Nr. 2 • JUGEND 1899
Max Liebermann (Berlin).
Mary Come back!
Das Gespräch hatte eine etwas pikante
Wendung genommen. Die Frau meines Freun-
des, eine Engländerin, hatte einen Roman der
vortrefflichen Amalie Skram gelesen. Die Frau
Doktor ist viel zu fein und geistreich, um prüde
zu sein. Bom Inhalt des Romans ausgehend,
kam nngesucht die Rede auf den Gegensatz
jungfräulich keuscher Unerfahrenheit und männ-
lich selbstverständlicher Brutalität. Als nun
mit logischer Konsequenz das Thema von der
Hochzeitsnacht unv dem Brunhildetypus stolzer
Weiblichkeit berührt werden mußte, schien es
unserer lieben Wirthin doch etwas ungcmüth-
lich zu werden. Paula, das Kindermädchen,
erschien in der Thür. Paula ist übrigens ein
famoser Käfer. Und auch das Stubenmädchen
und die Köchin — alle ehrenwerth. Als ich
einmal Frau Doktor mein Kompliment machte
zu solcher Auswahl, meinte sie: „Ja, ich Hab'
nun einmal eine Schwäche für Hübsche Mäd-
chen; ich fühle mich erst wohl, wenn ich von
Schönheit umgeben bin." Es gehört das eigent-
lich ja nicht Hierher. Aber ich fühle das Be-
dürfnis;, tneincr verehrten Freundin für solche
Anschannngen ein Denkmal zu setzen.
Also Paula meint bescheidentlich: „Das
Baby..." „Jawohl," sagt Frau Doktor schnell,
„Sie entschuldigen mich eine Weile, aber das
Baby muß ich doch selbst zu Bett bringen."
„Sagen Sie, habe ich Ihnen eigentlich
schon die Geschichte von Mary Come back
erzählt?" fragt mich mein Freund.
„Rein," sage ich, „so was erzählen Sic mir
ja überhaupt nicht. Sie mit Ihrer ausge-
breiteten Praxis müßten doch —"
„UIfcu Sie mich nicht an. Ich werde Ihnen
also die Sache erzählen. Den Velden — wenn
man so sagen darf — und die .Heldin dieser
Geschichte habe ich übrigens selbst kennen ge-
lernt. Als ich nämlich in London Verlobung
feierte. Es waren die Nachbarsleute meiner
Schwiegereltern. Ein Paar von gleicher Größe.
Sie recht schlank, mit nicht gerade unschönen,
aber doch etwas harten Zügen. , Er ein Phlcg-
matikus, die Sorte ist ja im geliebten Eng-
land ziemlich gemein. Ich plauderte mit ihm
ein wenig über Kunstgewerbliches, so ganz
obenhin, und fragte ihn bei der Gelegenheit,
welches wohl der nächste Weg zum Kensington-
Museum sei. Nach einer Weile des Besinnens
antwortete er in unbeschreiblich köstlicher Ruhe
zuerst mit zivci ungeheuerlichen Vokalkompo-
sitionen, die von ä in langsaiti fortschreitender
Entwicklung bis u gingen: äaou. äaou —
dann folgte erst die eigentliche Rede. Ich
konnte mir kanni das Lachen verbeißen. Als
die Besucher fort waren, kopirte ich mit einigem
Behagen diese Katzentöne und fragte meine
Ellen nach dein Namen des Herrn. „Ach, das
ist ja der Mann der Mary Come back" —
rief sie lachend — daun erröthcte sie und
machte sich schnell draußen etwas zu thnn,
und ich ivar diskret genug, meine Braut nicht
auszufragen." —
„Also dann wissen Sie ja die Geschichte
nichtl"
„Ich war diskret genug, meine Braut
nicht anSzufragcn. Diese Mary also, die Frau
dieses sanften Gentleman, war in der hoch-
zeitsnacht von ihrem Mann geflohen. Auch
die überwundene Brunhilde, verehrter Freund,
gibt sich nicht immer gleich zufrieden. Nun
denken Sie sich, welches unliebsame Aufsehen
diese Affairc, als sie ruchbar wurde, bei den
Bekannten und Verwandten hervorgernfen hat.
