DOI issue:
Nr. 50 (10. Dezember 1898)
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0427
Nr. 50
JUGEND
1893
Die Rolle des Pferdes
Der Pariser „Soleil“ be-
kämpfte vor kurzem den Plan
eines französisch-deutschen
Bündnisses mit den folgenden
Worten: „Schon im Russen-
bündniss spielt Frankreich
die Rolle des Pferdes un-
ter dem Reiter, eine al-
berne Rolle für eine gros-
se Nation. Liesse es sich
von Preussen reiten, so wäre
dies entehrend.“
Die Reichsverdrossenheit
was ist denn dies für ein dummes Wort,
Dies „rcichsverdrossen"?
wird wieder mal mir dem Bade fort
Das Rind gegossen?
weiß Gott, es ist Vieles im deutschen Gau
Just nicht erbaulich,
Und malt Ihr auch Manches zu dunkclgrau —
Es bleibt ja graulich I
Denn Bureaukratie und Polizei
Sind allzukritlich;
Der Pfaffen Gewinscl und wchgcschrci
Tönt allzu „sittlich";
Die Musen zittern ob dem Gekreisch
Verlogner Mucker;
Und unbezahlbar wird bald das Fleisch
Für arme Schlucker;
Vielleicht daß zuweilen auch hier und dort
Zuviel gesagt wird,
Und deshalb doch um ein freies Wort
Zu viel verklagt wird;
Vielleicht steh'n Junker und Leutnant jetzt
Im Lurs zu theucr;
Vielleicht wird auch Acgir zu hoch geschätzt —
Besonders Heuer!
Doch werft nur um Alles nicht deshalb gleich
Ins Rorn die Flinte:
Der liebe Gott hilft dem Deutschen Reich
Schon aus der Tinte!
Es hat sich der wind schon oft gedreht,
Er dreht sich wieder,
was heute hoch über pari steht,
Steht morgen nieder.
Es kommt — mir ahnt es! — in Bälde schon
Als nächste Neuheit,
Als Reaktion auf die Reaktion,
So was wie Freiheit!
Bedenkt: Es werden den Hochgenuß
Die nicht genießen,
Die sich aus Rümmer und Reichsverdruß
Schon heut' erschießen. iti-Ki-iü.
A
Sport-Bericht
Das Deutsche Bühnendichter-Derby
1897—98 gestaltete sich, wie man mittheilt, zu
einem glänzenden Sieg für „Blumenthäl",
der ohnedies heißer Favorit war; er gewann,
wie er wollte, im Canter vor „Schönthan"
und stellte überdies mit 1371 Aufführungen
einen Rekord auf. „Schönthan" ging 469 Bor-
stellnngen hinter dem Ersten durch's Ziel. Der
a. „Schiller" mit 792 Vorstellungen war
schlechter Dritter, kam aber immer noch 187
Abende vor „Shakespeare", der somit die
englische Zucht schlecht vertrat auf dem grünen
Rasen, wo vor zwei Jahren noch die glorreiche
„Charleys Tante" so kolossale Triumphe ge-
feiert. Roch schlechter schnitten „Sudermann"
und „Hauptmann" ab, zeigten sich aber mit
530, resp. 511 Abenden immer noch als Dichter
von Klasse gegen die total nicdcrgcbrochenen
Außenseiter „Goethe" (219), „Ibsen" (199),
„Grillparzer" (122 Aufführungen).. Auch
„Sardou", ein französisches Produkt, das in
früheren Jahren kräftig bei der Entscheidung
mitsprach, scheint vollkommen ausgepumpt.
So gestaltete sich der Sieg „Blumenthals"
(von „Meidinger" aus der „Kalnu") zu einem
hocherfreulichen Triumph der deutschen Voll-
blutzucht, dem das sportverständige Publikum
enthusiastisch zujubelte.
Am Totalisator bekamen die Wenigen, die
„Schiller" auf Platz gewettet hatten, beinahe
hundertfaches Geld. Tod sioan.
(Ein großer Herr
Schalkowsky: Du, mit dem Frciherrn
v. Lenden in Wiesbaden ist nicht gut Kirschen
essen.
Schelmuffsky: wer sagt das?
Schalk.: <£r selbst.
Sch e Irn.: fjtn, hm. Wieso denn? (Er
will wohl das Fleisch behalten und den andern
den Kern geben —
Schalk.: Viel schlimmer, er will den Stil
behalten!
Schelm.: Den Stil? — Da hat er recht:
dann eß' ich nicht mit.
Fremdwörtererklärung
Schalkowsky: Sage mir, Schelmuffsky,
ich lese da dieser Tage in den Zeitungen von
„Relikten" — was ist das?
Schelmuffsky: Das will ich Dir sagen,
Schalkowsky. Unter „Relikten" versteht man
das, was ein Landschullehrer hinterläßt.
Schalk.: Aha, also Frau und Kinder.
