1899
JUGEND
„Ja, ja, bic heutige Jugend!" sagte er vor
sich hin. „Diese Ungeduld! Zu meiner Zeit
war das anders." Wchmüthig lächelnd setzte
er sich au den Schreibtisch und hatte bald, ver-
tieft in eine Abhandlung über die Gallwespen,
Tochter, Schwiegersohn und Verlobung voll-
ständig vergessen.
vr. Witte war indessen, so bald er den ersten
Worten des Professors die Gewißheit der väter-
lichen Einwilligung entnommen hatte, Hals über
Kops aus der Thüre gestürzt und fast in die
Arme der draußen harrenden und lauschenden
Geliebten gefallen.
„Anna, Anna!" rief er jubelnd und zog das
crröthende Mädchen an sich. „Dein Vater hat
erlaubt, daß lvir uns heiratheil. Ich bin so
glücklich, so furchtbar, unmenschlich glücklich."
Anna ließ ihr Köpfchen auf seine Schulter
fallen und begann leise zu weinen. „Ach, Eduard,"
lispelte sie unter Thränen, „ich hätte ohne Dich
nicht leben können."
Zärtlich küßte der Doktor der Geliebten die
Thränen von den Wangen; dann setzten sie sich
eirg nmschlungen ans daS große Familienfvfa
und begannen leise mit einander zu plaudern von
ihrem Glück, der Zukunst, ihren Plänen, Wün-
schen und Hoffnungen für dieselbe.
„Nur eines begreife ich nicht," sagte der Doktor,
„wie ich bis jetzt ohne Dich habe leben können.
■ Mein früherer Ehrgeiz, meine Träume von Ruhm
und Reichthum dünken mich jelft kindisch und
Äti? Wl™r « ««- SÄfcn“ W‘ ®“1”” iC” *"■
- - .... , „Was hättest Du wohl gethan," fragte Anna
nachdenklich, „wenn Du mich nicht kennen gelernt
hättest?"
Der Doktor sah düster vor sich hin.
„DaS wäre schrecklich gewesen, Anna," meinte
er traurig. „Dann hätte ich mein Leben ver-
bracht in fruchtlosem Jagen nach dem Glück,
und hätte es nicht gefunden. Denn mein Glück
bist Du," setzte er innig hinzu.
Anna schüttelte das blonde Köpfchen.
" ~ ' “ *. finft
<£onrat> Ferdinand Meyer
(an feinem Sterbetage)
vertieft in Deinen Liederband,
Dein Bild mir vor der Seele stand,
Im Zirneglan; des Alters, drein
Der diuhm warf einen goldnen Schein.
Da trat's zu mir wie Schatten her,
Ich wandte mich, erschauernd: wer?
Der Tod. ernstblickend, reichte mir
Stumm eines Lorbeers dunkle Zier.
«Zur Deinen Meister. Kränze ihn!"
Da mußt' ich es, die Sonne schien
Dir heut zuletzt. Der Spuk entwich.
Um einen Todten klagte ich.
Gustav Falke.
Von Heinrich Steinihcr
ars ich wirklich hosscn?" ric
treudeftrahlend.
„Mein lieber, junger Freund," entgegnete
Pros. Ruhland, „mein lieber, junger Freund,
oder besser gesagt, Sohn; ich finde keinen Grund,
welcher dem von Ihnen gehegten Wunsche, meine
Tochter Anna als eheliches Weib heimzuführen,
entgegensieben sollte. Sie haben, oder besser ge-
jagt, Du hast die Mittel, ein Weib, und allen-
falls mit einiger Wahrscheinlichkeit nachkommende
Kinder, zu ernähren, und das Gefühl, welches
Du eben eingestandenermaßen meiner Tochter
Anna cmgegenbringst, scheint mir nach menich-
lichcr Voraussicht die beste Gewähr für eine
glückliche Zukunft z>t bieten."
