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Nr. 1

TUGEND

1899

ZMrien und Barmherzigkeit

Betrachtet den rührenden Liebesbund
von Wörtern, sonst antithetisch entzweit.
Der Lzar that seinen Willen Kund:
Sibirien und Barmherzigkeit!

Von weichem Gemüthe, sanft und mild,
Erfüllt vom Eifer der Menschlichkeit,
Die Dpser deckt er mit seinem Schild.
Sibirien und Barmherzigkeit I

Er leuchtet mit des Erbarmens Strahl,
Der Herold einer neuen Zeit,

Zn düsterer Kerker unendliche Dual.
Sibirien und Barmherzigkeit!

Und zürnend ruft er seinem Gefind:

Die ihr nie Menschen gewesen seid,

Wißt, daß die Verbrecher Menschen find.
Sibirien und Barmherzigkeit!

Die Büttel und Schergen hören's mit Ruh',
Sie hören's mit stiller Heiterkeit.

Sie winken und blinken einander zu:
Sibirien und Barmherzigkeit! pwteus.

A. und B.

A.: Hast Du schon von dem bösartigen
Druckfehler gehört?

13.: Na?

A.: In einer Zeitung hat gedruckt gestan-
den: „Die deutsche Rechtssprechung."

8.: Au!

A.: Das ganze Zeitungspersonal ist schon
unter Anklage gestellt. Der Staatsanwalt fackelt
7licht, der hat'n pommersches Gymnasium besucht.

6.: 'n xommersches? Dann hat er natür-
lich auch den Druckfehlerteufel angeklagt?

A.: Eben! Das ist er ja seiner lvelt-An-
schauung schuldig.

A.: Bei einem Spielerprozeß ist neulich
herausgekolnnien, daß Dffiziere sich durch eineir
Feldwebel Geld verschaffe:: ließen.

ö.: Ja. Man sollte für solche Feldwebel
eine höhere Lharge schaffen!

A.: Und wie wolltest Du denn diese Lharge
benennen?

6.: Na — vielleicht „portemonnaie-
sähnrich".

A.: Also Adelina patt: will wieder heirathen.
8.: Ja. Wie alt ist sie denn eigentlich?
A.: Sie ist angeblich 1844 geboren.

8 : 98 minus ^3 macht 55 — danach wäre
sie also stark in den Sechzigern.

A. : Mindestens.

B. : Dann hat eigentlich doch das Heirathen
keinen Sinn mehr.

A.: Ja — was thut man nicht, um ver-
sorgt zu sein!

A.: Ich lese da eben, daß ein klerikaler
Gffizier für den Henry-Fonds einen Betrag
gezeichnet und daneben geschrieben hat: „Nach
all' dem, was die Juden und Protestanten für
Dreyfus und picquart gethan haben, wird mir
die Bartholomäusnacht ganz verständlich."

8.: Muß das ein Holzkopf fein, daß er jetzt
erst kapirt! Die Bartholomäusnächte stammen
eben stets ans der Furcht der feigen
Gewalt vor dem kühnen Gedanken.

A.: Ja; aber glaubst Du, daß ein Klerikaler
das wirklich kapirt?

8.: Nee. Der Kerl renommirt natürlich.

»

Nönnchen Centrum: Ja, siehst Du,
Schwester Germania, ich habe Dich im Grunde
stets lieb gehabt, aber unser Beichtvater, der
Pater Loyola, hat mich immer wieder aufge-
hetzt —

Die Schwester Germania: Darum wol-
len wir den Kerl auch nicht wieder zur Thüre
hereinlassen!

Lustige Nachrichten

Der pfäffisch-antisemitische Chau-
vinismus in Paris pfeift auf dem letzten
Loch. Der ZeitungS- und Parlamentsstromer
Guörin schrieb nämlich: „Hauen wir, sowie
die Juden sich auf der Straße zeigen, hauen
wir feste; keine zwecklosen Kundgebungen gegen
Hausmauern!" Wenn selbst diese Art Leute
sich nicht mehr auf ihr Maul verlassen, dann
sind sie bankrott.

