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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 48 (26. November 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0383

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1898

JUGEND

Nr. 48

In Zcherben

«pSer junge Tag sandte seine ersten grauen
Reflexe durch die zerschlissenen Rollvorhänge
und lieb das Angesicht des Schlafenden aus dem
bauschigen Wirrwarr der Kissen in scharfen Con-
llouren hervortreten. Er schlief schwer und tief
mit zurückgesallencm Haupte, feuchter Stirn und
halbgeöffneten Lippen, lieber die schönen, aber
erschlafften Züge spielte hin und ivieder ein
leises Zucken wie von Schmerz oder Leiden.
Auf dem Nachttischchen stand ein Glas und eine
Cognac-Flasche, auf der Matte vor dem Bette lag
ein stark mitgenommenes Buch. Die Kleider be-
fanden sich in buntem Durcheinander durch das
ganze Zimmer verstreut, den ohnedies dürftigen
Eindruck desselben noch erhöhend.

Die Stunden gingen. Das Wagengeräusch
von der Straße schwoll und auf der Treppe er-
tönten die schleifenden Tritte des Briefträgers.
.In dem öden Raume blieb es still und nur die
blitzenden Strahlen der Frühsvnne trieben mit
den grobgeschnitzten Ziersiguren im Deckenstuck
ihr muthwilliges Spiel.

Die Uhr schlug zehn von dem nahen Kirch-
thurme; der Schläfer streckte sich, öffnete die Lider
zu einem leeren Blick gegen die lichtüberstrahlte
Decke und schloß sie alsbald tvieder unter einem
lauten Gähnen. So beharrte er liegend, un-
beweglich, halbwach und apathisch.

Ein Schlüssel knirscht im Thürschlosse und die
Wirthin streckt den unsrisirten Kopf zur Thür
herein.

Ach so, der Herr liegen noch!" Und wie
zur Bekräftigung ihres nachsichtigen Verständ-
nisses öffnete sie den Mund zu eine;» breiten,
zahnlosen Lächeln. Sie machte die einzelnen
Kleidungsstücke zusammen, tvobei sich ein Par-
füm von Küche, Unsauberkeit und Feuchtigkeit
um sie verbreitete.

Die Blicke des jungen Mannes folgten ihr und
auf seinem Gesichte trat ein Zug des Abscheus
immer deutlicher zu Tage.

„Ziehen Sie die Rollvorhänge auf!" gebot
er kurz mit etwas unklarer Stimme.

Madame zerrte an der Schnur, welche zerriß.

„Natürlich," murmelte sie mit den zahnlosen
Backen und stellte das heruntergefallene Rouleau
in eine Fensterecke. Nun nahm sie die Kleider
vom Stuhle und ging hinaus.

Er streckte die Hand nach der Morgenzeitung,
welche die Wirthin auf dem Nachttische nieder-
gelegt, und fuhr sich mit verdrossener Gebärde über
die Stirn. Dann begann er zu lesen, interesse-
los, ohne die geringste Aniheilnayme für das
Eine oder Andere. Ach, ivie bodenlos gleich-
giltig ihm doch Alles das war . . . Alles . . .
ob die Nordpolsucher wirklich zum Ziel kom-
men , ob die Großmächte den europäischen
Frieden aufrecht erhalten würden, ob der Kanzler
in Deutschland zu alt oder der Zar in Ruß-
land zu jung wäre . . . was ging ihn das Alles
an? Sein Leben wurde nicht mehr anders, er
fühlte es, und nur einen Wunsch hegte er inner-
lich: Daß man ihn gnädig in Frieden lassen
möge . . . diese ungerujenen Samariter mit ihren
zwecklosen Bemühungen, Freunde, die ihn mit
unfruchtbaren Hoffnungen plagten, lauernde
Gläubiger und lauernde Verleger! . . .

— Bücher!

Sein Blick belebte sich etwas. Haha, hatte
Berner nun doch ein neues Buch herausgebracht
. . . und eine spaltenlange Kritik ... die sein-
durchdachten pspchologischen Schilderungen . . .
die bekannte Herrschaft des Verfassers über die
äußere Form u. s. w. . . .

Das lvar doch eine schnurrige Welt. Er
brach Plötzlich in Lachen aus. Sich diesen Herrn
Berner vorzustellen, Herrn Axel Berner mit sei-
ner fetten, phlegmatischen Figur, ihn, der nie-
mals mit einem selbständigen Gedanken hatte
dienen könne», wenn es drauf ankam, ihn, den
Fadesten der Faden, den Dürrsten unter den
Dürren: er grünte nun frisch daraus los wie ein
geköpfter Oelbaum, er galt so viel wie eine Art
Koryphäe für den Haufen.