Jni keuschen Englandl"
„Na," sage ich, „dergleichen kommt ja wohl
vor. Der Mann bat sich natürlich seine Frau
gleich wiedergeholt?"
„Nein, mein Herr, so einfach war die Sache
nicht. Sie hatte die Kleider ihres Mannes an-
gezogen und als Jüngling das Hotel verlassen."
„Na aber," sage ich, „das ist doch nicht
möglich, dann müßte der Mann doch schon
feit geschlafen haben.
«Aeaou, äaou," machte mein Freund mit
drolligem Phlegma, „Und außerdem kennen
Sie nicht die Strapazen eines Hochzeitstages.
Ihr Junggesellen mit Eurer ideale» Phantasie
macht Euch überhaupt immer falsche Bilder —
na, lassen wir das, kurz und gut, die Mary
war entkommen, Man lief zur Polizei, mnii
suchte alle Hotels, ab, mau fragte bei allen
Bekannte» nacb, die Mary war nicht da. An
einen Selbstmord war nicht gut zu denken.
Dazu macht man doch nicht so vollständige
Toilette — mit Kravntte uiib Eyliuder. Die
Brieftasche mit den Banknoten hatte sie auch
nicht aus der Rocktasche entfernt. Der Manu
war trostlos. Die Eltern desgleichen. Was
thnn? Es blieb nichts anderes übrig, als
zum Gaudium aller gute» Menschen in den
Times zu annoncircn. Da stand's nun mit
großen Buchstaben: Mary come back k. jc. —
Aber Mary kehrte nicht zurück. Was der Manu
i» diesen Zeiten auszustehen hatte, das malen
Sie sich gefälligst mit Ihrer höchsteigenen Phan-
tasie ans!"
„Aber sie kam doch zurück?" sage ich ge-
spannt.
„Abwarten und ansreden lassen. Jawohl,
sie kam zurück. Aber mancher Tropfen war
inzwischen von der Themse in's Meer geflossen.
Wohl über 100 Tage waren vergangen, da
klopfte es eines Abends-"
„Da klopfte es eines Abends an der Thür
des armen Mannes," fuhr ich fort, „er öffnet
oder läßt öffnen, und Mary steht vor ihm!"
„Ganz recht."
„Aber weshalb war sie nun auf einmal
wieder gekommen?"
„Aeaou — der Anzug ihres Mannes war
ihr zu eng geworden!"
Wir mußten beide lachen. Die Pointe
hatte ich nicht erwartet. Mein Freund fuhr fort:
„Es ging Alles sittsam und mit rechten
Dingen zu. Still und zurückgezogen hatte Mary
in Richmond bei einer armen Frau gewohnt,
die, wenn sie überhaupt etwas Verdacht schöpfte,
ihn sogleich niederkämpfte mit dem Gedanken
an den reichlichen Miethzins, de» der blasse
Jüngling zahlte. Uebrigens bin ich Ihnen
noch die Aufklärung schuldig, daß bis jetzt drei
liebe Kinderchen der Ehe entsprossen sind."
Mein Freund stand auf, ging au die Thür
uiib rief mit affektirtem Londoner Englisch:
„Ellen Mary, come back!“ Lachend tritt
Frau Ellen in's Zimmer, mein Freund erhält
einen sanften Klaps. „Was für Geschichten
Du nicht immer erzählen mußt." „Nun," sage
ich ein wenig pikiit, „ich bin doch am Ende
keine höhere Tochter. Uebrigens, Frau Doktor.
Sie kennen ja doch die Frau Mary, wie lebt
die eigentlich mit ihrem Mann?"
„Nun," sagt sie, „sehr glücklich, sie hat auch
jetzt noch die Hose anl"
HlSPANUS MAJOR
Max Liebermann (Berlin).