Gerührt wollte der Professor seinem Schwieger-
söhne in spe die Hand drücken, bemerkte aber
zu seinem Erstaunen, daß jener verschwunden,
und die schöne Rede ungchört
verhallt war.
Anna uuv ui,.,,,
„Weil Du mich keiuien gelernt hast," sagte
sic. „Sonst wäre eben eine andere Dein ,Glück'."
„Niemals," antwortete ernst der Doktor. „Du
allein bist mein Glück, weil Du allein von allen
Mädchen auf der Erde für mich bestimmt bist.
Das kann man mit Worten nicht so ausdrücken,"
fuhr er fort, „das muß man fühlen. Du aller-
dings scheinst nicht so zu empfinden."
„Ich!" Anna slihr gekränkt aus und suchte
nach einem besonders kräftigen
Ausdruck der Größe ihrer
Liebe, aber ehe sie noch einen solchen geftmden,
bemerkte der Doktor spöttisch: „Dir wäre ja im-
mer noch der Lieutenant Gcrster übrig geblieben."
„Du willst doch nicht sagen-?"
„Hast Du vielleicht nicht mit ihm kokeitirt?!"
Statt aller Antwort brach Anna in ein krampf-
haftes Schluchzen ans, ein Grund für den Doktor,
sie trotz ihres Sträubens an sich zri ziehen und
ui den liebevollsten Worten ihre Verzeihung zu
erflehen.
Aber davon wollte Anna nichts hören. „Geh!"
stieß sie rauh hervor. „Geh, Du liebst mich
nicht, sonst könntest Du so etwas nicht fageii."
Der Doktor erhob sich. „Wie Du willst,"
sagte er trocken. „Also adieu!"
Ein unheimliches Schweigen entstand, das
nur durch daS dröhnende Schlagen der Thurm-
uhr unterbrochen wurde.
Elf Uhr!
„Ich iimß gehen," wiederholte der Doktor.
„Lebe wohl, Anna!"
Sie schien zu glauben, diese inhaltsschweren
Worte bedeuteten einen Abschied für immer, denn
plötzlich stürzte sie auf ihn zu, schlang beide
Arme lim seinen Hals und rief in zärtlichen
Tönen: „Eduard, geh'nicht so von mir, ich habe
Dich ja so lieb. — Aber," fügte sic ganz leise
hinzu, „Du mußt aiich glauben, dag ich nie
Jemand anderen gehcirathet hätte, als Dich!"
War auch eigentlich kein Grund zu diesem
schnellen Gesinnungswechsel vorhanden, so glaubte
in diesem Augenblicke der Doktor doch alles,
ivas seine Braut von ihm wollte, und der Friede
ivar daher bald wieder hergestellt.
„Es ivar dumm von uns," meinte er, „uns
zu streiten, aber doch wiederum gut, denn jetzt
wissen >vir, daß das Schicksal uns nur für ein-
ander bestimmt hat."
Für diesen Ausspruch belohnte Anna den
Geliebten mit den süßesten Küssen, aber endlich
riß sich der Doktor entschlossen aus ihren Armen
los und eilte, um jeder Versuchung zur Rückkehr
zu entgehen, schnell aus dem Hause.
Eine linde Maiennacht umfing ihn.
Das silberne Licht der Mondsichel zeigte ihm
am Fenster eine weiße Gestalt, welche ihm Kuß-
händchen nachschickte.
Langsam schritt der Doktor seiner Wohnung zu.
Sv vollkommen, so überwallend glücklich
halte er sich noch nie gefühlt.
