" fragte
der Lieutenant plötzlich.
„pungrig? Ach ja, eigentlich. Line Kleinigkeit
zum Frühstück würde nicht übel schmecken. Komm,
gehen wir hinaus und sehen wir, ob nichts in der
Speisekammer vorhanden ist."
Da stand eine Kiste Sardinen, etwas Räucher-
lachs und Schinken und ein Stück Käse, das nur an
den Rändern ein wenig müffig war.
„Das ist ja ein lukullisches Mahl. Man sieht,
Du hast eine wirthschaftliche Frau gehabt, die dafür
sorgte, daß die Speisekammer gefüllt war."
„Wirthschaftlich! Nein, das kann man an ihr
nicht rühmen, von der Wirthfchaft verstand sie nicht
mehr, als Dn von Musik. Das Mädchen besorgte
Alles, und sie betrog uns in greulicher Weife. Gott
fei Lob, daß ich sie los bin! Ja, Du verstehst — ich
meine das Mädchen!"
620
Des lvittwer's Trauer
von Lars Dilling
ÄAurein Kalbes Jahr waren sic verheirathetgewesen.
Sie bewohnten eine kleine Wohnung, in der
Alles neu, hübsch und zierlich war, wie bei allen
Neuvermählten.
Er war Musiker, sie ein Singvögelchen, das
mit einer Stickerei am Fenster saß und nach dem
Männchen ausguckte, wenn er von seinen Musik-
siunden nach Sause kam.
Aber dann fing das Vögelchen an, den Kopf
hängen zu lassen, es zwitscherte nicht mehr, und
eines schönen Tages war es todt.
Der junge Musiker war am Morgen fortgegangcn
und kam erst spät am Nachmittag nach Panse. Er
hatte seinen Entreeschlüssel mit und öffnete sich selbst
die Thüre. Ls war so seltsam still in der Wohnung
und unordentlich.
Ihre Stickerei lag am Boden, der Nähtisch
mar umgestürzt, und die Wohnstube duftete nach
Naphtha. Er ging durch das Eßzimmer. Der Tisch
stand noch mit den Resten vom Frühstück; aber
das Mädchen war nirgends zu sehen.
Seltsam bedrückten perzens öffnete er die Thüre
zum Schlafzimmer und blieb entsetzt auf der Schwelle
flehen.
Unter den Hellen Lreton-Vorhängen auf dem
Bett lag seine Frau. Das blonde Köpfchen ruhte
matt auf den Kiffen mit den gestickten Einsätze»,
ihre Augen waren geschloffen, und das Gesicht merk-
würdig bleich.
Lr ergriff ihre pand, die vom Bett herabhing.
Sie war eiskalt.
„Alma, Alma!"
Keine Antwort.
von furchtbarem Schrecken ergriffen, eilte er die
Treppen hinab und zu feinen Schwiegereltern am
andern Ende der Stadt. Dort traf er das Dienst-
mädchen, das ihm weinend etwas erzählte, was er
nicht hörte und nicht verstand.
Wie in einem Traum ging er umher, und der
Traum dauerte mehrere Tage. Seine Wohnung
suchte er nicht wieder auf, sondern blieb bei den
Schwiegereltern.
Er wußte kaum, was vorging. Lr hatte nur
eine dunkle Ahnung, daß er eines Tags in der
Kirche war, die mit storverhängteu Kandelabern ge-
schmückt war, und mitten im Raume stand ein
schwarzer Kasten mit einer Menge Kränze und Blu-
men, und dann wurde eine Rede gehalten und ein
paar geistliche Lieder gesungen, und dann stand er
an der Kirchcnthüre und eine Reihe schwarzgekleideter
perren drückten ihm die pand, Gott mochte wissen
warum. Zuletzt fuhr er in einem geschlossenen Lan-
dauer zusammen mit dem Pfarrer hinter dem Leichen-
wagen hinaus zum Kirchhof und aß darauf mit ihrer
Familie Mittag und weinte viel.
Allmälig war es jedoch, als erwachte er aus
dem Traume. Lr begann wieder feine Stunden zu
geben, kehrte aber noch immer nicht zu feiner Woh-
nung zurück.
Lines Tages traf er auf der Straße einen feiner
besten Freunde, einen jungen Lieutenant.
Sie gingen ein Stück zusammen.
