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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 50 (10. Dezember 1898)
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Nr. 5D

Nr. 50

E>n blasser Lichtstreif dämmerte am Rand,
Sonst grau und trostlos war der Himmelsbogen
Hoch über einen weiten Strom gespannt:

An kahle User spülten seine wogen,

Die trüb und schläfrig, bleiern schwer und fahl,
wie sterbcnsmüd' von langer Reise zogen . . .

Und mitten d rin sah ich mit einem Mal
Ein dunkles Etwas, das dem trägen Gange
Des Stromes folgend langsam schlich zu Thal,

Vergleichbar einer ungeheu'rcn Schlange.

Doch, wie ich näher sah, da wich das Blut
Dem Schrcckcrstarrten jählings aus der Wange:

Es waren tsdtc Leiber, was die Fluth
Vorübcrtrug in Haufen, immer dichter,
Entstellt und schreckhaft, oft befleckt mit Blut.

Verzerrt vom letzten "Kampf noch die Gesichter,
So starrten sie zum öden Himmclsraum,

Die ausgclöschren Augen ohne Lichter,

Furchtbar und drohend! Hin und wieder kaum
Sah ich ein sanftes Antlitz im Gedränge,

Das schlafend schien und lächelte im Traum.

Die Andern alle blickten herb und strenge —
Und Eines war den Meisten nur gemein
In dieser wächsernen Gesichter Menge:

Ein Volkstribun, ein lauter Tharlatan,

Ein Weib, dem Hunderte zu Füßen lagen,
Und eine Nonne, die in frommem Wahn,

Der Liebe fern, ihr dunkles Kreuz getragen;
Ein Mädchen, das nach kurzem Rausch verdarb,
we:I sic zu heiß gefühlt, um Nein! zu sagen;

Ein blühend Weib, das seinen Kindern starb,
Ein Trösus, der mit nimmermüden Händen
Sich unersättlich Schatz um Schatz erwarb;

Ein Krieger hier, den Säbel um die Lenden,
Ein Richter da mit woblgcdrehtem Zopf,

Ein Henker und — das Kleeblatt zu vollenden —

Franz Lippisch (Charlottenburg).

Ein Schächer auch mit abgeschlagnem Kopf!
Ein Sänger, der die Welt entzückt in Lieder,i,
Und nebendran ein armer irrer Tropf,

Einst Kindcrspott, der Niederste der Niedern —
So buntgewürfelt schwammen Klein und Groß
Den Strom hinab mit starren, kalten Glieder.:

Auf die geheimnißvollc Ferne los! —

Und neuer Schrecken, als ich naher schaute:
Ein düst'rer Fährmann steuerte das Floß —

Ich kannt' ihn wohl! Und ob cs mir auch gcattV,
Mit banger Neugier frug ich doch: „wohin?"
Und Antwort rief er mir mit Hellem Laute:

Ein fremder Zug! Halb schien cs Weh zu sein,
Halb war cs Hohn. So schauen wohl zu Zeiten
Besiegte Helden im Triumphzug d'rein,

Die vor der Sieger gold'nen wagen schreiten,
In Fesseln, doch mit ungcbrochncr Kraft,

Und nur durch Ucbcrmacht gelähmt im Streiten

Es glitt die Masse finster, schattenhaft,

In rollgemischtem Zug den Strom hinunter,
w.e sie die Stunde wahllos hingerafft:

Ein schwarzer Mönch hier —nebendran ein luii>r‘
Hanswurst — ein Weiser dort, der hochgelehrt
Dem Schöpfer nachgespürt in seine Wunder;

u1" Staatsmann, einst gefürchtet und verehrt,

,''k neben der Vestalin eine Dirne —
llh Keine mehr jetzt, Keine minder wcrth l

^ da ein König mit cntkröntcr Stirne,
iß1" Bettler ihm zur Seite; dort ein Thor,

1,1 Stückchen Blei im ausgebrannten Hirne,

, fts um ein Weib die letzte Kraft verlor.
ij'1’1- Schranzcnvolk mit goldbcstcrntcn Brüsten,
Künstler, der verhungerte und fror;

v1 Wüstling, Meister einst in allen Lüsten —
ftv ^en Nauen Lippen nimmer an,

sie verführen konnten, wenn sie küßten;

„In's Reich des Lebens, dessen Fürst ich bin!"

I'. V. O.
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