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1899

JUGEND

Nr. 1

Absurd! — Aha! Da hatte er sie ja wohl!

— Da war sie! Die Emauzipirte! — Da witterte
er alle diese neumodischen Phrasen und Tiraden.

— Da war das von diesen neumodischen Eman-
zipationsphrasen benebelte, aus dem Häuschen
gekommene „moderne" Weib! —

Aber in der Hauptsache war es doch dieser
tiefe Schreck, den ihm ihre ruhigen Worte erregt,
und dieser Schreck war seine Liebe, seine unzer-
störbare Neigung zu ihr; diese Liebe, die immer
mur im Augenblick gelebt, im Augenblick völlig
aufgegangen war und nie an die Zukunft ge-
dacht hatte und die nun mit einem Schlage zum
Bewußtsein ihrer selbst kam. — Und daher diese
sonderbare Anwandlung von Scham und —
bösem Gewissen, die er vorhin empfunden! —
Das alles aber war in diesem Augenblick ver-
wunderlich verknüpft mit dem unwrllkürlichcn
Äbscheu vor ihrem emanzipirten, viragohaften —
ja! geradezu viragohaften! — Benehmen.

Und dieser Abscheu lieh ihn nun lospoltern.
Diese emanzipirten Redensarten über die Ehe!

— Zwar, es hatte eine Zeit gegeben, wo er
baran theilgenommen, und eigentlich hatten sie
Beide ja das praktizirt, was man „freie Liebe"
trennt, und — die Ehe, mein Gott! was war
ihm eigentlich die — „Ehe"! — Aber nun machte
ihn dieser „Abscheu" mit einem Mal zu ihrem
leidenschaftlichen Anwalt. Mit einer untergrün-
bigeit Besorgnih, sie wirklich zu verlieren, brach
sein Schreck, sein Uumuth und seine — Liebe
gegen sie los:

„Ah, also das! — Wunderbar! Geradezu
wunderbar! — Das Allerneueste, das Aller-
modernste und — Rationellste! — Rationellste,
nicht wahr? — Ein königlich schönes Wort! —
Diese „freien Verhältnisse", aus denen keine wel-
keren — Verbindlichkeiten erwachsen! — Denn
nur um Himmelswillen keine — Verbindlich-
keiten! — Dazu sind wir ja heute viel zu müde,
viel zu schwächlich, viel zu blasirt und vor Allem
viel zu — feig! — Dazu haben wir ja viel zu
viel — Nerven! — Nicht wahr? — Und dann
ist ja so etwas wie eine dauernde Verbindung
nichts als eine — Lüge! — Ein so wunderschönes
neumodisches Wort —Lüge! — Weiß der Teufel,
was wir heute alles für — Lügen und — Fragen
haben! — Eine Lüge: denn stüher oder später
gibt es ja doch einmal — Differenzen; na, und
dann geht man eben auseinander, um die —
Lüge zu vermeiden! Nicht wahr?

Und wirklich, Wanda? Diese emauzipirte
Hosenrolle wäre Dein Ernst? Wirklich und wahr-
haftig Dein — Ernst? — Das wärst Du?! —
Nein: aber wirklich imposant! — Die reine George
Sand! Nicht wahr?— Stilvoll! Geradezu stil-
voll!"

Er lachte.

Wanda stand unbeweglich in ihrer vorigen
Stellung beim Tische und sah ihn nur immer
rinverwandt mit großen dunkelnden Augen an.

„Absurd! — Wirklich: es ist ja nachgerade
einfach — absurd, wenn man daran denkt, sich
zu verheiraten!"

Ilber hier stockte er doch einen Moment. Blitz-
schnell ging es ihm durch den Sinn: hatte er
denn schon je ernstlich daran gedacht, sich mit
ihr zu verheiraten? Und etwas unsicher fuhr
er fort:

„Absurd! — Aber nein — forsch! Geradezu
— forsch! — Absurd! Und diese,Ehen'heutzu-
tage! Diese .modernen Ehen'! — Man sieht sich
Rial schief an und läuft auseinander! — Das
;ist das Ideal der .modernen Ehe'! — Und was
ist das alles? Decadence! Rassendecadence! —
Physische ilnd moralische Schlappheit!"