„Ich begleite Dich ein wenig", sagte der Lieu-
tenant, „Du willst wohl nach Pause?"
Der Wittwer stutzte.
„Nach Pause? — Ich — ich habe ja kein zu
Pause mehr."
„Na, und Deine Wohnung?"
Kudolf Wtike (Fans).
Künstlertypen von Montmart
Franzüs. Maler im 1. Semester.
Ilesuclit noch regelmassig die Sein
und hesitzl noch ganze Stiefel.
1893
„Sie steht verlassen. Das Dienstmädchen ist
davon gerannt, und ich bin nicht dort gewesen, seit
— na, Du weißt ja!"
„Komm, gehen wir hinauf und sehen wir ein-
mal, wie es da aussieht. Ich werde Dich begleiten."
„Ich — ich kann nicht!"
„Ach, man muß sich dem Schmerz nicht so hin-
geben. Zeige Dich als Mann. Komm' nur!"
Lr faßte ihn unter und führte ihn. Der Wittwer
folgte willenlos.
<Vbcn auf der Treppe blieb er stehen und holte
zitternd den Lnträefchlüffel aus der Tasche hervor. Sie
gingen hinein.
- Ls war drinnen ein wenig aufgeräumt, aber
die Luft war drückend und beklommen, die Blumen
standen welk und ließen die Blätter hängen, und der
Kanarienvogel statterte wild in feinem Bauer umher.
Lr hatte all' fein Futter aufgefressen, und auf dem
Boden des Glases war nur ein wenig fauliges
Wasser, das er nicht erreichen konnte.
Der Wittwer war auf einen Fauteuil nieder-
gefunken und schluchzte.
Der Lieutenant holte Wasser für den Vogel und
die Blumen und riß ein paar Fenster auf. Dann
schlug er dem Freunde leicht auf die Schulter.
„Siehst Du, nun hast Du genug geweint! Machen
wir eine kleine Runde durch die Zimmer!"
Sie gingen durch's Eßzimmer in's Schlafgemach,
in dem zwei Betten neben einander standen unter
den Hellen Lretondraperieen.
„Pier lag sie, Du, als ich sie das letzte Mal
sah. Dort auf dem Nachttisch steht noch die letzte
Medizin, die sie bekam. Ich hatte nicht einmal
die Freude, sie ihr zu geben. Da siehst Du ihren
Toilettentisch. Ist er nicht niedlich mit seinen weißen
Gardinen und all' den kleinen Nippsachen?"
„Und diese Masse Flacons," sagte der Lieute-
nant.
„Ja, sie liebte sehr Parfüms. Vas hier war ihr
Lieblingsodenr. Er ist fein, er kostet z. Mark die
Flasche. Sie verbrauchte jede Woche eine."
„Was ist das weiße da, was über den Stuhl
hängt?"
„Ihr Frisirmantel. Sie hatte sechs solche, alle
mit echten Spitzen besetzt."
„Sie war keine billige Frau."
„Nein, aber sie war ja auch ein wohlhabendes
Mädchen."
„Ist ein Testament aufgesetzt?"
„Ja. wenn die Eltern sterben, bekomme ich eine
nette Summe."
„Das ist ja immer ein Trost."
„Ach ja."
Lr seufzte tief.
„pöre, sage mir, bist Du nicht hungrig?" fragte
der Lieutenant plötzlich.
„pungrig? Ach ja, eigentlich. Line Kleinigkeit
zum Frühstück würde nicht übel schmecken. Komm,
gehen wir hinaus und sehen wir, ob nichts in der
Speisekammer vorhanden ist."
Da stand eine Kiste Sardinen, etwas Räucher-
lachs und Schinken und ein Stück Käse, das nur an
den Rändern ein wenig müffig war.
„Das ist ja ein lukullisches Mahl. Man sieht,
Du hast eine wirthschaftliche Frau gehabt, die dafür
sorgte, daß die Speisekammer gefüllt war."
„Wirthschaftlich! Nein, das kann man an ihr
nicht rühmen, von der Wirthfchaft verstand sie nicht
mehr, als Dn von Musik. Das Mädchen besorgte
Alles, und sie betrog uns in greulicher Weife. Gott
fei Lob, daß ich sie los bin! Ja, Du verstehst — ich
meine das Mädchen!"
620