1898
Nr. 38
DAilchstraßen-^taul)
Lächerlich sein ist kein Zehler in der Welt,
aber — sich geniren!
Etymologisches
Verdreher und 3ertreter einer Sache nennt
man mit einem Wort ihre „Vertreter."
Ich will mich Deines Mordes nicht schuldig
machen, sprach der Sieger zum Gefangenen, da
— ließ er ihn verhungern.
- JUGEND -
3ß ja!
Mit „ewiger Liebe" um sich hau'»,
. . . Jaja!
Und sich ohne Schwur und Altar nicht traun!
. . . Hahal _ f. l.
Berichtigung
Wir erhalten solgenden Brief:
„Geehrte Redaxion!
Sie haben mir sehr geschmeichelt, indem daß
Sie neulich mein Porträ abgedruckt haben, wel-
ches Herr Julius Diez gezeichnet hat, der gewiß
ein besserer Kenner von die weiblichen Reize ist,
als die Redaxion der Zeitschrift „Die Waffen
nieder!" Nämlich es wird dort ein Brief von
Ihnen an die „Friedensbertha" abgedrückt gleich
links neben meinem Porträ und es steot dabei
Etwas, was ich mir nicht gefallen gelassen kann,
nämlich es steht dort:
„Dem Brief ist die Gestalt eines abscheulichen,
plumpen und gemeinen alten Weibes beigedruckt!"
Wenn ich mich recht auskenne, will damit die
Frau Friedensbertha sagen, daß sich mein Por-
trä auf sie beziehen thut, während es hingegen
aber nur ganz zufällig dortsteht und mich vor-
stellt und die Frau Baronin gar nichts nngeht
und sie keineswegs berechtigt, mich abscheulich,
plump und ein gemeines, altes Weib zu heißen
und mein Exderiör für sich in Anspruch zu neh-
men. Was die Abscheulichkeit angeht, so kann
ich ganz ruhig sein, denn wenn ich so wäre, hätte
mich seinerzeit Herr von Pilvth nicht so oft als
Historie gemalt, wo ich vielfach gesessen bin und
er hat selbst gesagt, ich sei ein „nettes junges
Mädel," also kein altes Weib. Und dann „plump!"
Es gibt viele Leute, die das Mollige dem Beinigen
vorziehen und der Herr Diez hätte mich gar
nicht gemalt, wenn ich ihm gar nicht gefallen
hätte und hätte gesagt, ich wäre zum Schießen
und mich müßte er haben — auf dem Papier.
Sozusagen als eine Monumentaufnahme aus
dem Künstlerleben. Und man kann doch nicht,
so oft man von der Frau von Suttner schreibt
einen Blasengel mit Palmenzweigen daneben
drücken, der in die Friedensposaune stößt. Unsere
Zeit ist mehr für das Realistische.
Außerdem sehe ich wirklich nicht wie eine
Friedens-Tante aus und wenn ich ivirklich so
ausschauen thäte, wie es in dem grünen Heft
heißt, müßte sich die Frau Baronin doch denken,
daß eine anständige Redaxion sie damit nicht
gemeint haben konnte und glauben, daß alle
Leute, die nicht auch die Schalmei blasen, seien
gleich ganz ruppige Onkels.
Aber ich sehe nicht so aus und wegen dem
gemeinen, abscheulichen, plumpen, alten Weib
sollten wir uns nur einmal im Wald begegnen
.mit meinem Parnpli.
Im Uebrigen konnten Sie mich auch einmal
auf dem Titlblatt bringen, als Genius, oder
Bennß, oder so was.
München, 22. August 1898.
Hochachtungsvoll
Juliane Schwuppdich,
Modell
gen. d. rothe Jule."
Gesetze haben die verteufeltste allerEigenschaften:
sich selber unentbehrlich zu machen. Kaum ein-
geführt sind sie auch nöthig.
Scharf ist die Luft der Freiheit nur da, wo
sie durch die Gaffen der Knechtschaft streicht.
Mit der Dummheit ist man immer iegitimirt. s.i
Bei der geistigen Geburt ist's umgekehrt, wie
bei der leiblichen: struppig kommen wir zur Welt
und glätten uns allmählig. Was soll aus Leuten
werden, die da schon glatt, ohne Haare ins Leben
treten?
Nicht: etwas lernen, heißt das Problem
für den Geist, sondern immer nur: sich in etwas
erkennen!
Kein Grund dafür, sind zwanzig Gründe dagegen.
Jedes System ist ein Netz, das feinstes durchläßt.
Aus einem Schulbuch:
„Wer die Schönheit der Welt und den regel-
mäßigen Lauf der Gestirne betrachtet, wird der
nicht gezwungen zu bekennen, daß es einen Gott
gibt?" — Wer betrachtet, wie schön der Haselnuß'
kern in die Haselnußschale paßt, wird der nicht
gezwungen zu bekennen, daß beide ein Drechsler
gemacht hat?!
Sin schlechter Kerl, wer sich nicht zu helfen
weiß!" — Man ruft das aber dann erst, wenn
man einen Ausweg gefunden hat!
Ls hielt einer der Sonne ein Gläs-
chen hin und sagte: seht, wie sie eitel
ist, sie beschaut sich im Spiegel!
Lrst machen wir unfern Körper durch
Unnatur zur Ruine, nachher sprengen
wir diese Ruine noch mit Arzneimitteln
in die Lust.
Wenn einer kein Subjekt in sich hat,
dann redet er viel von der „Dbjektivität
großer Künstler."
Der feinen Seele sagt der Tadler
stets nur, was sie im Innersten schon
weiß.
Die höchste Kraft zur Lebenskunst:
Lntsagen können ohne verzich.
ten! Lmanuel Förster.
SyAc Solomko (St. Petersburg).
