Nr. 44
Mie Ä^hrr cn
♦ JUGEND
Wirthshausschilder von Zulius Die)
Im „blauen Krug" in der Ritterzeit,
Wo die welk noch gestarrt hat von Waffen,
Hatt' Ivo der Ahnherr oft Zank und Streit
Und öfter noch feinen Affen.
Der Urururenkel, der Jenem erwuchs,
War abhold dem Streit und dem Laster —
Bis neun Uhr faß er im „goldenen Zuchs"
Bei Stadtklatsch und Gose und Knaster.
Der jüngste Vertreter des Stammes bleibt
Zern jeder gefährlichen Schenke —
„Thalysia" heißt das Lokal, wo er kneipt,
Und Himbeersaft heißt sein Getränke.
Und kriegt einen Erben der triste Lumpan,
Der wird dann noch trister und blasser:
Der Letzte vom Stamme des Jngraban
Bleibt Abends ;u Haus und säuft Wasser! ir«I»
1898
Getriebe um ihn her einen kühlen Polizeiblick
bewahren soll, das; er ein dicker Klotz oder Pfahl
sein soll, der von keinem Freudenstrudel sich sort-
reißen laßt. Solche Scheusale gehören in die
Wolfsschlucht. Gottlob gibt es aber noch starke
Kerle, die mitten durch Tabak- und Freudenqualin
einen freundlich-festen Blick balanciren können,
denen in seligsten Sekunden eherne Entschlüsse
reifen und die, wenn's noththut, aus beide
Füße springen und Männer sein können.
Denn bei einem rechten Commers singt mair
ja auch solche Lieder wie „Freiheit, die ich meine"
mit den selig-schönen Versen:
„Auch bei grünen Bäumen in dem lust'gcn Wald,
Unter Blüthentränmen ist Dein Aufenthalt.
Das ist rechtes Leben, wenn es weht und klingt,
Wenn Dein stilles Weben wonnig uns durchdringt.
Wo sich Männer finden, die für Ehr' und Recht
Muthig sich verbinden, weilt ein stet Geschlecht.
Das ist rechtes Glühen, frisch und rosenroth;
Heldenwangen blühen schöner auf im Tod"
und solche Lieder, wie „An der Saale hellem
Strande" mit den Versen:
„Drüben winken schöne Sterne,
Freundlich lacht manch' rother Mund" —
und mit fern versinkendem Blick sieht dann der
Sänger alle Schönheit deutschen Landes; erhört
den heiligen Gesang seiner Wälder und blickt
mit sinnenden Gedanken hinaus in ihre grünen
Dämmerungen und hinab in den bilderreichen
Spiegel heimathlicher Ströme. Und tvie vom
Söller her ihm schöne Augensterne winken, steht
in seinem Herzen der junge, süße Wirbclstnrm
der Liebe ans. Und schön ist in jungbrausender
Seele der ernste Gedanke an den Tod für ein
heiliges Gut.
Jugend sei das vornehmste Getränk an Eurem
Tisch. Daß Ihr aber auch int grauen Haar
noch jubilieren möget, bewahrt in Eurem Keller
von diesem edelsten Getränke ein ungeheures
Faß, das bis an's Lebensende vorhält. Eines
der herrlichsten Gebete, die je gesprochen worden,
ein Gebet Heinrich Heines, sprecht es täglich nach;
es heißt: „Ihr Götter, ich bitte euch nicht, mir
die Jugend zu lassen; aber laßt mir die Tugenden
der Jugend, den uneigennützigen Groll, die un-
eigennützige Thräne!"
- Und nicht so soll es sein, wie in jenem spöt-
tischen „Rückerinnerungslied", wo es heißt;
Heute Kriegsgeschrei und Fehde allem, was die Lust
vergällt,
Morgen salbungsvolle Rede über diese Sündenwelt.
Heute Feindschaft dem Philister, der gehorsamst denkt
und schweigt,
Morgen vor dem Herrn Minister demuthsvoll daS
Haupt geneigt.
So soll es nicht sein, liebe Brüder, so nicht!
Auch sollen die Jungen unter Euch nicht meinen,
daß sie nachher mit der schneidigen Wurschtigkeit
der Bierlogit und Bierjustiz auf den Köpfen
ihrer Mitmenschen herumpräsidieren können. Wer
vom großherzigen und großäugigen Jugendtrutz
nichts hinüberrettet in sein Manneswerk, den
soll, was er gekneipt hat, wiederkneipen, dem
soll jeder Tropfen zu Gicht werden, und die soll
ihm in den Hinterfüßen rumoren, bis er ernstlich
anderen Sinnes ivird.
Und wenn er dann einmal wieder mit alten
und ältesten Herren zusammenkommt zu fröh-
licher Runde und er vom Angesicht der andern
den Wandel der Dinge liest, wenn er in eines
Augenblicks Erleuchtung überschaut, >vas alles
anders gekommen, wie er es einst gehofft, und
von den Wänden ein ernstes Wort hallt: Ver-
gänglichkeit— wenn dann das herrlichste und
wehmuthvollste aller fröhlichen Lieder steigt, das
Lied von der dahingeschwundeneu Burschenherr-
lichkeit, und wenn zuletzt der feierliche Augen-
blick kommt, da alles sich erhebt und einstmals
oft verflochtene Hände sich wiederfinden: Dann
mag er's mit ehrlich bejahendem Herzen mit-
singen, das schöne Bekenntnis;:
„Klingt an und hebt die Gläser hoch,
Die alten Burschen leben noch,
lebt die alte Treue!
Es lebt die alte Treue!"
