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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52 (24. Dezember 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0453
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Nr. 52

JUGEND

1893

Ein herrenloser- Dund

von Lsalmar Söderberg.

-Kin Mann starb, und als er tobt war, füllt*
jgg inerte sich Niemand um seinen schwarzen
Hund, Der Hund betrauerte ihn lange und
bitter, Er legte sich jedoch nicht ans seines
Herrn Grab, um dort zu sterben, vielleicht,
weil er nicht wußte, wo cs sich befand, vielleicht
auch weil er im Grunde ein junger, fröhlickrr
Hund war, der noch mit dem Leben eine ganze
Menge sprechen zu müssen glaubte.

Es gibt zwei 2Irtcn von Hunden; Hunde,
die einen Herrn haben und Hunde, die keinen
haben. Aeußerlich ist der Unterschied nicht
wesentlich; ein herrenloser Hund kann ebenso
seit sein wie die anderen, oft fetter. Nein,
der Unterschied ist anderswo zu suchen. Der
Mensch ist für den Hund die nncudliche Vor-
sehung, Ein Herr, um ihm zu gehorchen, ihm
zu folgen, an ihn zu glauben: Das ist sozu-
sagen der Sinn des Hundelebens, Freilich hat
er nicht zu jeder Minute des Tages den Herrn
in seinen Gedanken, und freilich folgt er ihm
nicht immer dicht auf den Fersen; nein, er
springt oft ans eigene Faust herum, mit ge-
schäftsmäßigem Aussehen, und beschnüffelt die
Hausccken und knüpft Verbindungen mit seines
Gleichen an und schnappt hier und dort einen
Knochen ans und bekümmert sich um vieles;
aber im selben Augenblick, in dem sein
Herr pfeift, ist all dies mit einem Schlag
aus seinem Hundehirn verschwunden,
und er vergißt seine Hansecke und
seinen Knochen und seine Kameraden
und eilt zu seinem Herrn,

Der Hund, dessen Herr starb,
ohne daß der Hund wußte,
wie, und begraben wurde,
ohne daß der Hund wußte,
wo, betrauerte ihn lange;
aber als die Tage ver-
gingen und Nichts ein-
traf, was ihn an seinen
Gebieter erinnerte, ver-
gaß er ihn, In der Gasse,
in der sein Herr gewohnt,
spürte er nicht länger
seinen Geruch. Wenn er
sich mit einem Kame-
raden auf einer Wiese
tummelte, geschah es oft,
daß ein pfiff die Luft
dnrchschnitt, und im sel-
ben Augenblick war der
Kamerad davongesanst
wie der Wind. Dann
spitzte er die Dhren,
aber kein Pfeifen glich
dein seines Herrn, So
vergaß er ihn, und er
vergaß noch mehr: er
vergaß, daß er je einen
Herrn gehabt. Er ver-
gaß, daß es je eine Zeit
gegeben, in der er es für
unmöglich gehalten hatte,
daß ein Hund ohne einen
Herrn leben konnte. Er
wurde, was man so einen
Hund nennen konnte, der
bessere Tage gesehen aller-
dings nur in innerem
Sinne, denn äußerlich ging
es ihm recht gut. Er
lebte, wie ein Hund leben
kann: er stahl hie und
da ein gutes Wahl auf
dem Markte und bekam
Schläge und hatte Lirbcs-

