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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52 (24. Dezember 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0456
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Nr. 52

° JUGEND o

Der Abgeklärte

Von Henri Lavedan.
Clapois: brünett, klein und lebhaft,

Dubuis: sorgloser Lebejüngling.

Dubais: Nein, nein. Du übertreibst. So
abgeklärt bist Du noch nicht.

Clapois: Ich bin es geworden, mein
Freund.

D.: Aber geh ! Du hast also gar keinen
Ehrgeiz? Du hast gar keinen Wunsch? Du
willst gar nichts erreichen ?

C. : Gar nichts.

D. : Nun, das hast Du schon erreicht.

C. : Deshalb streb’ ich auch nicht weiter.

D. : Hör mir auf. Jeder Mensch hat doch
irgend ein Ziel im Leben.

C. : Das leuchtet mir nicht ein. Dein
Ziel zum Beispiel?

D. : Mein Ziel ist, so spät als möglich zu
sterben und kein Nierenleiden zu bekommen,
wie Papa. Das ist mein Ziel.

C. : Hochgesteckt in der That!

D. : Das sag ich nicht. Aber ein Ziel
ist es doch wenigstens.

C. : Ich aber, ich bedauere nichts und be-
gehre nichts. Ich will so bleiben wie ich bin.

D. : Bist Du denn glücklich?

C. : Nein. Das kann man nicht verlangen.
Aber nicht unglücklich. Note: genügend.
Ich sage nicht, da^s ich zufrieden bin; aber
ich beklage mich auch nicht. Ich habe keinen
Enthusiasmus und kenne keinen Zorn.

D. : Du bist ein sonderbarer Kauz. Deine
Seele ist alt und schwach, aber Du siehst
blühend aus. Du bist der beste Widerspruch
Deiner eigenen Theorien. Du geräthst in
Leidenschaft, wenn Du den andern beweisen
willst, dass nichts im Stande ist, Dich in
Leidenschaft zu versetzen. Man muss sich
Mühe geben. Dir zu glauben.

C. : Und doch, so bin ich nun einmal.

D. : Ich kannte Dich, da Du noch Illu-
sionen hattest.

C. : Ich weiss recht gut. Ich erinnere
mich auch noch der Zeit, da ich wie die
anderen war. Ja, es gab eine Zeit, wo ich
für die Primitiven schwärmte und vor ihren
Bildern träumte, und dabei die Namen der
italienischen Meister citirte ... Es gab eine
Zeit, wo ich hinter der Regimentsmusik ein-
herging und an die Sonnenuntergänge glaubte.
Das war einmal, mein Freund! — Jetzt seh
ich das Leben scharf und deutlich, so wie
es ist. Es ist kein Ausflug in’s Grüne.

D. : Aber doch auch kein Leichenzug ?

C.: Und dann es ist nur zur Hälfte meine

Schuld. Es ist der Einfluss meiner Zeit. Frag’
doch den seligen Herrn Taine: Enthusiast zu
sein, jung und heiss, das war gut früher ein-
mal, als man noch wahrhaftige Degen trug,
die man ziehen konnte .... aber heute?
Wegen eines Revolvers, den man unbefugt
in der Hosentasche trägt, muss man 20 Frs.
Strafe zahlen. Nein, nein, das alles sind nur

noch Kindereien. Darum hab’ ich mich ge-
wappnet mit einem Panzer von Eis.

D. (ein wenig spöttisch-): Wirklich?

C. : Jawohl. Mich fängt man nicht mehr
ein. Ich weiss, was ich zu thun und zu
lassen habe.

D. : Zum Beispiel?

C. : Ich werde mich niemals duelliren.

D. : Niemals?

C.: Es sei denn, mit einem Menschen,
der die Pistole verkehrt in die Hand nimmt.
Ich werde keinem Menschen Geld leihen.

D : Auch Deinen Freunden nicht?

C. : Denen schon gar nicht.

D. : Warum ?

C. : Weil ich den Dritten zwischen uns
vermeiden will.

D. : Der Dritte?

C. : Der Dank. Ich werde mich nie mehr
erhitzen, weder für die Lösung der sozialen
Frage, noch für eine neue Kunstrichtung -—
— Ich werde nie heirathen.

D. : Geredet.

C. : Und wenn, so muss sie sehr reich sein.

D. : Wenn auch hässlich?

C. : Ohne Nase, wenn Du willst, wenn
sie nur Geld hat. Und wenn ich einmal
Kinder haben werde — ich werde übrigens
nur ein Kind haben.

