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imc| cm, wie ein Sieger nach gewonnener Schlacht. Und als Sieger erschien er sich
auch, der den schönsten Preis errungen, welchen die Erde zu vergeben hat.
Unter diesen Gedanken an sein außergewöhnlich glückliches Schicksal war er
an der Stndttvicse ängekommen, die er überschreiten müßte, uni zu seiner Wohnung
zu gelangen.
Sonst hatte er oft Mühe gehabt, auf der schivarzen, öden Fläche den einzigen
Fußpfad zu finden, heute erlaubte das Licht des Mondes einen klaren Ueberblick.
Nicbt schiveigcnd und trübselig wie sonst dehnte sich die Wiese vor ihm aus; eine
Stadt von seltsamen unförmlichen Gebäuden erhob sich iit ihrer Mitte.
„Der dumme Jahrmarkt!" murmelte der Doktor. „Hoffentlich treibt sich kein
schlimmes Gesindel umher."
Allein kein Laut war zu hören, kein Licht zu sehen, als er sich jetzt der Buden-
stadt näherte. Am Eingänge standen zwei CarrousselS, von oben bis unten mit
Segeltuch umzogen, aus dem nur die Beine der hölzernen Pferdchen hervorsahen.
Die große, lange Bude gegenüber war offenbar eine Menagerie. Auf die Lein-
ivgnd waren merkwürdige Thiersceneu gemalt, kämpfende Lötven, Bären und
Schlangen, die bei dem ungewissen Lichte des Mondes ganz ungeheuerlich aus-
sahen. Dem Doktor aber erschienen sie ausnehmend belustigend.'
„Eine komische Situation," dachte er. „Alle schlafen jetzt, die Niescndamen,
die Feuerfi esfer, die Seiltänzer, selbst die wilden Bestien — ich bin der einzige
wachende Mensch unter ihnen."
Vom Stadtthurm schlug es langsam 12 Uhr.
Schon war der Doktor beim Ausgange angekomnien, da gewahrte er zu
seinem größten Erstaunen eine hellerleuchtete Bude. Er war unentschlossen, ober
nähertreten oder weitergehen solle, aber seinem Zögern wurde rasch ein Ende
bereitet.
„Nur immer herein, Herr Doktor!" ertönte eine heisere, unangenehm klingende
Stimme.
Der Angerufene zuckte erschrocken zusammen, daun lächelte er, denn er dachte
au irgend einen Studentenulk, und trat rasch auf die Bude zu. Rechts und links
von der Kasse hingen einige Lampen, bei bereu flackerndem Lichte er mehrere
Glaskästen erblickte, die große, bunt gekleidete Puppen enthielten. Aber kein
lebendes Wesen war zu sehen.
„Wer rief denn?" fragte ungeduldig der Doktor.
„Ich; wer sonst?" sagte die heisere Stimme: und jetzt bemerkte der Doktor
zu seinem unaussprechlichen Entsetzen, daß sie aus dem Munde einer Wachsfigur
kam, die als Magier gekleidet steif und kalt aits ihrem Poftaiileute stand. Aber
während er noch hinstarrte, fing die Figur an, sich zu bewegen, sprang von
ihrem Platze herunter und stellte sich dicht vor ihn hin
Der Doktor vermochte keinen Laut von sich zu geben, keine Bewegung zu
machen.
„Ich thuc Ihnen nichts, Herr Doktor," sagte die Figur, die seinen Schrecken
bemerkte, etwas freundlicher. „Treten Sie nur ein, ich zeige Ihnen alles."
Endlich fand jener die Sprache wieder. „Ja," stieß er hervor, „wer sind Sie
denn eigentlich? Sind Sie eine Wachsfigur oder --?" Der Teufel, wollte
er sagen, aber der Magier unterbrach ihn.
„Natürlich bin ich eine Wachsfigur," sagte er. „Noch dazu eine sehr künst-
liche, denn ich kann, wenn ich aufgezogen werde, meinen Znuberstab heben, die
Augen rollen und mit dem Kopfe nicken."
„Aber Sie sprechen ja wie ein wirklicher Mensch."
Die Figur schüttelte ihr wächsernes Haupt.
„Das klingt nur so," meinte sic wehmüthig. „Während der Geisterstunde
kann ich mehr als die anderen, weit ich ein Magier bin."
Dem Doktor graute bei diesem tollen Geschivätz.
„Woher wissen Sie denn, wer ich bin?" fragte er zitternd.
