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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 45 (5. November 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0332
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Nr. 45

JUGEND

1893

In dieser Nach! kam mir die Idee zu den „Nunen."
Ich will sie Dir in zehn Worten erzählen. Die
Götter, die ihren Sitz über dem grenzenlosen und
unerforschten Dcean haben und ihn niemals ver-
laffen dürfen, sie sollten durch die Wellen, die unter
ihnen wallen und wechseln, sich erneuen und ewig
wiederkehren, von den Dingen der Menschheit
Kunde erhalten, die Jahrtausende hindurch, und
mählich verblassen und in Nichts verrauchen vor
der Nachricht des großen Unglaubens, der schließ-
lich vom Festland her durch die Gewässer zieht.
Dssian, ein neuer Lsssian sollte dies Epos singen.
In jenen Tagen traute ich mir's zu. Uebermensch-
llches war mein Sinnen, ich dachte zu spielen. —
Da ging ich an's Meer. Ich hatte es nie geseh'n.
Ich wollte an's Meer treten und es sollte mir ent-
gegenbrausen: Du. In Dieppe erblickte ich es zum
erstenmal. An den steilen Felsen klomm ich em-
por, in bitterster Kälte, daß mir die Hände krumm-
froren wie Krallen. Und vom Felsen blickte ich
auf die See, nach jener Richtung, wo ich wußte,
daß tausend Meilen fließen und an kein Festland
stoßen. Ich wartete auf ein Zeichen, am Meer,
am Himmel, am Horizont!"

„ „warum lachst Du, Hans?"

„Ja . . . hör doch: also ich wartete auf ein
Zeichen. Du, damals Hab ich nicht gelacht. Ich
ging hin und her, und die Leute kamen schon und
lagen ängstlich hinter den Büschen und beobachteten
mich. Dann ging ich hinunter an den Strand.
Du weißt, in Dieppe ist er kiesig, die wellen rollen
knirschend heran und gleiten mit betäubendem
Knattern wieder zurück. Ls war Sturm am Meer.
Ich hatte Aehnliches nie gesehen, nie gehört, nie
geahnt. Die Dichtung gliederte sich zu Gesängen
in meinem Hirn, wuchs plastisch hervor und stand
vor mir. Wäre in diesen Stunden etwas Ueber-
natürliches geschehen, etwas, das so gewesen wäre,
als ob die Natur davor zurückwiche und sich ent-
schuldige, ein wunder — ich hatte den Glauben
an die Wellen, ivenn ich auch an die Götter nicht
glaubte ich hätte in dem Fischerdorf etwas ge-
schaffen, das man mit den Lusia-
den und der Göttlichen Komödie
genannt hätte. Ich wollte, und
ich besaß den Glauben an mein
Können, wenn —

Nun, es wurde ein Aber. Um
Dir's rasch zu erzählen: ich wartete
am Strande, im Sturm. Die Wellen
wuchsen riesiggroß, ich mußte bei
jeder neuen zwei, drei Schritte Zurück-
läufen, um nicht mitgeschwemmt
zu werden. Der Wind brüllte, der
Kies am Strand war wie das Nä-
cheln eines Titanen. Meine Poren
waren so voll von dem Salz, das
der wind mir entgegenschlug, daß
ich einen stechenden Schmerz wie
von tausenden von Nadelstichen
empfand, so oft ein neuer Wind-
stoß von der See herüberfegte. Ich
wollte fort, doch ich konnte es
nicht. Das wüthen wollte schier
in's Unermeßliche anschwellen und
das gab mir den Gedanken ein,
ich müsse am Strande stehen und
warten. Und dann kam diese Welle.

Ich sehe sie. Knapp, kaum hundert
Schritte vor dem Strande, schwoll
sie plötzlich thurmhoch vor mir
auf, als spreize eine Niesenfaust

aus dem Grunde die Meeresdecke jählings in die
Höhe, daß der Gischt in weißen Tropfen raketen-
artig zu den Wolken flog. Nein, es war ein Berg,
er brauste heran und ich flüchtete, es galt wahrhaft
mein Leben. Ich flüchtete, und als ich dann stehen
blieb, lag am Strande, ungefähr an der selben Stelle,
wo ich früher gestanden hatte, eine Muschel.

Sie war glattgeschliffen, glänzte und hatte auf
der Dberfläche einen opalähnlichen Schimmer, sie
zeigte nichts Außergewöhnliches, nur war sie etwas
größer als sonst derartige Muscheln sind. Und
vielleicht hatte eine perle. . . Nun; ich hob diese
Muschel auf, betrachtete sie, dann schoß mir etwas
durch den Sinn und ich lief heim. Ich weiß es,
mit welcher unendlichen Mühe es mir schließlich
gelang, die beiden Worte: Die Nunen in sie ein-
zugraben. — Ich kam mit der Muschel an's Meer
zurück. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen,
wie in diesem Moment auch der Sturm seinen
Höhepunkt erreicht zu haben schien, ich preßte
meine ganze Kraft in meine rechte Hand und
schleuderte die Muschel, die den Namen meines
Werkes trug, in gerader Linie vor mich hinaus,
in's weite Meer.

