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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 45 (5. November 1898)
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Nr. 45

JUGEND

1893

Ein gestörter Idealist lllax Bernuth (München).

Allerhanö Liebe

von Johannes Schlaf
Das alte Lied

und Tag waren vergangen, feit sie
sich mit einem seiner Freunde verheirathet.
Und nun hatte es ihn gereizt, sie noch einmal
zu sehen.

Linen Augenblick zwar hatte er sich vor-
würfe gemacht. Aber er halte schließlich doch
nicht widerstehen können. —

So wenig er sich dieses Wiedersehen eigent-
lich verzeihen durfte, hatte cs ihn dennoch ver-
drossen, sie so völlig gelassen und ihr Benehmen
nicht etwa conventionell, sondern ganz ans den
gleichen Ton heitrer und freundlicher Unbe-
fangenheit gestimmt zu finden, mit dem ihn ihr
Mann, sein Freund, in Empfang genommen.

Ls hatte ihn verwirrt, ja halb und halb
geradezu beleidigt, und ein brennendes ver-
langen war ihn überkommen, sie in dieser
Unbefangenheit irritirt zu sehen. Aber was
er auch that, ihr Benehmen war das gleiche. —
Ls fing an, ihn ganz und gar aus dem
Gleichgewicht zu bringen. Und er begann,
sich und seinem nnstätcn Charakter die bittersten
Vorwürfe zu machen, daß er sie jemals hätte
aufgeben können. Denn sie erschien ihm, wie
sie in all dieser Zeit reifer geworden, wo-
niöglich noch begehrenswerther als früher. —
Ls war eines Tages gegen Mittag, als
er mit einem Sträußchen Feldblumen von
einem Spaziergang ins Freie zurückkehrte.

Lr fand sie allein, im Wohnzimmer.

Sie saß an> Verandafenster und blickte wie
in Gedanken in den Garten hinaus, während
ihr Kind zu ihren Füßen spielte.

Sie schien ein wenig verwirrt, und sie
wechselten einige gleichgiltige Morte.

Und da war cs ihn in der Stille dieser
Ulittagstuude so überkommen.

Mit einem gespannten Lächeln war er
zum Piano getreten und hatte das Lied ge-
spielt, jenes alte Lied, das sie an eine ihrer
vertrautesten Stunden erinnern mußte; hatte
es zu spielen vermochtl . . .

Das kjerz pochte ihm bis in die Kehle vor
einem dunklen Schuldgefühl. Aber dann nahm
ihn doch die Stimmung hin und während er
weitcrspielte, sah er sie in dieser Lrinnerung
und lebte die Seligkeit jener längstvergangencn
Stunde, und das Lied wurde wie eine leise,
sehnende, schmerzliche Bitte zu ihr hin . . .

Lr unterbrach sein Spiel und wandte sich
gegen sie um.

Sie saß still mit weiten Augen vor sich
hinblickeud. Aber sie hatte das Kind auf den
Schooß genommen und hielt es wie mit müden
lässigen Armen nnischlungcn. — Regungslos
saß sie da, aufrecht, in einer gezwungenen,
statuenartigen Haltung. Ihr Gesicht mar weiß
bis in die Lippen hinein. Nur die Augen
dunkelten so seltsam und wie in Schatten . . .

Leise trat er zu ihr hin und in einer
halben Verwirrung wollte er ihr das Stiänß-
chen zwischen die verschlungenen Bände stecken.
— Aber es glitt zu Boden, und sie rührte sich
nicht aus dieser passiven, seltsam abweisenden
Haltung, die lauter sprach als alle Morte . . .

Er wurde roth bis unter die Haarspitzen
und schritt ohne auch nur ein einziges Wort
finden zu können, schweigend und mit leicht
geducktem Rücken aus dem Zimmer.

Auch nicht mit einem halben Blick hatte
sie ihn angesehn. —

Noch an demselben Nachmittag reiste er.

Ein Platonikcr

ist ein langer hagerer Herr in der Mitte
derDreißiger, mit einem blasse», langen, blonden
Gesicht, mit zwei kalten grauen Angen, einem
schwarz-nmränderten Monoele und einem sehr
korrekten Schnurrbärtchen.

Lr trägt sich ein wenig auffallend und mit
peinlichster Sauberkeit nach der neuesten Mode,
bewohnt eine sehr comfortable Innggcsctten-
wohnung im vornehnicn Stadtviertel, und cs
fehlt ihm nicht an einer vielseitigen Bildung.

Lr ist ein Lebenskünstler und Lpicuräer,
der sich so ziemlich auf Alles versteht und
Alles zu genießen scheint. Aber cs ist in seinen
starren Augen etwas von einer kalten, ver-

standesgemäßen Sinnlichkeit, die wie ein Schick-
sal ist, und ein müder Zug um seine Mund-
winkel und Nasenflügel scheint irgend welche
dunkleren Geheimnisse seines Wesens verrathen
zu wollen . . . Sein neuester Sport ist der
Besuch des variötes.

Aber eigentlich ist cs nur diese kleine, zier-
liche Soubrette, diese kleine dunkeläugige Un-
garin, die ihn dorthin zieht. So ein entzücken-
des Gemisch von Mignon und Philine, wie
er es bezeichnet.

Den ganzen Abend sitzt er regungslos au
seiner Säule; aber erst wenn sie anftritt, nehmen
seine grauen Augen einen lebhafteren Glanz
an, und das Monoele eingeklemmt, lauscht er
ihrer temperamentvollen Stimme und verfolgt
unverwandt die prächtigen Wendungen und
die gewandten Pas ihres zierlich-geschmeidigen
Leibes und ihrer Tänze.

wenn dann die Vorstellung zu Lude ist,
erwartet er sie vor dem Portal.

Mit ihrer schwarzen Lockeufülle und ihren
großen dunklen Augen, die immer wie in einer
gluthvollcn Melancholie schimmern — ein so
bezaubernder Gegensatz zu der temperament-
vollen Ausgelassenheit ihrer Vorträge —
schlüpft sie dann aus der Thür, nimmt ihn
beim Arm, und er geleitet sie znm wagen.

Lr pflegt sie zum comfortabelsten Restau-
rant der Stadt zu bringen und mit ihr zu
soupiren. Und das ist alles. — Darüber hin-
aus hat sich ihr Verkehr noch nicht zu cut-
wickeln vermocht. Aber sie läßt es gut sein,
denn ist er der verwunderlichste, so ist er auch
der freigebigste ihrer Verehrer. —

Ja, sie hat es sich so bequem wie möglich
geniacht. Denn einige Zeit nach Beendigung
dieses Soupers gibt sie noch einem Anderen
weniger wunderlichen ihrer Verehrer ein Ren-
dezvous und er ist cs, der sie auf halbem weg
geleitet. — Und dann ist es so merkwürdig
und amüsant, wie er sich verabschiedet l —
Seine Mundwinkel zucken so spöttisch-schmerz
sich, und seine Augen brennen in einem so selb
samen Glanz. —

Sie hat es schon verlernt, den Kops über
ihn zu schütteln. —

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