Mary Come back!
Das Gespräch hatte eine etwas pikante
Wendung genommen. Die Frau meines Freun-
des, eine Engländerin, hatte einen Roman der
vortrefflichen Amalie Skram gelesen. Die Frau
Doktor ist viel zu fein und geistreich, um prüde
zu sein. Bom Inhalt des Romans ausgehend,
kam nngesucht die Rede auf den Gegensatz
jungfräulich keuscher Unerfahrenheit und männ-
lich selbstverständlicher Brutalität. Als nun
mit logischer Konsequenz das Thema von der
Hochzeitsnacht unv dem Brunhildetypus stolzer
Weiblichkeit berührt werden mußte, schien es
unserer lieben Wirthin doch etwas ungcmüth-
lich zu werden. Paula, das Kindermädchen,
erschien in der Thür. Paula ist übrigens ein
famoser Käfer. Und auch das Stubenmädchen
und die Köchin — alle ehrenwerth. Als ich
einmal Frau Doktor mein Kompliment machte
zu solcher Auswahl, meinte sie: „Ja, ich Hab'
nun einmal eine Schwäche für Hübsche Mäd-
chen; ich fühle mich erst wohl, wenn ich von
Schönheit umgeben bin." Es gehört das eigent-
lich ja nicht Hierher. Aber ich fühle das Be-
dürfnis;, tneincr verehrten Freundin für solche
Anschannngen ein Denkmal zu setzen.
Also Paula meint bescheidentlich: „Das
Baby..." „Jawohl," sagt Frau Doktor schnell,
„Sie entschuldigen mich eine Weile, aber das
Baby muß ich doch selbst zu Bett bringen."
„Sagen Sie, habe ich Ihnen eigentlich
schon die Geschichte von Mary Come back
erzählt?" fragt mich mein Freund.
„Rein," sage ich, „so was erzählen Sic mir
ja überhaupt nicht. Sie mit Ihrer ausge-
breiteten Praxis müßten doch —"
„UIfcu Sie mich nicht an. Ich werde Ihnen
also die Sache erzählen. Den Velden — wenn
man so sagen darf — und die .Heldin dieser
Geschichte habe ich übrigens selbst kennen ge-
lernt. Als ich nämlich in London Verlobung
feierte. Es waren die Nachbarsleute meiner
Schwiegereltern. Ein Paar von gleicher Größe.
Sie recht schlank, mit nicht gerade unschönen,
aber doch etwas harten Zügen. , Er ein Phlcg-
matikus, die Sorte ist ja im geliebten Eng-
land ziemlich gemein. Ich plauderte mit ihm
ein wenig über Kunstgewerbliches, so ganz
obenhin, und fragte ihn bei der Gelegenheit,
welches wohl der nächste Weg zum Kensington-
Museum sei. Nach einer Weile des Besinnens
antwortete er in unbeschreiblich köstlicher Ruhe
zuerst mit zivci ungeheuerlichen Vokalkompo-
sitionen, die von ä in langsaiti fortschreitender
Entwicklung bis u gingen: äaou. äaou —
dann folgte erst die eigentliche Rede. Ich
konnte mir kanni das Lachen verbeißen. Als
die Besucher fort waren, kopirte ich mit einigem
Behagen diese Katzentöne und fragte meine
Ellen nach dein Namen des Herrn. „Ach, das
ist ja der Mann der Mary Come back" —
rief sie lachend — daun erröthcte sie und
machte sich schnell draußen etwas zu thnn,
und ich ivar diskret genug, meine Braut nicht
auszufragen." —
„Also dann wissen Sie ja die Geschichte
nichtl"
„Ich war diskret genug, meine Braut
nicht anSzufragcn. Diese Mary also, die Frau
dieses sanften Gentleman, war in der hoch-
zeitsnacht von ihrem Mann geflohen. Auch
die überwundene Brunhilde, verehrter Freund,
gibt sich nicht immer gleich zufrieden. Nun
denken Sie sich, welches unliebsame Aufsehen
diese Affairc, als sie ruchbar wurde, bei den
Bekannten und Verwandten hervorgernfen hat.
