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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 51 (17. Dezember 1898)
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Nr. 51

JUGEND

1898


Bettung

Von

JEANNE MARNI; deutsch von PAUL BORNSTEIN

Im Bois, in einer Allee nahe den Akazien.
Ein geschlossener Fiaker nach der Chaussde
zu, an der einen der Wagenthüren — an der
der Fiaker hält — ein Veilchenstrauss, der
sich gegen die Fensterscheibe drückt. Der
Fenstervorhang ist bis zu dem Strauss
herabgelassen. Vier Uhr Nachmittags —
ein Septembertag.

Der Kutscher — jung, sehr sauber.
Grüne Livröe mit gelben Metallknöpfen,
die blitzblank geputzt sind. Mit dem Ellen-
bogen auf das Polster seines Bockes ge-
stützt, das er wie ein Kissen neben sich
gelegt hat, liest er eine Zeitung.

Frau Fraimiel, zwanzig bis fünfund-
zwanzig Jahre — eine Brünette mit feinen
und bescheidenen Gesichtszügen. Dunkles
Kleid, schwarzer Hut, dichter Schleier, durch-
dringendes Parfüm.

Frau Chene, die Frau des berühmten
Romanschriftstellers und glänzenden Psy-
chologen Maxime Chüne, dreiundvierzig
Jahre. Ergrauendes Haar. Welkes Gesicht,
grosse Augen mit erstorbenen Pupillen und
müdem Blick. Sie tritt an den Fiaker, in
dem sich Frau Fraimiel bereits seit einer
Viertelstunde befindet, heran und öffnet die
Wagenthür.

Frau Fraimiel (zurückweichend): Sie
irren sich, gnädige Frau.

Frau Chene: Ich glaube nicht, gnä-
dige Frau.

Fr. Fraimiel: Ich sage Ihnen, dass
Sie sich irren. (Sie will erschreckt durch
die andere Thür aussteigen.)

Fr.Chene: Aengstigen Sie sich nicht!
Gehen Sie nicht fort! Ich muss mit
Ihnen sprechen. (Siezeigt ihr einen offenen
Brief.) Sie haben doch diesen Brief ge-
schrieben, nicht wahr?

Fr. Fraimiel (betrachtet verblüfft den
Brief, ohne eine Antwort zu finden).

Fr. Chene (ihr den Brief hinreichend):
Nicht wahr, Sie sind es doch?

Fr. Fraimiel (die ihre Verwirrung über-
wunden hat, tapfer): Nun ja, ich bin es.

Fr. Chene: Wegen dieses Briefes
möchte ich ein Wort mit Ihnen sprechen.
Könnten Sie vielleicht auf einen Augen-
blick aussteigen?

Fr. Fraimiel: Was wollen Sie von
mir? Ich kenne Sie nicht. Wer sind Sie?

Fr. Chene: Ich bin Frau Chene.

Fr. Fraimiel (jäh erröthend): Die Mutter
Maxime Chene’s?

Fr. Chene (mild): Nein, seine Frau.

Fr. Fraimiel (verwirrt): O, Verzeih-
ung, gnädige Frau! Aber ich wusste
nicht ... ich dachte nicht . . .

Fr. Chene: Dass Maxime Chene ver-
heiratet sei und eine so alte Frau habe?
Das ist freilich nicht sehr bekannt;
aber es ist doch nun einmal so. Wollen
Sie mir jetzt vergönnen, dass ich ein
paar Worte mit Ihnen spreche?

Fr. Fraimiel (zögernd): Aber... gnä-
dige Frau . ..

Fr. Chene (immer in dem gleichen sanf-
ten Ton): Ich bitte Sie darum!

Fr. Fraimiel: So steigen Sie ein,
gnädige Frau! —

(Frau Chöne steigt in den Wagen.)

Fr. Fraimiel (zum Kutscher): Kutscher,
Fahren Sie die Allee herunter, immer
geradaus!

(Der Kutscher, aus seiner Lektüre auf-
geschreckt, setzt sein Pferd in Gang; er
versucht, zu horchen; aber die Wagenfenster
sind geschlossen, und er hört nichts.)

Fr. Chene: Zunächst und vor Allem
liegt mir daran, Sie darüber aufzuklären,
dass in diesem Augenblick nicht eine
eifersüchtige Gattin zu Ihnen spricht.

Fr. Fraimiel (verlegen): Indessen ...

Fr. Chene: Ja, ich gebe zu, dass der
seltsame und vielleicht sogar lächer-
liche Schritt, den ich Ihnen gegenüber
that, durchaus den Anschein der Eifer-
sucht erwecken muss. Aber ich wieder-
hole Ihnen, ich bin nicht eifersüchtig
auf meinen Mann. Ich war es einmal
— entsetzlich, bis zum Wahnsinn, bis
zum Selbstmord. Heut ist das vorbei.
Maxime hat seine Maitressen, ich leide
nicht mehr darunter.

Fr.Fraimiel: Nun also, gnädige Frau.

Fr. Chene: Sehen Sie, Sie haben in
diesen Tagen zwei Briefe an Herrn
Chene geschrieben. Diese Briefe blie-
ben unbeantwortet... Wissen Sie, warum ?

Bernhard Pankok (München).

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Register
Bernhard Pankok: Zierrahmen
Jeanne Marni: Rettung
 
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