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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52 (24. Dezember 1898)
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1898

cm jüngerer Bruder mich verspottete, weil ich
mit seiner Windmühle spielte, vermochte ich ihm
mit Hoheit und einem grossen Jungensbatz zu
erwidern: „Du Dummbart, ich wollte nur mal
sehen, wie sie eingerichtet ist."

Wenn eure Kinder mir 14, 16, 18 Jahren und
später noch spielen mögen, so stört sie nicht. Denn
das sind gewöhnlich die Menschen, die draußen
in der ernsten Welt ihr Werk angreifen mit froher
Kindcrkraft und die mit naivem Lächeln bcwäl-
tigen, was dem Pedanten unmöglich schien.

Ja, wenn ich nicht fürchten mutzte, mich gren-
zenlos zu blamiren, so wurde ich irgend einem
verschwiegenen Freunde in aller Heimlichkeit ge-
stehen, datz mir bei den Weihnachtseinkäufen in
den Spielzeugläden oft ganz weich und kindisch
um's Herz wird. Meine Frau behauptet auch,
das; ich immer theurere Dinge kaufte, als ich mir
zu Hanse vorgenommen hätte. Sie verschweigt
dabei allerdings, datz sie die geringere Wnare so
lange mitleidig betrachtet und die bessere so lange
reizend findet, bis ich mich für das Reizende ent-
scheide. DaS mutz ich ja zugeben: Die letzte Ent-
scheidung überläßt sie mir. Wenn ich also nicht
Manns genug bin, so trifft ja mich die Verant-
wortung. Aber wenn ich Raubthiere sehe, die
wirklich ivie Thiere aussehen, mit wirklichem Fell
übeizogen sind, und darunter einen Bären, der
wirklich diesen charakteristischen Bärenblick hat,
diesen bonhommislischen Raubthierblick, diesen
blutdürstigen Honigblick, diesen politischen Pa-
storenblick, einen Büren, der noch dazu nicht
größer ist als der Elephant in derselben Schach-
tel, vielleicht sogar etlvas kleiner—: dann werd'
ich eben schwach, dann kann ich nicht widerstehen.

Und nun die Heimlichkeit, wenn man nach
Hause kommt. Welch ein Glanz nmflimmert solch
ein graupapierenes Packet! Fragende Wünjche,
zweifelnde HoffunngcU umflattern es wie Falter
mit farbenwechselnden Flügeln! Und nne mutz
man sich zusammennehmen, um die Kinder zu
überzeugen, datz man keine Ahnung habe, wo-
mit sie einen überraschen wollen!

Und näher rückt die Zeit — „jetzt noch zehn-
mal schlafen" .... „jetzt noch neunmal".... Da
kommen sie überall her aus weichen, weißen
Schwingen, die schönen Weihnachtslieder. Sind
sie wirklich alle so schön, oder ist es nur, weil
bei jedem Ton eine ganze vergangene Weihnacht
heraussteigt? Und dann tönt wieder die liebliche
Geschichte von dem Kindlein in der Krappe, von
der Herrlichkeit, die sich aufthat über deir nächt-
lichen Hirten, und Von dem Stern, der über der
Hütte von Bethlehem stand. Es war ein großer,
reiner, sanfter Stern. Seine Schönheit leuchtete
allen Landen; aber vor allem herrlich schaute er
herab auf Germaniens toeitzstarrende Wiuter-
wälder, auf Deutschlands nebelrauchende Wiesen!
Die Kinder Germaniens lieben aus innerster
Seele das Licht, das durch schweigende Nebel
dringt: das feuchte Silber der Wintermorgen-
sonne, der Elben nächtlich wogende Schleier,
durch die das stille Auge des Mondes blickt.
Wenn die Aeste krachen unter der Last des Eises,
und schweigender Schnee seine Schivelle längst
schon begrub, dann steht der Deutsche am dunk-
len Fenster und spricht mit dem letzten rothen
Schimmer der sinkenden Wintersonne.