In New-Aork haben kürzlich 40 Millio-
näre, Kongreßmänner und andere Würdenträger
ein Bankett veranstaltet, bei dem sie statt ihrer
Damen ihre Reitpferde zu Tische führten und
mit diesen um die Wette Champagner tranken
Die New Jorker Damen planen eine Gegen-
demonstration in Form eines Banketts, bei dem
jede Theilnehmerin ebenfalls ein Hausthier zu
Tische führt. Man schwankt noch zwischen Eseln
und Schweinen. Für beide werden triftige
Gründe in's Feld geführt.

Die Zeitungen erzählten kürzlich von einem
Theaterdirektor, daß er einen Schauspieler dahin
korrigiert habe, es heiße nicht „des Barons",
sondern „des Baron", da man ja auch „des
Grafen" und nicht „des Grafens" sage. Diese
einseitige Darstellung der Zeitungen könnte denn
doch von der Bildung des Theaterherrn ein
falsches Bild geben; man hätte gerechter Weise
daneben nicht unerwähnt lassen sollen, daß er
französische Stücke in's Deutsche über-
setzt. _

I» Paris gibt es eine Romanfabrik, in
der gescheiterte Existenzen in: Stmrdcnlohn ar-
beiten. Jeder hat seine Spezies von Mord-
oder Mondscheinscenen, die er in immer neuen
Variationen fabriziren muß. Der Stundenlohn
beträgt 50 Centimes, das macht bei zehnstünd-
iger Arbeit pro Jahr etwa 1200 Mark. Ist
es da zu verwundern, daß zahlreiche deutsche
Dichter mit staunendem Neid auf jene Glück-
lichen an der Seine blicken?

Der Prediger Hülle hat in seiner, für
Kinder bestimmten Traktätchensammlung „Ko n-
firmationsglocken" das Verbot des Ehe-
brechens recht deutlich behandelt und den kleinen
Lesern dann als Preisaufgabe die Beantwortung
der Frage aufgegeben: „Wie steht es mit der
Ehescheidung auf Grund der heiligen
Schrist?" Für einen wirksamen Kampf gegen
die Unkeuschheit genügt all dergleichen aber
entfernt nicht. Schon die ersten Aufsätze, die
das Kind in der Schule anfertigt, sollten The-
mata behandeln wie „Die Prostitution im
Lichte der Hygiene", „Die Schenk'sche Theorie"
u. dgl., und jedem Sechsjährigen sollte man
für seine ersten Leseübungen Krafft - Ebings
„Psychopathia sexualis“ in die Hand geben.
In der sittlichen Erziehung ist jede Art von
Hülle durchaus von Nebel.

In der Versammlung einer nord-
deutschen Landmirthschaftsknmmer kam
es zu einem interessanten Zwischenfall. Eine
neue automatische Wage wurde von ihrem
Erfinder vorgeführt und von sännntlichen
Herren Theilnehmern probiert. Die hierauf
gefaßte Resolution erklärte, daß vonFleisch-
noth keine Rede sein könne.

Auf dem nächsten, Wohlthätigkeits-
bazar, den die Damen von Paris veranstalten,
wird ein Handschriftennlbnm versteigert werden,
das die Autogramme der beliebtesten Raub-
ntörder der Gegenwart enthält.

Nach Oesterreich I

„Deutsch sei Euer Thun!"

(Btto Ludwig, Ges. XD. I. S. 99.)

Bilder aus dem Reichstage

I. Der Unentwegte.

Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. vo» OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Iuseratentheil: G. EICHMANN; sämmtlich in München,

Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.

ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Lustige Nachrichten
[nicht signierter Beitrag]: Nach Oesterreich!
Monogrammist Hummer: Bilder aus dem Reichstage: I. Der Unentwegte
[nicht signierter Beitrag]: A und B
Proteus: Sibirien und Barmherzigkeit
Monogrammist Spielzeugpferd: Centrum und Germania
 
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