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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 51 (17. Dezember 1898)
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Nr. 51

JUGEND

1898

Lin schlechtes Gewissen und ein halbes
Kalb sind nicht so leicht zu tragen. Gla mußte
sich den Schweiß abwischen, als er sagte:
„Herr psorrer, is et meglich, Vergebung
tau finde för so'n groten Sönder. wie eck?"

„hm,_ja ... . versteht sich . . . ."

murmelte der Geistliche.

„God, Herr Pfarrer, dann sinn Se woll
so god, vorleeb to nähme met'n halwen Kalb
un em Käs; eck häw se in de Köck gelegt."

„Dank, lieber Gla, herzlichen Dank! Za,
gewiß, der Herr ist gnädig, und wer sich be-
kehrt und sich bessert, dem wird Barmherzigkeit
zu Theil werden I Rufe mich an in der Noth,
so will ich vir helfen! Das ist auch ein gutes
lvort, und ferner: Wenn Eure Sünden auch blut-
roth sind, will ich Luch vergebe». Setz' Kaffee
auf für Dla, Lmilie," sagte der Geistliche.

Gla ging ganz getröstet und gestärkt vom
Pfarrhof heim. Als er unten in der Allee auf-
tauchte, kam die pfarrerin hinein und sagte:
„Vas Kalb ist mindestens fünf Wochen
alt und der Käse wiegt seine neun Kilo."

„Der Herr leitet die herze» wie die Wasser-
bächc," seufzte der Geistliche und faltete be-
haglich seine Hände.

Unten in Kirchdorf saß Gla auf der
Schlafbank und hatte soviel Bücher mit Gottes
Wort, als sich im Hause nur fanden, auf dem
Fensterbrett aufgereiht und las ruhig und
still. Die Frau kochte Kaffee und backte
Waffeln und gab ihm davon. Da streichelte
er ihre Hand und sagte:

„Lck dank Dir, eck dank Dir! Du bist mir
immer e godes wif gewese."

Da konnte die Frau sich nicht länger halten,
sondern ging heulend in die Küche hinaus und
sagte: „Ach, harr Gott, harr Gott, dat crcpirt
mir, eenen Kerl, der all' de drießig Johr, die
tm nu verheurathet sinn, ee tücht'ges Minsch
gewese, als so'n Laps tau sehe. Dat schneidet
mi mitten durch's harz, harr Gott, harr Gott,
möcht he mich schon liewer wedder bi de
hoore reiße, wie fünftensI"

Mitten in der Nacht stand Gla auf und
guckte durch das Giebelfenster auf den Kirch-
hof hinaus. Beinahe wäre er rücklings hin-
gestürzt: die weißen Gespenster sprangen wie
in der vorigen Nacht, mit Feuer in den
fänden und glühenden Kohlen am Munde,

zwischen den Gräbern umher.

Am folgenden Tage schickte er den Knecht
zum Küster, um sich Lhristian Loriwers Seelen-
schatz zu leihen, ließ seiner alten armen Tante
eine Last Holz anfahren und sandte einer
alten kranken Frau in der Nähe eine Kanne
voll Fruchtsaft. Sonst hatte er immer ge-
schworen, daß er sie bei Gelegenheit todtschlagen
wolle, da sie Holz in seinem Gehege stahl.

Gegen Abend ließ er den Andersens Gl-
sakeu, seinen Mitrevisor in den Kirchen-
geschäftcn, holen und sagte zu ihm:

„Min liewer Anders, wi häwe alle
mögliche Sorgen, awer eens is von Nödenl
Loat den harr» pforrer ut de Kirchekaß'
nähme, wat he wöll; he is de Nächste datan.
wi schriewe den Revessionsbericht und ertheile
hem met Dank fülle Desschasche. ,Denkt an
Lure Lehrer und folget ihnen', steiht in de
Schrift, Anders. ,Folget', steiht da, nich ^er-
folget', wie ja, der harr behüt' mi, eck's ge-
dohn häw."

Gla's Frau war ganz außer sich vor
Sorge. Sie versuchte auf alle Arten, seine
gute Laune wieder hervorzurufen, sagte Aller-
hand, von dem sie wußte, daß es ihn zu
reizen pflegte, und ärgerte ihn auf alle Arten:
„De Schlachtkuh vom Kister häwt sech in-
gebroche in uns' Kleefeld, Gla."