Jni keuschen Englandl"
„Na," sage ich, „dergleichen kommt ja wohl
vor. Der Mann bat sich natürlich seine Frau
gleich wiedergeholt?"
„Nein, mein Herr, so einfach war die Sache
nicht. Sie hatte die Kleider ihres Mannes an-
gezogen und als Jüngling das Hotel verlassen."
„Na aber," sage ich, „das ist doch nicht
möglich, dann müßte der Mann doch schon
feit geschlafen haben.
«Aeaou, äaou," machte mein Freund mit
drolligem Phlegma, „Und außerdem kennen
Sie nicht die Strapazen eines Hochzeitstages.
Ihr Junggesellen mit Eurer ideale» Phantasie
macht Euch überhaupt immer falsche Bilder —
na, lassen wir das, kurz und gut, die Mary
war entkommen, Man lief zur Polizei, mnii
suchte alle Hotels, ab, mau fragte bei allen
Bekannte» nacb, die Mary war nicht da. An
einen Selbstmord war nicht gut zu denken.
Dazu macht man doch nicht so vollständige
Toilette — mit Kravntte uiib Eyliuder. Die
Brieftasche mit den Banknoten hatte sie auch
nicht aus der Rocktasche entfernt. Der Manu
war trostlos. Die Eltern desgleichen. Was
thnn? Es blieb nichts anderes übrig, als
zum Gaudium aller gute» Menschen in den
Times zu annoncircn. Da stand's nun mit
großen Buchstaben: Mary come back k. jc. —
Aber Mary kehrte nicht zurück. Was der Manu
i» diesen Zeiten auszustehen hatte, das malen
Sie sich gefälligst mit Ihrer höchsteigenen Phan-
tasie ans!"
„Aber sie kam doch zurück?" sage ich ge-
spannt.
„Abwarten und ansreden lassen. Jawohl,
sie kam zurück. Aber mancher Tropfen war
inzwischen von der Themse in's Meer geflossen.
Wohl über 100 Tage waren vergangen, da
klopfte es eines Abends-"
„Da klopfte es eines Abends an der Thür
des armen Mannes," fuhr ich fort, „er öffnet
oder läßt öffnen, und Mary steht vor ihm!"
„Ganz recht."
„Aber weshalb war sie nun auf einmal
wieder gekommen?"
„Aeaou — der Anzug ihres Mannes war
ihr zu eng geworden!"
Wir mußten beide lachen. Die Pointe
hatte ich nicht erwartet. Mein Freund fuhr fort:
„Es ging Alles sittsam und mit rechten
Dingen zu. Still und zurückgezogen hatte Mary
in Richmond bei einer armen Frau gewohnt,
die, wenn sie überhaupt etwas Verdacht schöpfte,
ihn sogleich niederkämpfte mit dem Gedanken
an den reichlichen Miethzins, de» der blasse
Jüngling zahlte. Uebrigens bin ich Ihnen
noch die Aufklärung schuldig, daß bis jetzt drei
liebe Kinderchen der Ehe entsprossen sind."
Mein Freund stand auf, ging au die Thür
uiib rief mit affektirtem Londoner Englisch:
„Ellen Mary, come back!“ Lachend tritt
Frau Ellen in's Zimmer, mein Freund erhält
einen sanften Klaps. „Was für Geschichten
Du nicht immer erzählen mußt." „Nun," sage
ich ein wenig pikiit, „ich bin doch am Ende
keine höhere Tochter. Uebrigens, Frau Doktor.
Sie kennen ja doch die Frau Mary, wie lebt
die eigentlich mit ihrem Mann?"
„Nun," sagt sie, „sehr glücklich, sie hat auch
jetzt noch die Hose anl"
HlSPANUS MAJOR