Was war er selbst dagegen! Aber er gab
nichts und das war sein Unglück.

Wie war's denn dahin gekommen?

Er durchkramte im Geiste seine Erinnerungen,
— lichte Erinnerungen, welche nur den Fehler

hatten, daß sie mehr und mehr ihres freundlichen
Schimmers verlustig gingen, je mehr sie zeitlich
seine,» gegenwärtigen Zustande sich näherten.

Zuerst war da das Bild des jungen, ver-
heißungsvollen Studenten, mit dem flaiimgc-
schmückten, mädchenhaften Gesicht, mit dem hohen
Gedankenschwung, Enthusiasmus, Sittlichkeits-
begriffen, Idealen . . .

„O, Du lieber Augustin, Alles ist hin, ist hin."

Dann war's der junge, verheißungsvolle
Schriftsteller, auch ein schönes Bild: bleich, in-
telligent aussehend, verändertes Ideal, veränderter
Sittlichkcitsbegriff, aber noch der alte Enthusias-
muS, die alte burschikose Genialität, die Schöpfer-
kraft eines saftstrotzenden Urwaldstammes. Ja,
ja — aber er war kein Arbeitspferd gewesen, er
hatte sich in den Zügeln gebäumt.

. . . sich gebäumt! Das war eigentlich nur
eine Phrase. Er kam nicht von der älten Stelle.
Das war Alles. Begabung hatte er genug,
aber Kraft... Da waren die Frauen. Alle
waren toll hinter ihm her. Er gehörte nicht zu
den starken, bezwingenden Naturen, welche ihnen
Scheu einflößen und das Gefühl, von dem Ueber-
legenen besiegt werden zu können. Sie zogen
ihn in ihren Zauberkreis wie ein Schmuckstück,
zum Zeitvertreib und Pagendienst. Sie zogen
ihn zu sich mit ihren weißen Armen, zärtlichem
Augenaufschlag, mit Schmeichelei und Bewunder-
ung. Da schwärmte jede für seine Gedichte, für
seine Augen, sein Haar, sie machten ihn herrsch-
süchtig, verwöhnt, eingebildet wie einen Halbgott
— und lvährend dieser schmachtenden Huldigungs-
Periode zerpflückten sie unbarmherzig seine Begab-
ung, sein Talent, etwa tvie sie mit ihren zarten
Fingern ein armes Gänseblümchen zerpflücken,
uni es als Souvenir für's Alter einzupressen.

Und dann kamen die Gelage mit den Kamera-
den. Er war ihr Paradepferd; er mußte dabei
sein, sonst fehlte es an ,,Stimmung". Niemand
vermochte ja so durch verblüffende Einfälle, durch
feine Satire und gepfefferten Spott die Laune
zu heben. Und er war auch dabei, weil — nun
eben weil es ihm so am besten gefiel. Aber
langsam, langsam fraß sich das Sicchthum in
seine Arbeitskraft hinein. Er hatte sich nie
darum bemüht, mit seinem Reichthum Haus zu
halten. Er glaubte ihn wohlverwahrt in seinem
innersten Schrein und entnahm nur dann und
wann geringe Münze: ein Trinklied, etwas
„Stimmungsvolles," ein Paar Tropfen Erotik,
seinen Verehrerinnen zugeeignet und in Jour-
nalen, Almanachen und Kalendern verstreut.
Aber für jede neue Zeile wurde sein Talent in
den Kreisen seiner Anhänger und Bewunderer
gelobhudelt. Man sammelte sich um ihn wie man
sich im Frühling am Dufte eines blütherireichen
Fruchtbaumes berauscht, der reiche Ernte verspricht.

klnd nun war der Herbst gekonlnien.

Da fingen sie an, unruhig zu werden, die
Freunde, welche sein Lob gesungen, die Weiber,
welche ihm Rauchopser gebracht, ihn zum Schooß-
hündchen degradirt, die Tagespresse, welche ihn

J. Diez.

„lancirt", die Verleger, ivelche hohe Honorare
in Vorschuß gezahlt auf seine einstige Größe:
alle drängten niit Forderungen aus ' Erfüllung
ihrer Hoffnungen.

„Na, zum Teufel, ivann bekommt man denn
'mal eine größere Arbeit von Dir zu sehen?"
fragten die aufrichtigen Freunde.