Und nun sing er an, ein Apologet der Ehe
zu werden, wie er eifriger und fanatischer kaum
zu denken war, und brachte eine Rigorosität gegen
Ehescheidungen zum Vorschein, die ihn in den

Verdacht eines orthodoxen Katholizismus hätte
bringen können; bis seine Worte plötzlich ein
verzweifelter Appell an Wanda wurden, mit dem
sich die ganze Gewalt seiner Neigung, wenn auch
verschämt, offenbarte. Und die feurigste Liebes-
erklärung hätte keinen tieferen Eindruck machen
können, als, in diesem Stadium ihres Verkehres,
in dem sich die Gluth und Gewalt alles dessen,
was Leidenschaft und Sinnlichkeit in der Liebe
gestillt hatte, diese ticsinnerliche und doch männ-
liche Besorgniß, sie zu verlieren, die seine leiden-
schaftlich zornige Rede durchbebte.

„Und das wäre wirklich — Alles gewesen,
Wanda?! — Mehr hättest Du nicht gefühlt, daß
das nun möglich sein kann?! — Das wäre Deine

— Liebe gewesen? So kalt, so — rationell, so

— srivol warst Du im Grunde? — Nun, ivenn
Du unser Berhältniß in dieser Weise aufgefaßt
hast: ich nie! Nie! — Und, wenn nun..."

Er wurde finster und entschlossen, auf den
schlimmsten Ausgang der Unterredung gesaßt.

Aber ivie er nun sortfahren wollte, stockte er
plötzlich.

Wie blickte sie ihn eigentlich nur an? Bis in's
Innerste traf ihn plötzlich dieser Blick. — Dieser
große, feste, dunkle Blick! — Dieser — umfangende
Blick! Dieser tiefe, so unsagbar reiche und doch
so — deutliche Blick, in dem es tief so verwun-
derlich von einem leisen Humor leuchtete.

So blickte sie ihn an, und eine Stille war
zwischen ihnen. Nur daß ihre Brust sich von
stürmischen Athemzügen zu regen begann.

Und plötzlich hat sie ihre Arme um seinen
Hals geschlungen und küßt ihn mit einem laugen
stillen Kuß. Und nun sagt sie mit ruhiger aber
leiser Stimme und sieht ihm tief in's Auge:

„Vergib, Lieber! Ich zweifelte an Dir, weil
ich an mir zweifelte."

„Aber, Herz! ivie — konntest Du.. ."

Aber noch immer steht sie ihm so eigen in
die Augen; und plötzlich wird sie über und über

roth, ihr Blick gleitet ab, sie scheint mit einem
Entschluß zu kämpfen; aber nun ist ihr Mund
an seinem Ohr.. .

Seine Blicke leuchten auf, erstaunt, selig, be-
seligt . ..

Sie — sühlt sich — Mutter?! . . .

Ah, mein Gott! — Aber jetzt faßt er ja Alles!
— Und noch nie hatte er tut Ernst daran ge-
dacht! —

Er knirscht die Zähne zilsammen, seine Augen
feuchten sich und wortlos schließt er sie fest in
seine Arme, sein — Weib-

m

mt letzte Flasche

rundet sich so gern die Hand,
^ Um nach dem Glas zu greifen,
Weil doch für uns im ganzen Land
Die besten Trauben reifen.

Doch bei der letzten Flasche dann
Erfaßt uns stilles Bangen,

Es bleibt das Aug' in trübem Bann
Am leeren Glase hangen.

Hun har die liebe Rehle Ruh —
Und nichts mehr einzugießen —
Nur eine Thräne fühlest Du
von blasser Wange fließen.

Gtto Erich Lartleben.

Frau Baubo's Töchcerlein

J. R. Witzei

(München).

5
Register
Otto Erich Hartleben: Die letzte Flasche
Josef Rudolf Witzel: Frau Baubo's Töchterlein
 
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