» Dies ist ihm das rechte Neujahrsfest; es ist
Wintersonnenwende. Heute denkt er zurück, tuen
er zu sehr gehaßt, wen er zu wenig geliebt. Er
sieht im müden, warmen Lichte der letzten Röthe
den Nachbar Fuhrmann nach Hanse kommen, den
Tannenbaum unter dem Arm, datz die Spitze
durch den Schnee schleift. Ein Hündchen springt
über den Weg und kehrt wieder in's Haus zu-
rück. Wer wollte denn heut nicht daheim sein?
Weihnacht feiert wohl selbst der Stein am Wege,
lieber allem ist ein lächelnder, unerschütterlicher
Wille zum Frieden nusgebreitet, lind ganz am
äußersten Rande des weiten Schneefeldes sieht

- JUGEND -

Nr. 52

nun der Deutsche eilt niedriges Dach, und über der
schneeverwehten Hütte entzündet sich mehr und
mehr ein Stern, lind ganz — ganz leise und
ganz fein — aber doch so klar — und so ruhevoll
kommt eS dahergezogen, ein Lied, ach ein seines,
wunderbares Lied:

„Es ist ein' Ros' entsprungen
Ans einer Wurzel zart.

Wie »ns die Alten sangen,

Bon Jesse kam die Art.

Und hat ein Blümlein bracht
Mitten im kalten Winter
Wohl zu der halben Nacht."

Das ist ein deutscher Sang. Denn das er-
gnickt den Deutschen am innigsten, wenn aus dem
verschneiten Winterdnnkel ei» Schimmer dringt,
uiciiit ans todtenstillen Winternebeln langsam
die Sonne des kommenden Frühlings blüht.

lind wenn nun hinter ihm im Dunkel der
geschmückt schon harrende Baum mit leisem Ge-
ränjch die Zweige dehnt — und wenn die Kinder
vor der Thür stehen und die schwellenden Wünsche
in ihren Herzen aufbrechen zu heitzblühendem
Verlangen — dann ist das Wintersonncnmärcheu
aus seinem Gipfel, dann wirkt sie ihren hoch tet:
Zauber, die heilige Dichtung, die die Menschen
„Weihnacht" nennen.

ES gibt nur noch wenige Dichtungen, die so
schön sind. Eine heißt „Entschwundene Kindheit,"
eine andere „Der nächste Frühling." Weiß je-
mand noch eine?

Un äsr ^eimath

flur eine kleine Jammer war pein eigen
picht unterig pach, mit schmalem fensterlein —
perr\ schuf kein £enz ein .Zelt von ßliithenzweigen,
poch grimmig blies der Vinter o/t hinein.

Ünd war uns doch das Schloss der Seligl eiten!
;Mit lichten ßlumen haben wir's geschmückt;
ünd kam der frost, die jkrme rauh zu breiten.
Vir haben ferz an ferz uns wanngedrückt. —

/-tun hab' ich lang' nicht mehr der frima'h ßlütheg
Jm grünen Glas au/ peinen Cisch gestellt,
f(un weiss ich nicht: wer mag pich jetzt behüten,
Venn Vinternacht den Schnee am pa:h/irst helft.

poch manchmal ist es, dass verklärt vom Jamm.r
pein üächeln müd in meine Gaume scheint,

Ünd dass ich höre, wie in peiner Jammer
£in wehes Schluchzen in den Schla/ sich weint.

Franz LangHcinrich.

,,CÜ9cotö«g«n, if)i pkninpen Tröpfe,
öerjcl)£agt il)e. hie zinfiri/en ‘cDöpjxs“

Nie ganzen taugen uns iricTjt;

Q3?ie Hakten S^erbcugcrijjjt.

l/ikkexHand Gfüeli und affcxßanb Leid
dvad' iH <jeno||en, Csekittcn;

2EanAerkei THaten und inanHexkei Streit
ddatz' iH uokklnaAt und gejhittcu.
tljtg!xc!)e Sorte von fCacfen,

Die trüben und Heitern, die keiHten und scHrvexcn
Jionnt’ ich gefajjcn ertragen,

QXur iriHt die inHaktskeeren.

LUDWIG FULDA.

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Register
Ludwig Anton Salomon Fulda: Sinngedichte
Walter Caspari: Zeichnung ohne Titel
Franz Langheinrich: In der Heimat
 
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