Die kleinen Frauen neigten ihr Haupt kokett
zur Seite und baten ihn mit zärtlichem Augen-
aufschlag — zu arbeiten . . . um ihretwillen.
Und er küßte die weichen Fingerchen: ja er »vvllte
einen Versuch größeren Stiles machen.

Aber nicht lange hielt er es dabei aus.

Die Eingebungen und Gedanken, welche licht
und duftig vor seinem geistigen Auge erstanden,
entschwanden ihm wie Phantome im Nebel; seine
Gestalten, kaum skizzirt, glitten ihm kühl und
interesselos aus den Händen. Aus Scham machte
er sich darüber, Skizzen und kleinere Novellen
zu schreiben, um seinen Ruf auf der Höhe zu
erhalten. Aber dieser Ruf begann immer faden-
scheiniger zu werden; die Schaar seiner Be-
wunderer schwand aus ein winziges, unansehn-
liches Häuslein zusaminen.

So wurde er menschenscheu. Er, der früher
von einem Gelage zum andern getaumelt, schlüpfte
unbemerkt in die entlegenen Cafes, zu Tages-
zeiten, wo sie zumeist leer standen, und die
Cognac-Karaffe leistete ihm dort Gesellschaft.
Die Weiber hätten ihn trotz alleoem noch immer
gern am Gängelbande behalten. Doch nun be-
gann er auch in seinen Kleidern sich immer mehr
dem Zustande planloser Genialität zu nähern,
er sing an, den Eindruck eines Menschen hervor-
zurufen, den man in der „guten" Gesellschaft als
„reduzirt" bezeichnet. Einem verbummelten Genie
hätte man wohl noch die Hand geboten, aber einem
— mauvais sujet! . . .

So war er denn ganz logisch auf den Keh-
richthausen gekommen wie die Scherben einer
kostbaren Base, die sich nicht mehr leimen lassen
wollen, — feinstes Porzellan mit edelstem Muster,
aber — wie gesagt — in Scherben.

Es war inzwischen völlig Tag geworden und
er verharrte nicht mehr in seinem dämmernden
Hinbrüten. Die Ankündigung des neuen Veruer-
schen Buches hatte ihn wie ein Peitschenschlag
getroffen. Er fühlte eine plötzlich aufsteigende
Wuth, ihn verlangte, zu zeigen, daß er doch noch
der Alte war, noch einmal wollte er beweisen,
daß die Tatzen des Löwen nichts von ihrer
Schärfe eingebüßt hatten. Hastig warf er sich
in seine Kleider, stürzte ein Glas Cognac hin-
unter und setzte sich an den Schreibtisch. Die
Hände zitterten zwar ein wenig, aber bald ging
es besser. In nervösen Windungen flog die
Feder über oas Papier, eine ganze Seite füllte
sich, die Hälfte der folgenden und dann — for-
derte die Abspannung und Ueberreizung ihren
Tribut. Der Blick nahm seinen alten, leeren
Ausdruck an, die schlvankende Hand versagte der
Feder den Dienst und die trostlose Schlaffheit
schloß ihn auf's Neue in ihre Arme. Nein, er
war zu Ende, er wußte es, er taugte nicht mehr
und nicht weniger als die Ueberbleibsel eines
abgebrannten Zündhölzchens.

Sollte er den Notizenjägern Gelegenheit ge-
ben, einen Bericht folgenden Inhalts in die
Blätter zu bringen: „Bon einem traurigen

Ereignis; wird uns soeben Kunde: Der begabte
Schriftsteller re. rc."? Da würde er wohl noch
einmal als „begabt" ausgeschrieen werden!

Ach, auch das war ihm gänzlich einerlei. Viel-
leicht fehlte es auch hierzu an hinreichender Kraft.

Er schob das Papier langsam zur Seite,
schenkte ein Glas Cognac ein und warf sich auf's
Neue in seinen Kleidern auf das ungemachte
Bett. So wartete er auf das Einzige, was ihm
jetzt noch frommen konnte . . . Schlaf!

Sigrid Llnrblad.

Splitter

Die Rubrizirung der Menschen als kluge und
dumme ist für die Praxis nicht zu empfehlen.
Wer etwas erreichen will, muss oft mit den
Dummheiten der Klugen und mit den Gescheit-
heiten der Dummen rechnen. o. E.

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Register
Julius Diez: Tod
O. E.: Splitter
Sigrid Elmblad: In Scherben
F. L.: Wahrheiten im Widerspruch
Carl Busse: Sehnsucht
Hans Rossmann: Landschaft
 
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