D. : So?

C. : Ja. Sonst müsst ich mich ja zu Tode
plagen, um die hungrigen Mäuler zu stopfen.
. . . Wenn ich also einmal einen Buben haben
werde, so werde ich mich um ihn so wenig
bekümmern wie um den Gärtnerjungen da
gegenüber. Er wird sich sein Leben ein-
richten, wie es ihm passt.

D. (der fortwährend lächelt): Du bist also
ein riesiger Egoist?

C. : Meine Eltern waren es. Sie sind aus
Egoismus gestorben.

D. : Du willst aus Egoismus leben?

C. : Was willst Du? Ich habe sie ja doch
geliebt, und werde traurig, wenn ich von
ihnen spreche.

D. : Du hast auch eine Schwester?

C. (sucht sich zu erinnern): Weisst Du
das gewiss? . . Ach ja, sie hat uns verlassen
. . . wie lang ist es denn schon? Andert-

halb Jahre. Arme Kleine! Wie eine Blume
lebte sie . . . Geh zu, Du machst mich traurig.

D.: Du bist ein sonderbarer Heiliger. So
etwas hab ich noch nie gesehen.

C. : Es ist meine Art, mich auszudrücken,
die Dich verblüfft?

D. : Es ist alles, Deine Art, Dich auszu-
drücken und Deine Art zu denken .. und dann
etwas, was ich Dir sogleich sagen werde, und
was Dich Deinerseits in Erstaunen setzen wird.

C. : Tisch’ es auf, so lang es warm ist.

D. : Noch nicht, aber gleich.

C. : Nun, wie Du glaubst. Ah Du, Du
bist ein Bannerträger der Jugend, was? „Die
heilige und geheiligte Jugend!“ „Unsere
jungen Leute, unsere jungen Mädchen! . .“
Ah! Ah! Zum Teufel mit diesem alten Kram.

D. : Was findest Du denn gar so schreck-
lich an der Jugend?

C. : Was? Das Wort, den Begriff, Alles.
Das macht mich einfach toll. „Die jungen
Mädchen!“ ich bitte Dich. Siehst Du, ich
hasse sie — nein übrigens, zum Hassen bin
ich nicht mehr jung genug — aber ich kann
sie nicht ausstehen, die jungen Mädchen.
Erstens sind sie jung, und zweitens nennt
man sie „die jungen Mädchen.“ Und ich
habe so schwer gekämpft, soviel gelitten, um
von all dem loszukommen und nicht mehr
jung zu sein.

D. Und Du bist ganz sicher, dass Du
es nicht mehr bist?

C. : Ich bin es nicht mehr. Ich will
Hans heissen, wenn ich es noch bin. Man
sagt immer: „So schön ist die Jugend.“ In
welcher Beziehung möcht’ ich wissen. Du
hast nicht das Recht, eine Idee oder eine
Meinung zu haben. Immer gibt es einen
Menschen, der älter ist als Du, einen Raseur,
der schon Deinen Vater rasirt hat, um nun
mit Ueberlegenheit sagen zu können: „Ja,
ja, diese jungen Leute! Das weiss noch von
nichts!“ Und dabei fühlst Du die herablas-
sende Geringschätzung, die wohlwollende
Verachtung, die gönnerhafte Ironie, mit der
sie Dich allzeit überschütten diese kostbaren
alten Herren, die sich einbilden, die Erfahr-
ung nehme in demselben Maasse zu, als einem
die Haare und die Zähne ausfallen. Aus allen
diesen Gründen: nur keine Jugend mehr!
Mach, dass Du fortkommst, Frühling des
Lebens ! Und da es einmal die Alten sind,
die die Gesetze machen, gut, seien wir alt
von unserer ersten langen Hose an. Wir
wollen das Leben beim änderen Ende be-
ginnen, beim Ende der Ernüchterung und der
falschen Zähne, und uns die Jugendeseleien
und die Brausejahre für die Zeit lassen, wenn
wir einmal den Sechziger auf dem Rücken
haben. Bis dahin verbeissen wir das Lachen
und machen ein grimmig ernstes Gesicht.

D. : Jetzt will ich Dir sagen, was ich Dir
angekündigt habe : Du hältst mich zum Besten,
mich und alle Welt.
Register
Henri Lavedan: Der Abgeklärte
Julius Diez: Zeichnungen "Für sie" und "Für ihn"
 
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