Mie Ä^hrr cn
♦ JUGEND
Wirthshausschilder von Zulius Die)
Im „blauen Krug" in der Ritterzeit,
Wo die welk noch gestarrt hat von Waffen,
Hatt' Ivo der Ahnherr oft Zank und Streit
Und öfter noch feinen Affen.
Der Urururenkel, der Jenem erwuchs,
War abhold dem Streit und dem Laster —
Bis neun Uhr faß er im „goldenen Zuchs"
Bei Stadtklatsch und Gose und Knaster.
Der jüngste Vertreter des Stammes bleibt
Zern jeder gefährlichen Schenke —
„Thalysia" heißt das Lokal, wo er kneipt,
Und Himbeersaft heißt sein Getränke.
Und kriegt einen Erben der triste Lumpan,
Der wird dann noch trister und blasser:
Der Letzte vom Stamme des Jngraban
Bleibt Abends ;u Haus und säuft Wasser! ir«I»
1898
Getriebe um ihn her einen kühlen Polizeiblick
bewahren soll, das; er ein dicker Klotz oder Pfahl
sein soll, der von keinem Freudenstrudel sich sort-
reißen laßt. Solche Scheusale gehören in die
Wolfsschlucht. Gottlob gibt es aber noch starke
Kerle, die mitten durch Tabak- und Freudenqualin
einen freundlich-festen Blick balanciren können,
denen in seligsten Sekunden eherne Entschlüsse
reifen und die, wenn's noththut, aus beide
Füße springen und Männer sein können.
Denn bei einem rechten Commers singt mair
ja auch solche Lieder wie „Freiheit, die ich meine"
mit den selig-schönen Versen:
„Auch bei grünen Bäumen in dem lust'gcn Wald,
Unter Blüthentränmen ist Dein Aufenthalt.
Das ist rechtes Leben, wenn es weht und klingt,
Wenn Dein stilles Weben wonnig uns durchdringt.
Wo sich Männer finden, die für Ehr' und Recht
Muthig sich verbinden, weilt ein stet Geschlecht.
Das ist rechtes Glühen, frisch und rosenroth;
Heldenwangen blühen schöner auf im Tod"
und solche Lieder, wie „An der Saale hellem
Strande" mit den Versen:
„Drüben winken schöne Sterne,
Freundlich lacht manch' rother Mund" —
und mit fern versinkendem Blick sieht dann der
Sänger alle Schönheit deutschen Landes; erhört
den heiligen Gesang seiner Wälder und blickt
mit sinnenden Gedanken hinaus in ihre grünen
Dämmerungen und hinab in den bilderreichen
Spiegel heimathlicher Ströme. Und tvie vom
Söller her ihm schöne Augensterne winken, steht
in seinem Herzen der junge, süße Wirbclstnrm
der Liebe ans. Und schön ist in jungbrausender
Seele der ernste Gedanke an den Tod für ein
heiliges Gut.
Jugend sei das vornehmste Getränk an Eurem
Tisch. Daß Ihr aber auch int grauen Haar
noch jubilieren möget, bewahrt in Eurem Keller
von diesem edelsten Getränke ein ungeheures
Faß, das bis an's Lebensende vorhält. Eines
der herrlichsten Gebete, die je gesprochen worden,
ein Gebet Heinrich Heines, sprecht es täglich nach;
es heißt: „Ihr Götter, ich bitte euch nicht, mir
die Jugend zu lassen; aber laßt mir die Tugenden
der Jugend, den uneigennützigen Groll, die un-
eigennützige Thräne!"
- Und nicht so soll es sein, wie in jenem spöt-
tischen „Rückerinnerungslied", wo es heißt;
Heute Kriegsgeschrei und Fehde allem, was die Lust
vergällt,
Morgen salbungsvolle Rede über diese Sündenwelt.
Heute Feindschaft dem Philister, der gehorsamst denkt
und schweigt,
Morgen vor dem Herrn Minister demuthsvoll daS
Haupt geneigt.
So soll es nicht sein, liebe Brüder, so nicht!
Auch sollen die Jungen unter Euch nicht meinen,
daß sie nachher mit der schneidigen Wurschtigkeit
der Bierlogit und Bierjustiz auf den Köpfen
ihrer Mitmenschen herumpräsidieren können. Wer
vom großherzigen und großäugigen Jugendtrutz
nichts hinüberrettet in sein Manneswerk, den
soll, was er gekneipt hat, wiederkneipen, dem
soll jeder Tropfen zu Gicht werden, und die soll
ihm in den Hinterfüßen rumoren, bis er ernstlich
anderen Sinnes ivird.
Und wenn er dann einmal wieder mit alten
und ältesten Herren zusammenkommt zu fröh-
licher Runde und er vom Angesicht der andern
den Wandel der Dinge liest, wenn er in eines
Augenblicks Erleuchtung überschaut, >vas alles
anders gekommen, wie er es einst gehofft, und
von den Wänden ein ernstes Wort hallt: Ver-
gänglichkeit— wenn dann das herrlichste und
wehmuthvollste aller fröhlichen Lieder steigt, das
Lied von der dahingeschwundeneu Burschenherr-
lichkeit, und wenn zuletzt der feierliche Augen-
blick kommt, da alles sich erhebt und einstmals
oft verflochtene Hände sich wiederfinden: Dann
mag er's mit ehrlich bejahendem Herzen mit-
singen, das schöne Bekenntnis;:
„Klingt an und hebt die Gläser hoch,
Die alten Burschen leben noch,
lebt die alte Treue!
Es lebt die alte Treue!"