Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1899

Rir's Leben

von Johannes Schlaf.

„Que le jour me dure
] ’assi loin de toi;

’l’oute la nature
N’est rien pour moi.

Le plus verd bocage
Quand tu n’y viens pas
N’est qu’un lieu sau vage
Pour moi sans appas."

Im Zimmer war es schon
runkel. Aber in der engen Fenster-
nische lag noch ein röthlicher Strei-
fen von der Spätnachmittagssonne.

Robert saß vor Wandas Ar-
beitstischchen und blickte in den
seinen, vom Abcndlicht durchwirk-
ten Dunst der Dächerwogen, den
Hut noch in der Hand, in schmerz-
stch-zomiger Betroffenheit gegen
das Knie geknüllt.

Noch kein Wort hatten sie ge-
wechselt. Kaum, daß sie vorhin
seine» Kuß flüchtig erwidert. lind
wieder hatte sie ihn mit diesem
kantigen, herben Shoking-Gesicht
empfangen, aus dem er nun schon
seit ein paar Tagen nicht klug
wurde. . .

„tzue le sour me dure
Passe loin de toi. . .“

Die Sennhütte und die grüne
P alte davor mit ihren zahllosen
-olumen und ihren bunten Kühen!

Und der erhabene Abendfrieden
de> fernen, weißen Glctscherhvhen
gegen das wolkenlose Blau! —
lind sie Beide nebeneinander auf
der Bank vor der Thür. — Er
Nt eben zu ihr gekommen. Einen
^ag lang haben sie sich nicht sehen
durwn; emen ganzen Tag lang.
- Mit hundert Küssen hat sie ihn
umarmt, und nun sitzen sie bei
einander in diesem stillen unaus-
sprechlichen Glücksgefühl, und aus
'hm heraus summt sie, eine Blume
zerpflückend, dieses einzige Lied-
chen des Jean Jaques.

„(lue le sour me dure “
Ja. und heute! - Die liebe
•ctebe! . . .

Zuerst halte er barhin auf-
wollen; aber dieser Matt-
el" Lichtstreifen über die Tapete
!r\ n^.bt.eJe Erinnerung, aus die
iL rhu gekommen, hatten
VN Mild geitimmt, und nun Ivar
nur noch eine müde Ironie in ihm,

toLV'*?'?*1 W""da herum-
»Qnbte und ste beobachtete.

.r f1?01 s'd abholen gekom-
uwn, ste wollten den Abend
in einem Theater verbringen

bar ?äk^Eirte sie, so sonder-
bar lasstg, in dem dämmer-
igen Zimmer umher, ihre Toi-
lette zu bewerkstelligen.

Gott, dieses Gesicht! — Fast
hätte er nun doch wieder ge-
lacht, denn es stimmte ihn
immer lustig, wenn sie bei Ge-
legenheit mal dieses Gesicht
aussieckte. Sie ivar dann so
recht die Selbstständige, Eman-
zipirte, Männliche, das „freie,
moderne Weib", und das stand
in einem geradezu drolligen
Gegensatz zu der liebevoll weib-

JUGEND

I KAPELLMEISTER'

AUFFASSUNG. R. M. Eichler (München).

Nr. 1

lichen selbstvergessenen Hin-
gabe, die sie ihm in ihren
vertrauten Stunden entgegen-
brachte. Und doch hatte es
auch wieder etwas, das ihn
fesselte, denn hier >vie da war
sie das temperamentvolle, ties-
angelegte und charakterstarke
Weib, das dem freien Ver-
hältniß, in dem sie standen, so
prächtig gewachsen war.

Nur, daß sie ihm jetzt nun
schon seit Tagen diese herbe
Verschlossenheit zeigte.

Was mochte ihr nur sein?
Es stimnlte ihn eigentlich doch
nachdenklich. Ja, und—machte
ihm — bang? . . .

Und nun gerieth er doch
wieder in diese nervöse Ver-
drießlichkeit, die ihn vorhin,
als sie sich begrüßten, über-
kommen.

Aber jetzt ... Sie hatte
sich eben den Hut aussetzen
wollen. . . Und plötzlich legte
sie ihn mit einer harten, ent-
schiedenen Bewegung aus den
Tisch zurück und stand nun
in starrer Haltung mit gekmf-
fenen Lippen und großen,
runden, tiefdunklen Augen,
von dem röthlichen Abendlicht
getroffen, das ihr Stirngetock
flimmern machte.

In ihm zuckte es vor Un-
nmth und einer unbest’.mmten
Erwartung.

Nervös erhob er sich.

„Ja, aber nun bitte! bitte.
beeile Dich?! - Wollen wrr
nickst endlich gehen?!"

Sie antwortete nicht. Stand
nur so da.

„Ja, aber nun sag' mal’
was soll das? Was soll das
eigentlich alles heißen?!"

Sie zuckte die Schultern
und dann sagte sie mit einer
tiefen, beinahe unnatürlich
festen Stinline und so in einer
ganz undefinirbaren Weite
blasirt: .

„Gott! Daß ich — keine
Lust habe, mitzukommen!"

„Wie?! Daß Du...

Sie hatte sich, beide Arme
hinter den Rücken steif aus die
Tischkante gestemmt, gegen den
Tisch gelehnt und sah mit einem
harten, ironischen Blick gerade
vor sich hm. Und jetzt war
sie ganz die Emanzipirte.

Mit zornigen Schritten, den
Hut in der Faust quetschend,
war er auf sie zugekommen
und sah ihr in's Gesicht.

„Ja aber, was fällt Dir
ein?! — Was ist Dir denn
eigentlich in den Kopf gekom-
men, sag' mal?!"

Aber sic erhob nur ruhig
die Hand und mit einem kühlen
Blick ihre Fingerspitzen mu-
sternd, erst die Nägel und dann
die Kehrseite der Hand, sagte
sie mit ihrer tiefen ruhigen und
klaren Altstimme langsam:

„Hm! — Ja nun, wir
müssen uns ja doch mal dar-
über aussprechen."
Register
Johannes Schlaf: Für's Leben
Reinhold Max Eichler: Des Herrn Kapellmeister's Auffassung
 
Annotationen