„Del macht nischtl Se is ooch een Werk
Gottes, und et is der harr, der den Klee
wachse läßt, MolchenI"

„De Jonas in Akale häwt so schlecht von Dich
geredt, Du fülltest hem eens nff's Muhl gäwenl"
„Selig sind de Sanstmüth'gen, denn se
sollen de Erde besitzen," erwiderte Bla.

Line weile später saß Bla allein in der
Stube, als die beiden Jungen des Fabrik-
besitzers auf Akerbo, beide Studenten und lustige
Bursche, mit einem Kameraden hereinkamen
und um ein wenig Wasser baten.

Gla gab ihnen Wasser und Milch, warnte
sie vor zu schnellem Trinken und bat sie, ihm
nicht zu zürnen, wenn er ihnen ein gutes

Uebersetzungskunst

Ex ungue leonem —

Den Löwy erkennt man „an die Füß"

Wort mit auf' den weg gäbe: „Den? 'am
deenen Schöpfer in deener Jugend I"

Die jungen Leute dankten herzlich für das
Line wie für das Andere und benützten die
Gelegenheit, zu sagen, sie hofften weder
Mutter Male, noch sonst Jemand dadurch
erschreckt oder gestört zu haben, daß sie einige-
Nächte auf den Kirchhof gegangen wären und
Regeuwürmer zum Angeln gesucht hätten....

Bla fuhr auf und guckte sie mit weit auf-
gerissenem Munde an: weiße Mützen, hell?
Leiuenanzügc und die Ligarren nie aus dem
Mutide.

„Da full doch der Diewel."

Gla nahm,langsam und nachdenkllich die
Lrbauungsbüchcr und stopfte sie wieder in die
Regale. Daun öffnete er den Wandschrank
und guckte nach der Flasche und grinste sehr
ärgerlich, als sie sich dort nicht befand. Darauf
ging er in die Küche hinaus, sah seine Frau-
am Herde stehen, schlug ihr ein's hinter die
Bhren, so daß sie gleich ein ganzes Feuerwerk"
sah, und schrie:

„Wat Diewel häwste met'm Branntwin
gemokt, Du verdammtet wies?"

Lr nahm seine sechs oder sieben reine-
Schnäpse schnell hintereinander, und als die-
Leute von der Lrnte heimkamen, stand Mutter-
Male und schälte Kartoffeln und summte ein
Liedchen vor sich hin.

„Wat seid Ihr denn so froh, Moder?"'
fragte der Knecht.

„Jo, kannste Dir denke, no is Voder wedder
bi sin verstand, Gott si gelowtl No häwt
he wedder gesopei" sagte die alte Male.

£

Wahrzeichen

Die wahre Liebe, die groß und echt ist,
Liebt am Geliebten auch das, was schlecht ist.

K. T.

£

Neue Krankheit

A: Keine Lentennar-, Decennar-, Guin-
quennarfeier läßt der Or. versbinder vorüber-
gehen, ohne ein Gedicht dazu zu machen.

B: Ja, der Aermste leidet an Gedenk-
reimatismus.

Berliner Pflanze

H e v v: Junge, waruin heulst Du denn so?

Junge (schluchzend): weil wa Heike
kccne Schule haben.

Herr: Na, das ist doch kein Grund, da
müßtest Du doch eher lustig sein.

Junge: Ja, wenn ick — dct — man
— vor'» waschen jcwußt hätte. dt.

Poeta aureatus

Einen überaus fruchtbaren und beliebten-
Schriftsteller suchte ein Vlculing aus-
zuforschen, woher es denn komme, daß er-
so viel schreibe, ob von immer reger Phan-
tasie oder innerem Schaffcnsdrange oder
Tiebc zur Kunst oder dergleichen, „weil's-
gut bezahlt wird!" war die aufrichtigc-
Antwort. k). ®.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Poeta aureatus
[nicht signierter Beitrag]: Berliner Pflanzen
[nicht signierter Beitrag]: Poeta aureatus
Angelo Jank: Übersetzungskunst: Ex ungue leonem
[nicht signierter Beitrag]: Neue Krankheit
Kory Towska: Wahrzeichen
 
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