Schelm.: Stimmt.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
JUGEND
1893
Die Rolle des Pferdes
Der Pariser „Soleil“ be-
kämpfte vor kurzem den Plan
eines französisch-deutschen
Bündnisses mit den folgenden
Worten: „Schon im Russen-
bündniss spielt Frankreich
die Rolle des Pferdes un-
ter dem Reiter, eine al-
berne Rolle für eine gros-
se Nation. Liesse es sich
von Preussen reiten, so wäre
dies entehrend.“
Die Reichsverdrossenheit
was ist denn dies für ein dummes Wort,
Dies „rcichsverdrossen"?
wird wieder mal mir dem Bade fort
Das Rind gegossen?
weiß Gott, es ist Vieles im deutschen Gau
Just nicht erbaulich,
Und malt Ihr auch Manches zu dunkclgrau —
Es bleibt ja graulich I
Denn Bureaukratie und Polizei
Sind allzukritlich;
Der Pfaffen Gewinscl und wchgcschrci
Tönt allzu „sittlich";
Die Musen zittern ob dem Gekreisch
Verlogner Mucker;
Und unbezahlbar wird bald das Fleisch
Für arme Schlucker;
Vielleicht daß zuweilen auch hier und dort
Zuviel gesagt wird,
Und deshalb doch um ein freies Wort
Zu viel verklagt wird;
Vielleicht steh'n Junker und Leutnant jetzt
Im Lurs zu theucr;
Vielleicht wird auch Acgir zu hoch geschätzt —
Besonders Heuer!
Doch werft nur um Alles nicht deshalb gleich
Ins Rorn die Flinte:
Der liebe Gott hilft dem Deutschen Reich
Schon aus der Tinte!
Es hat sich der wind schon oft gedreht,
Er dreht sich wieder,
was heute hoch über pari steht,
Steht morgen nieder.
Es kommt — mir ahnt es! — in Bälde schon
Als nächste Neuheit,
Als Reaktion auf die Reaktion,
So was wie Freiheit!
Bedenkt: Es werden den Hochgenuß
Die nicht genießen,
Die sich aus Rümmer und Reichsverdruß
Schon heut' erschießen. iti-Ki-iü.
A
Sport-Bericht
Das Deutsche Bühnendichter-Derby
1897—98 gestaltete sich, wie man mittheilt, zu
einem glänzenden Sieg für „Blumenthäl",
der ohnedies heißer Favorit war; er gewann,
wie er wollte, im Canter vor „Schönthan"
und stellte überdies mit 1371 Aufführungen
einen Rekord auf. „Schönthan" ging 469 Bor-
stellnngen hinter dem Ersten durch's Ziel. Der
a. „Schiller" mit 792 Vorstellungen war
schlechter Dritter, kam aber immer noch 187
Abende vor „Shakespeare", der somit die
englische Zucht schlecht vertrat auf dem grünen
Rasen, wo vor zwei Jahren noch die glorreiche
„Charleys Tante" so kolossale Triumphe ge-
feiert. Roch schlechter schnitten „Sudermann"
und „Hauptmann" ab, zeigten sich aber mit
530, resp. 511 Abenden immer noch als Dichter
von Klasse gegen die total nicdcrgcbrochenen
Außenseiter „Goethe" (219), „Ibsen" (199),
„Grillparzer" (122 Aufführungen).. Auch
„Sardou", ein französisches Produkt, das in
früheren Jahren kräftig bei der Entscheidung
mitsprach, scheint vollkommen ausgepumpt.
So gestaltete sich der Sieg „Blumenthals"
(von „Meidinger" aus der „Kalnu") zu einem
hocherfreulichen Triumph der deutschen Voll-
blutzucht, dem das sportverständige Publikum
enthusiastisch zujubelte.
Am Totalisator bekamen die Wenigen, die
„Schiller" auf Platz gewettet hatten, beinahe
hundertfaches Geld. Tod sioan.
(Ein großer Herr
Schalkowsky: Du, mit dem Frciherrn
v. Lenden in Wiesbaden ist nicht gut Kirschen
essen.
Schelmuffsky: wer sagt das?
Schalk.: <£r selbst.
Sch e Irn.: fjtn, hm. Wieso denn? (Er
will wohl das Fleisch behalten und den andern
den Kern geben —
Schalk.: Viel schlimmer, er will den Stil
behalten!
Schelm.: Den Stil? — Da hat er recht:
dann eß' ich nicht mit.
Fremdwörtererklärung
Schalkowsky: Sage mir, Schelmuffsky,
ich lese da dieser Tage in den Zeitungen von
„Relikten" — was ist das?
Schelmuffsky: Das will ich Dir sagen,
Schalkowsky. Unter „Relikten" versteht man
das, was ein Landschullehrer hinterläßt.
Schalk.: Aha, also Frau und Kinder.
Schelm.: Stimmt.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.