„Endlich habe ich erreicht," dachte er, „was
ich seit langen, langen Jahreti ersehnte Sie ist
mein — mein — mein." kliiivillkürlich reckte er
seine Gestalt empor und nahiit eine stolze Halt-
Frau Käthe Koludlz (Kal.n).
tadirung aus einem Cvclus:
„Der Weberaufstand“
JUGEND
„Ja, ja, bic heutige Jugend!" sagte er vor
sich hin. „Diese Ungeduld! Zu meiner Zeit
war das anders." Wchmüthig lächelnd setzte
er sich au den Schreibtisch und hatte bald, ver-
tieft in eine Abhandlung über die Gallwespen,
Tochter, Schwiegersohn und Verlobung voll-
ständig vergessen.
vr. Witte war indessen, so bald er den ersten
Worten des Professors die Gewißheit der väter-
lichen Einwilligung entnommen hatte, Hals über
Kops aus der Thüre gestürzt und fast in die
Arme der draußen harrenden und lauschenden
Geliebten gefallen.
„Anna, Anna!" rief er jubelnd und zog das
crröthende Mädchen an sich. „Dein Vater hat
erlaubt, daß lvir uns heiratheil. Ich bin so
glücklich, so furchtbar, unmenschlich glücklich."
Anna ließ ihr Köpfchen auf seine Schulter
fallen und begann leise zu weinen. „Ach, Eduard,"
lispelte sie unter Thränen, „ich hätte ohne Dich
nicht leben können."
Zärtlich küßte der Doktor der Geliebten die
Thränen von den Wangen; dann setzten sie sich
eirg nmschlungen ans daS große Familienfvfa
und begannen leise mit einander zu plaudern von
ihrem Glück, der Zukunst, ihren Plänen, Wün-
schen und Hoffnungen für dieselbe.
„Nur eines begreife ich nicht," sagte der Doktor,
„wie ich bis jetzt ohne Dich habe leben können.
■ Mein früherer Ehrgeiz, meine Träume von Ruhm
und Reichthum dünken mich jelft kindisch und
Äti? Wl™r « ««- SÄfcn“ W‘ ®“1”” iC” *"■
- - .... , „Was hättest Du wohl gethan," fragte Anna
nachdenklich, „wenn Du mich nicht kennen gelernt
hättest?"
Der Doktor sah düster vor sich hin.
„DaS wäre schrecklich gewesen, Anna," meinte
er traurig. „Dann hätte ich mein Leben ver-
bracht in fruchtlosem Jagen nach dem Glück,
und hätte es nicht gefunden. Denn mein Glück
bist Du," setzte er innig hinzu.
Anna schüttelte das blonde Köpfchen.
" ~ ' “ *. finft
<£onrat> Ferdinand Meyer
(an feinem Sterbetage)
vertieft in Deinen Liederband,
Dein Bild mir vor der Seele stand,
Im Zirneglan; des Alters, drein
Der diuhm warf einen goldnen Schein.
Da trat's zu mir wie Schatten her,
Ich wandte mich, erschauernd: wer?
Der Tod. ernstblickend, reichte mir
Stumm eines Lorbeers dunkle Zier.
«Zur Deinen Meister. Kränze ihn!"
Da mußt' ich es, die Sonne schien
Dir heut zuletzt. Der Spuk entwich.
Um einen Todten klagte ich.
Gustav Falke.
Von Heinrich Steinihcr
ars ich wirklich hosscn?" ric
treudeftrahlend.
„Mein lieber, junger Freund," entgegnete
Pros. Ruhland, „mein lieber, junger Freund,
oder besser gesagt, Sohn; ich finde keinen Grund,
welcher dem von Ihnen gehegten Wunsche, meine
Tochter Anna als eheliches Weib heimzuführen,
entgegensieben sollte. Sie haben, oder besser ge-
jagt, Du hast die Mittel, ein Weib, und allen-
falls mit einiger Wahrscheinlichkeit nachkommende
Kinder, zu ernähren, und das Gefühl, welches
Du eben eingestandenermaßen meiner Tochter
Anna cmgegenbringst, scheint mir nach menich-
lichcr Voraussicht die beste Gewähr für eine
glückliche Zukunft z>t bieten."