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DAilchstraßen-^taul)
Lächerlich sein ist kein Zehler in der Welt,
aber — sich geniren!
Etymologisches
Verdreher und 3ertreter einer Sache nennt
man mit einem Wort ihre „Vertreter."
Ich will mich Deines Mordes nicht schuldig
machen, sprach der Sieger zum Gefangenen, da
— ließ er ihn verhungern.
- JUGEND -
3ß ja!
Mit „ewiger Liebe" um sich hau'»,
. . . Jaja!
Und sich ohne Schwur und Altar nicht traun!
. . . Hahal _ f. l.
Berichtigung
Wir erhalten solgenden Brief:
„Geehrte Redaxion!
Sie haben mir sehr geschmeichelt, indem daß
Sie neulich mein Porträ abgedruckt haben, wel-
ches Herr Julius Diez gezeichnet hat, der gewiß
ein besserer Kenner von die weiblichen Reize ist,
als die Redaxion der Zeitschrift „Die Waffen
nieder!" Nämlich es wird dort ein Brief von
Ihnen an die „Friedensbertha" abgedrückt gleich
links neben meinem Porträ und es steot dabei
Etwas, was ich mir nicht gefallen gelassen kann,
nämlich es steht dort:
„Dem Brief ist die Gestalt eines abscheulichen,
plumpen und gemeinen alten Weibes beigedruckt!"
Wenn ich mich recht auskenne, will damit die
Frau Friedensbertha sagen, daß sich mein Por-
trä auf sie beziehen thut, während es hingegen
aber nur ganz zufällig dortsteht und mich vor-
stellt und die Frau Baronin gar nichts nngeht
und sie keineswegs berechtigt, mich abscheulich,
plump und ein gemeines, altes Weib zu heißen
und mein Exderiör für sich in Anspruch zu neh-
men. Was die Abscheulichkeit angeht, so kann
ich ganz ruhig sein, denn wenn ich so wäre, hätte
mich seinerzeit Herr von Pilvth nicht so oft als
Historie gemalt, wo ich vielfach gesessen bin und
er hat selbst gesagt, ich sei ein „nettes junges
Mädel," also kein altes Weib. Und dann „plump!"
Es gibt viele Leute, die das Mollige dem Beinigen
vorziehen und der Herr Diez hätte mich gar
nicht gemalt, wenn ich ihm gar nicht gefallen
hätte und hätte gesagt, ich wäre zum Schießen
und mich müßte er haben — auf dem Papier.
Sozusagen als eine Monumentaufnahme aus
dem Künstlerleben. Und man kann doch nicht,
so oft man von der Frau von Suttner schreibt
einen Blasengel mit Palmenzweigen daneben
drücken, der in die Friedensposaune stößt. Unsere
Zeit ist mehr für das Realistische.
Außerdem sehe ich wirklich nicht wie eine
Friedens-Tante aus und wenn ich ivirklich so
ausschauen thäte, wie es in dem grünen Heft
heißt, müßte sich die Frau Baronin doch denken,
daß eine anständige Redaxion sie damit nicht
gemeint haben konnte und glauben, daß alle
Leute, die nicht auch die Schalmei blasen, seien
gleich ganz ruppige Onkels.
Aber ich sehe nicht so aus und wegen dem
gemeinen, abscheulichen, plumpen, alten Weib
sollten wir uns nur einmal im Wald begegnen
.mit meinem Parnpli.
Im Uebrigen konnten Sie mich auch einmal
auf dem Titlblatt bringen, als Genius, oder
Bennß, oder so was.
München, 22. August 1898.
Hochachtungsvoll
Juliane Schwuppdich,
Modell
gen. d. rothe Jule."
Gesetze haben die verteufeltste allerEigenschaften:
sich selber unentbehrlich zu machen. Kaum ein-
geführt sind sie auch nöthig.
Scharf ist die Luft der Freiheit nur da, wo
sie durch die Gaffen der Knechtschaft streicht.
Mit der Dummheit ist man immer iegitimirt. s.i
Bei der geistigen Geburt ist's umgekehrt, wie
bei der leiblichen: struppig kommen wir zur Welt
und glätten uns allmählig. Was soll aus Leuten
werden, die da schon glatt, ohne Haare ins Leben
treten?
Nicht: etwas lernen, heißt das Problem
für den Geist, sondern immer nur: sich in etwas
erkennen!
Kein Grund dafür, sind zwanzig Gründe dagegen.
Jedes System ist ein Netz, das feinstes durchläßt.
Aus einem Schulbuch:
„Wer die Schönheit der Welt und den regel-
mäßigen Lauf der Gestirne betrachtet, wird der
nicht gezwungen zu bekennen, daß es einen Gott
gibt?" — Wer betrachtet, wie schön der Haselnuß'
kern in die Haselnußschale paßt, wird der nicht
gezwungen zu bekennen, daß beide ein Drechsler
gemacht hat?!
Sin schlechter Kerl, wer sich nicht zu helfen
weiß!" — Man ruft das aber dann erst, wenn
man einen Ausweg gefunden hat!
Ls hielt einer der Sonne ein Gläs-
chen hin und sagte: seht, wie sie eitel
ist, sie beschaut sich im Spiegel!
Lrst machen wir unfern Körper durch
Unnatur zur Ruine, nachher sprengen
wir diese Ruine noch mit Arzneimitteln
in die Lust.
Wenn einer kein Subjekt in sich hat,
dann redet er viel von der „Dbjektivität
großer Künstler."
Der feinen Seele sagt der Tadler
stets nur, was sie im Innersten schon
weiß.
Die höchste Kraft zur Lebenskunst:
Lntsagen können ohne verzich.
ten! Lmanuel Förster.
SyAc Solomko (St. Petersburg).
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