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Nr. 48

gestern in meiner Gegenwart an seinem
Acrmel, gefangen, geknickt und nachher
achtlos weggeworfen hat. Hier sehen
Sie ihn soo fach vergrößert, naturgetreu
abgebtlbet." Gin Schrei des Entsetzens
floh von den kippen aller Anwesenden,
als Or. Schnack nunmehr den Larton
entfaltete, auf welchem der gräßlich ver-
stümmelte Floh in der Attitüde eines
sterbenden Gladiators in erschütternder
Tragik dargestellt war. Line Dame
fiel horizontal in Ohnmacht und mußte
hinausgetragen werden; eine andere
schloß die Augen und roch erbleichend an
einem Fläschchen. „Don den S Beinen,"
fuhr vr. Schnack fort, „sind gebrochen,
und zwar mehrfach. Der schützende Horn-
panzer ist zerquetscht und hat den zarten
Leib vielfach durchbohrt. Ls ist so,
wie wenn ein gepanzerter Ritter zwischen
zwei Lisenbahnpuffer gerathen wäre.
Dieser zu Tode gemarterte Floh, ver-
ehrte Anwesende, hatte Nerven so gut
wie wir Alle und wenn er reden könnte"

—-Hier fiel wieder eine Dame in

Ohnmacht.

„ Wie sorgenlos wandelt ein Liebespaar
auf dem weichen Waldboden; aber ihn
bedecken tausende von kunstvoll und
zart organisirten Thierchen, und wo
das Liebespaar mit seinen q plumpen
Füßen hintritt, da bleiben q Kirchhöfe
und ebenso viele Lazarethe. Und besitzt
nicht jede Hausfrau mörderische Insek-
tenpulver, greulichte Gifte für Ratten
und Mäuse, Leimstöcke und Mordbäder
für die Mücken und Kampher für die
harmlosen Motten?

Ja, meine theuren Anwesenden, hier
hat Ihr Verein noch ein weites Feld
für erfolgreiche ThätigkeitI (Stille.)

Aber schwieriger, unendlich viel schwier-
iger wird es fein, auch diejenigen Greuel
und Thierquälereien aus der Welt zu
schaffen, an denen der Mensch vollkom-
men unbetheiligt ist. Ihr verein wird
nicht nur die Thiere gegen den Men-
schen, sondern noch jedes einzelne Thier
gegen die andern in Schutz nehmen
müssen.

Die zarten vöglein z. B. mit den
sanften Augen, denen unser Verein stets
seine besondere Fürsorge gegen Vogel-
steller und Damenhutsabrikanten gewid-
met hat, — sollte man es für möglich
halten? — sie fliegen zwitschernd um-
her und scheinen zu spielen. In Wirk-
lichkeit aber zerquetscht ihr mörderischer
Hornschnabel den zarten Leib unzähliger
Insekten; rauhherzig stören sie den
Hochzeitsflug der Ameisen wie die Elfen-
tänze der Libellen und morden die fleiß-
igen Diener Flora's, die den befrucht-
enden Blütenstaub von Blume zu Blume
tragen. Oder betrachten Sie die be-
kannte Thätigkeit der Störche." (Hier er-
röthete Frl. Kunz.) „Mit Recht hat unser
Verein seinerzeit Protest erhoben, daß
die Frösche in den physiologischen La-
boratorien in jener herzlosen Weise zu
Experimenten benützt werden. Aber der
Storch packt sie ja tausendmal grau-

Ernst Liebermann (Gotha).
,,Ihr Herren, und lasset Euch sagen,

Die Stadtgemeinde braucht Schlaf,

Die Glocke hat eilt' Uhr geschlagen,

Wer jetzt nicht zu Bett geht, zahlt Straf'.“

(Scheffel, ,,Gaudeamus“.)

1898

samer mit seinem harten Mordschnabel,
zerbricht ihnen alle Knochen im Leibe,
verschluckt sie lebendig, speit sie noch ein-
mal aus und genau so macht er es auch
mit Aalen und Regenwürmern.

Da es nun viel, viel mehr Störche
als Physiologen gibt, so würde der Ver-
ein sich zweckmäßiger zuerst gegen die
Störche wenden.

Leicht wird es freilich nicht sein, hier
Abhilfe zu schaffen, denn es herrscht in
der Natur allenthalben die Unsitte, daß
ein Thier immer dem anderen zur Nahr-
ung dient. Gegen dieses abscheuliche,
weit verbreitete Prinzip muß Ihr Ver-
ein mit aller Lntschiedenheit Front
machen, und anfangen müssen wir mit
den gesräßigsten Raubthieren, nämlich
den Menschen. Ja, meine verehrten
Anwesenden, wir vergessen zu leicht,
welch' blutdürstige Raubthiere wir sind,
weil zwischen uns und unsere Opfer
gewöhnlich der Metzger und die Köchin
als versöhnende Zwischenglieder einge-
schaltet sind. Wer denkt beim Genuß
einer Portion Schinken überhaupt noch
an das fröhliche Schwein, dem sie einst
angehörte? Um in dieser Hinsicht Ihrem
Vorstellungsvermögen zu Hilfe zu kom-
men, hat mein Freund Franz hier auf
diesem Bilde alle Thiere und Pflanzen
zusammen dargestellt, welche ein Durch-
schnittsmensch aus guter Familie ver-
zehrt, wenn er so Jahre alt wird." —

Lin großer farbiger Larton entrollte
sich und man erblickte mit Wehmuth
riesige Heerden von Ochsen, Schweinen.
Schafen, Kälbern, Rehen, Gänsen, Hüh-
nern und Luten, welche in einer frucht-
baren Landschaft zwischen Kartoffel-
äckern, Salatbeeten und saftigem Gemüse
friedlich zu weiden schienen. „Sehen Sie,
dieses ganze blühende Leben ist be-
stimmt, in dem Magen eines einzigen
Durchschnittsmenschen begraben zu wer-
den," wiederholte l)r. Schnack mit Nach-
druck. „Ls liegt hierin eine Grausam-
keit, eine schnöde Ungerechtigkeit, die
zum Himmel schreit, und ebenso wie
bei den vorhin erwähnten Mißständen
muß auch hier Abhilfe geschaffen werden.

verbieten wir also den Aerzten, un-
schuldige Thierchen zu vergiften, angeb-
lich, um unsere bedrohte Gesundheit
zu erhalten; hüten wir uns sorgsam,
auf unseren Spaziergängen fleißige
Waldinsekten in grausamster Weise zu
zertreten; — wenn wir einen Floh
haben, so wollen wir ihn nicht knicken,
sondern ihn schonend wegnehmen und
einem unserer Bekannten anheften, von
dem wir wissen, daß er ein gutmüthiger
Mensch ist; dringen wir ferner darauf,
daß der Staat im größten Maßstab
die Erziehung der gestimmten Thierwelt
in die Hand nimmt; der Maulkorbzwang,
der für die Hunde schon besteht, muß
auf alle übrigen Lebewesen ausgedehnt
werden, wobei selbstverständlich für täg-
lich zweimalige Fütterung derselben
durch staatlich angestellte Wärter Sorge
zu tragen wäre. Und zum Futter sollten
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Ernst Liebermann: Nachtwächter
 
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