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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52 (24. Dezember 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0454
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1898

JUGEND

Nr. 52


in Webnrtstcrgsbrief

Lieber kleiner Henning!

^ch wollte Dir gern einen Glückwunsch hinschreiben zu Deinem Geburtstag; aber die
A Sonne scheint. Was braucht denn ein Kind für Wünsche, wenn die Sonne scheint!

Siehst Du, als der liebe Gott sich noch nicht mit seinem Sohne Adam erzürnt
hatte, weil Adam und Lva noch sehr jung waren und keinen eigenen Willen wußten,
da saßen sie einmal alle Drei unter einem großen Ahornbaum beim Abendessen.

Da ging gerade die Sonne unter, bluthroth, wie ein Lidamer Käse. „Zum An-
schneiden!" sagte Lva, und das Wasser lies ihr im Munde zusammen. Aber
gegenüber ging der bleiche Mond aus, und Adam, der noch viel gäriger war
als Lva, meinte: „Vater, ist das Keeks?" Als das die kleine Lva hörte, JU
machte sie ganz große Augen und kuckte den lieben Gott damit an «

~y und sagte: „Ach bitte, bitte, bitteeee!" und Adam päppelte auch W
mit: „Ach bitte, bittee!" Der alte Gottvater lachte über seine Kinder und H
sagte: „Hokuspokus!" Da lag auf einmal die Sonne wie ein leuchtender
Lidamer Käse vor Lva aufm Teller, und der Mond kam platt aus Adam zu ^®|
und wollte ihm in den Mund; er war aber viel zu groß. Da kamen all'
die kleinen Sterne vom Himmel herunter und meinten, sie müßten jetzt da
unten scheinen um den Mond herum; aber zugleich hatten sie solche Angst vor der
Sonne, daß sie furchtbar weinten und niesten und überall mit ihren Köpfen gegen-
flogen, und so schwirrten sie wie ein Mückenschwarm unter dem Baume herum,
daß den beiden Menschenkindern ihr Appetit längst verging und der liebe Gott
endlich die Sonne wie einen Gummiball in großem Bogen um die Lrdkante rum-
schleuderte. Dann nahm er dem heulenden Adam den Mond vom Gesicht und
tröndelte ihn wie einen Tonnenband weg, bis er ganz schmal wieder an
seinem Play stand, wo er sich nur sehr langsam umdrehen konnte, so war

S Schreck in die Glieder gefahren. Die kleinen Sternchen ---«-LMM'
iwebten nun von selbst langsam in ihre Höhe zurück. . J
Unten beim Tisch indessen stand der alte gute Gott
in seinem Schlafrock und hielt sich den Bauch n,

vor Lachen, weil Adam und Lva so unglaub- •fÄT
lieh dumme Gesichter machten; er hat noch drei
Tage hinterher gelacht. Die beiden Kinder haben -jMujSm

■V nie wieder auf Sonne und Mond Appetit gehabt,

wenn sie die Geschichte auch bald wieder vergaßen. Aber *’jr ' j
m . den Apfel haben sie später doch gegessen.

Und wenn Du das alles nicht glauben willst, dann frag nur
Deinen

Mittel Gustav. JflBH

®7 5

Walther Georgi (München).
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[nicht signierter Beitrag]: Ein Geburtstagsbrief von Onkel Gustav
Walter Georgi: Rahmen zum Text "Ein Geburtstaagsbrief"
 
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