Die Muschel kam nicht wieder. Ls gibt große
Herren, die einem keine Antwort geben, wenn man
sie fragt. —

Nun, und weiter: ich bin jetzt ein Beamter,
und ich glaube, ich werde bald Dreißig. Mais,
ce que je m’en fiche!“

(Er nahm meinen Arm und wir gingen weiter,
im selben, langsamen Tempo wie bisher. Aber er
war außer Athem gerathen. Lr fühlte dies und
dachte, es wäre wohl nöthig, sich dafür zu ent-
schuldigen. „weißt Du, ich habe lange schon nicht
so viel in einem Zuge geredet und noch dazu von
diesen Angelegenheiten, die man besser begräbt und
zu vergessen suchen muß."

Ich hakte meine Hoffnung in diese paar Worte
ein und dachte, daß wohl der Punkt ge-
funden sei, wo man diese Apathie aus

könnte.

beeilte

Ernst Ewerbeck (München,)

mich, Hans Folgendes zu sagen: „Mein lieber
Junge, ich reise in zwei bis drei Stunden ab.
Gott weiß, ob und wann wir uns Wiedersehen.
Ich werde, wenn es Sommerszeit ist, zum Meer
pilgern, um etwas zu schaffen. Ich werde mir
keine Lrlaubniß von den Wellen holen, sondern
am Abend, wenn ich mein gutes Tagewerk ge-
schafft habe, an den Strand gehen, um mich an
dem Anblick der Segler zu erquicken, die aus dem
Hafen in die Nacht hinaustreiben, und der kleinen
Fischerboote, die der Abend heimwärts bringt. Abe:
eines will ich von Dir hören, ehe wir uns tren-
nen; es ist eine dumme Frage und Du brauchst
sie ebensowenig zu beantworten, wie Deine Frage
damals am Meer beantwortet worden ist. Sind
mit den nächsten Wellen, die Du erwartet hast, gar
keine Muscheln mehr zu Deinen Füßen geschwemml
worden? Gar keine mehr?"

„Ich dachte mir's, Du würdest danach fragen.
Ls sind Muscheln an den Strand geworfen wor-
den, ähnlicher Art sogar wie die, die ich hinaus-
gesandt habe mein Gott, gewiß. Aber kleiner
waren sie alle, als meine, und die Nunen, die
haben gefehlt."

wir schwiegen eine weile, wir waren vor dem
Bahnhof angelangt, den ein lautes Treiben er-
füllte. Schweigend nahmen wir unser Mahl zu
uns; als wir aber am Perron standen, vor
dem Waggon, der mich fortbringen sollte, da
sagte Hans Faust mit einer gewissen bitteren Be-
friedigung: „Nun, die Muschel? Du wolltest
etwas sagen?"

Ich erwiderte nach kurzem Zögern: „Ja, Hans,
ich ivollte etwas sagen. Ich wollte sagen, daß es
zweierlei Arten von Menschen gäbe. Die eine
Sorte fragt, die andere berichtet. Mein armer
Hans, Du gehörst zu den Fragenden. Und wenn
Dir die erwünschteAntwort nicht wird, dann legst
Du Dich hin, und stirbst, warst Du nicht ein
Llement in jenen Tagen? Fragen die Gewitter-
wolken die Wellen, ob sie Wasser nöthig hätten?
Du warst ein Mensch, denn Du frugst das Meer.

Du frugst Dein Leben und hast
seine Antwort nicht verstanden.
Das Leben gleicht Deinem Meere.
Ls schwemmt Dir eine schöne Gabe
vor die Füße, Du schreibst Dein
Ideal auf sie, und schleuderst sic
zurück, wie es recht und billig ist.
Nun wartest Du, sie mögen Dir
beide zurückkommcn, und ivarteft
und wartest. Das Wasser im Meere
hat die selbe ätzende Kraft wie das
Wasser des Lebens. Deine Muschel
kommt Dir zurück, aber manches,
was Du auf sie geschrieben hast,
ist verwischt und die Muschel ist
schmächtiger geworden, nun sie
dort draußen gewes.n ist.

Aber sie ist zurückgelangt zu
Dir, und sie ist Deine Muschel,
Deine!!"

Ich bereute es, daß ich ihm
dies gesagt hatte. Als aber der
Zug, der mich westwärts führte,
aus der Halle dampfte, sah ich
Hans aus dem Fenster noch lange
nach, während er zwei kurze Male
mit seinem Hut winkte, dann den
Nockkragen in die Höhe schlug
und ruhigen Ganges den Perron
verließ.

75*
Register
Ernst Ewerbeck: Zeichnung ohne Titel
 
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