Gerührt wollte der Professor seinem Schwieger-
söhne in spe die Hand drücken, bemerkte aber
zu seinem Erstaunen, daß jener verschwunden,
und die schöne Rede ungchört
verhallt war.
Anna uuv ui,.,,,
„Weil Du mich keiuien gelernt hast," sagte
sic. „Sonst wäre eben eine andere Dein ,Glück'."
„Niemals," antwortete ernst der Doktor. „Du
allein bist mein Glück, weil Du allein von allen
Mädchen auf der Erde für mich bestimmt bist.
Das kann man mit Worten nicht so ausdrücken,"
fuhr er fort, „das muß man fühlen. Du aller-
dings scheinst nicht so zu empfinden."
„Ich!" Anna slihr gekränkt aus und suchte
nach einem besonders kräftigen
Ausdruck der Größe ihrer
Liebe, aber ehe sie noch einen solchen geftmden,
bemerkte der Doktor spöttisch: „Dir wäre ja im-
mer noch der Lieutenant Gcrster übrig geblieben."
„Du willst doch nicht sagen-?"
„Hast Du vielleicht nicht mit ihm kokeitirt?!"
Statt aller Antwort brach Anna in ein krampf-
haftes Schluchzen ans, ein Grund für den Doktor,
sie trotz ihres Sträubens an sich zri ziehen und
ui den liebevollsten Worten ihre Verzeihung zu
erflehen.
Aber davon wollte Anna nichts hören. „Geh!"
stieß sie rauh hervor. „Geh, Du liebst mich
nicht, sonst könntest Du so etwas nicht fageii."
Der Doktor erhob sich. „Wie Du willst,"
sagte er trocken. „Also adieu!"
Ein unheimliches Schweigen entstand, das
nur durch daS dröhnende Schlagen der Thurm-
uhr unterbrochen wurde.
Elf Uhr!
„Ich iimß gehen," wiederholte der Doktor.
„Lebe wohl, Anna!"
Sie schien zu glauben, diese inhaltsschweren
Worte bedeuteten einen Abschied für immer, denn
plötzlich stürzte sie auf ihn zu, schlang beide
Arme lim seinen Hals und rief in zärtlichen
Tönen: „Eduard, geh'nicht so von mir, ich habe
Dich ja so lieb. — Aber," fügte sic ganz leise
hinzu, „Du mußt aiich glauben, dag ich nie
Jemand anderen gehcirathet hätte, als Dich!"
War auch eigentlich kein Grund zu diesem
schnellen Gesinnungswechsel vorhanden, so glaubte
in diesem Augenblicke der Doktor doch alles,
ivas seine Braut von ihm wollte, und der Friede
ivar daher bald wieder hergestellt.
„Es ivar dumm von uns," meinte er, „uns
zu streiten, aber doch wiederum gut, denn jetzt
wissen >vir, daß das Schicksal uns nur für ein-
ander bestimmt hat."
Für diesen Ausspruch belohnte Anna den
Geliebten mit den süßesten Küssen, aber endlich
riß sich der Doktor entschlossen aus ihren Armen
los und eilte, um jeder Versuchung zur Rückkehr
zu entgehen, schnell aus dem Hause.
Eine linde Maiennacht umfing ihn.
Das silberne Licht der Mondsichel zeigte ihm
am Fenster eine weiße Gestalt, welche ihm Kuß-
händchen nachschickte.
Langsam schritt der Doktor seiner Wohnung zu.
Sv vollkommen, so überwallend glücklich
halte er sich noch nie gefühlt.
„Endlich habe ich erreicht," dachte er, „was
ich seit langen, langen Jahreti ersehnte Sie ist
mein — mein — mein." kliiivillkürlich reckte er
seine Gestalt empor und nahiit eine stolze Halt-
Frau Käthe Koludlz (Kal.n).
tadirung aus einem Cvclus:
„Der Weberaufstand“