geivesen; er ging langsam die Straße hinauf,
er hinkte ein Bischen; ein paarmal machte >r
Halt und schüttelte seinen schwarzen Pelz, der
mit den Jahren um Kopf und Hals grange-
sprenkelt worden war. Seiner Gewohnheit
nach ging er und schuüffelle bald nach rechts,
bald nach links; dann machte er einen Ab-
stecher in einen Thorweg, und als er herans-
kam, war ein anderer Hund in seiner Gesell-
schaft, Im nächsten Augenblick kam ein Dritter
dazu. Es waren junge, übermüthige Hunde,
und sie wollten ihn reizen, mit ihnen zu
spielen. Aber er war bei schlechter Laune,
und außerdem begann ein Platzregen nieder
zugchen. Da schnitt ein pfiff durch die Luft,
ein langgezogeuer, scharfer Pfiff, Der alte
Hund sah die beiden jungen an, aber sie lhaten
nichts dergleicben, es war keiner von ihren
Herren, der pfiff. Da spitzte der alte, herren-
lose Hund die Bhren; es.war ihm mit einem
Male so wunderlich zu Mnthe. Ein ueiler
Pfiff, und der alte Hund machte verwirrt einen
Sprung erst nach der einen Seite, dann nach
der anderen, Ls war sein Herr, der pfiff, da
mußte er ja folgen! Zum dritten Male pfiff
Jemand, ebenso anhaltend und ebenso schaif.
Wo ist er denn, in welcher Richtung? Wie
habe ich von meinem Herrn getrennt werden
könnenI Und wann geschah es, gestern oder
vorgestern, oder vielleicht eben erst vor einer
kleinen Weile? Und wie sah mein Herr aus,
und was hatte er für einen Geruch, und
wo ist er, n>o ist er? Er sprang umher
und beschnüffelte alle vorübergehenden,
aber Keiner war sein Herr, und Keiner
wollte es sein. Da wendete er sich um
und lief die Straße hinab; an der
Ecke blieb er stehen und sah sich
nach allen Seiten um. Sein Herr
war nicht da. Dann setzte er
in Sprüngen über die Gasse,
der Schmutz bespritzte ihn und
der Regen troff von seinem
Pelze, An allen Ecken blieb
er stehen, aber nirgends
war sein Herr, Da setzte
er sich ans einer Gassen-
krcuzung nieder und streck-
te den zottigen Kopf zum
Himmel und heulte.

Hast Du einen solchen
vergessenen, herrenlosen
Hund gesehen, hast Dil
ihn gehört, wenn er den
Hals zum Himmel em-
porstreckt und heult,
heult? Die anderen Hun-
de schleichen sich leisesort,
den Schwanz zwischen
den Beinen; sie können
ja nicht trösten und
nicht helfen.

(Deutsch von

Francis Maro.j

Rudolf WVke
L (München).

Kameraden

Pass er was kann —
pas ginge noch an;
pass rgan ihn kennt,

Qnd dass man ihn nennt t—
Sei ihm auch noch gegönnt;
Selbst, dass man ihn ehrt,
€s sei ihm gewährt!

)\ber dass es ihm auch
was getragen —
parum wird er jetzt

kritisch erschlagen.

o.

grschichten und legte sich schlafen, wenn er müde
war. Er machte sich Freunde und Feinde, Ein-
mal richtete er einen Hund übel zu, der schwächer
war als er, und am nächsten Tage wurde er selbst
tüchtig von einem zerzaust, der stärker war.
Frühmorgens konnte man ihn die Straße sei-
nes Herrn hinuntcrlaufcn sehen, wo er sich
aus Gewohnheit noch immer am meisten anf-
hiclt. Er läuft gerade vorwärts, mit einer
Miene, als hätte er etwas Wichtiges auszn-
richten, beschnüffelt im Vorbeigehen einen ihm
entgegenkommenden Hund, aber gibt sich keine
Mühe, die Bekanntschaft weiterzuspinncii; dann
beschleunigt er seinen Lauf, setzt sich jedoch plötz-
lich nieder und kraut sicb mit hitziger Energie
hinterm Ghr. Im nächsten Augenblick stürzt
er auf und fliegt mitten über die Gasse, uin
eine rothe Katze hinab in eine Kellerlncke zu
jagen, worauf er mit srischansgcsetzter Ge-
schäftsmiene seinen Weg sortsetzt und um die
Ecke verschwindet.

So vergingen seine Tage, und ein Jahr
folgte dem anderen dicht auf den Fersen, und
er alterte, ohne daß er es merkte.

Da war einmal ein trüber Abend, Es
war naß und kalt, und hie und da kam rin
Regenschauer, Der alte Hund war den ganzen
Tag aus Streifzügen weit unten in der Stadt

Und ich soll kein Talent haben — mit dem Haarwuchs!
Register
Hjalmar Söderberg: Ein herrenloser Hund
Rudolf Wilke: Und ich soll kein Talent haben?
Fritz Frh. v. Ostini: Kameraden
 
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