„Daß Sie ein Doktor sind," sagte würdevoll der Magier, „riecht man schon
von weitem. Und was die Wachsfigur betrifft — nun, solch' eine alte Wachsfigur
lvie ich läßt sich nicht so leicht täuschen."
„Aber ich bin doch keine Wachsfigur, ich bin ein Mensch."
Der Zauberer lachte höhnisch. „Was Sie sich einbilden!" rief er. „Jetzt ziehe
ich schon seit mehr als 30 Jahren in Europa umher, und ich versichere Ihnen, ich
habe sebr, sehr ivcnige Menschen gesehen. Sie sind eine Wachsfigur, allerdings
viel komplizirier als ich, denn ich kann nur meinen Stab heben, dle'Äugen rollen
und mit dem Kopfe nicken. Das ist nichts Besonderes, ich weiß eS. Aber wir
haben eitie Ente hier, die frißt und verdaut. Das ist doch immerhin etwas.'
„lind jetzt kommen Sie herein," fuhr er fort. „Viel Zeit ist nicht mehr zu
verlieren, denn um l Uhr wird geschlossen. Uebrigens werden Sie einiges sehr
Interessante sehen. Wenn ich mich nicht sehr irre, sind Sie auch in der Sammlung."
Rach diesen Worten schob er mit seinem Stabe einen Vorhang bei Seite und
ließ den willenlos gehorchenden Doktor vorantreten.
Auch das Innere der Bude war von bunten Lanipen erleuchtet. Rings
standen auf Postamenten die Wachsfiguren. Hatte der mitternächtliche Besucher
gefürchtet, etlvas besonders Grausiges zu sehen, so fand er sich jetzt angenehm
enttäuscht.
„Nicht wahr, recht hübsch?" sagte der unheimliche Führer. „Ich werde Ihnen
jetzt alles erklären. — Hier ist 9co. 1." Und er wies auf die Figur eines reich-
gekleidcten Soldaten. „Ein Lieutenant aus dem 10. Jahrhundert. Er ist nicht
besonders künstlich. Er kann nur den Säbel schivmgen und „Hurrah" rufen.
Soll ich ihn ausziehen?"
Der Doktor begann allmählich Gefallen an der seltsamen Situation zu finden
und nahm sich vor, ganz aus die Intentionen des Magiers eiiizugcheii.
Daher verneinte er jetzt höflich dessen Frage und meinte lächelnd, jener möge
de» Lieutenant nur in Ruhe lassen, solche Wachsfiguren habe er schon oft gesehen.
„Ja, ja," bemerkte der Zauberer. „Sie ist auch nur ganz gewöhnliche
Fabrikarbeit. Hier No/2," fuhr er dann erklärend fort., „Auch nichts Besonderes.
Ein Professor aus der Zeit der 12. ägyptischen Dynastie. Sie sehen, er hält ein
Glas in der Hand und blickt durch dasselbe auf ein kleines Thier, und wenn
man hinten die Kurbel dreht, hebt er den Kopf, verdreht die Augen und ruft:
,Die Gallwcspe, meine Herrschaften!' und dann —-
Radirung aus „Der Weberaufstand“. J3 St St N dl S Frau Käthe Kollwitz (Berlin).
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imc| cm, wie ein Sieger nach gewonnener Schlacht. Und als Sieger erschien er sich
auch, der den schönsten Preis errungen, welchen die Erde zu vergeben hat.
Unter diesen Gedanken an sein außergewöhnlich glückliches Schicksal war er
an der Stndttvicse ängekommen, die er überschreiten müßte, uni zu seiner Wohnung
zu gelangen.
Sonst hatte er oft Mühe gehabt, auf der schivarzen, öden Fläche den einzigen
Fußpfad zu finden, heute erlaubte das Licht des Mondes einen klaren Ueberblick.
Nicbt schiveigcnd und trübselig wie sonst dehnte sich die Wiese vor ihm aus; eine
Stadt von seltsamen unförmlichen Gebäuden erhob sich iit ihrer Mitte.
„Der dumme Jahrmarkt!" murmelte der Doktor. „Hoffentlich treibt sich kein
schlimmes Gesindel umher."
Allein kein Laut war zu hören, kein Licht zu sehen, als er sich jetzt der Buden-
stadt näherte. Am Eingänge standen zwei CarrousselS, von oben bis unten mit
Segeltuch umzogen, aus dem nur die Beine der hölzernen Pferdchen hervorsahen.
Die große, lange Bude gegenüber war offenbar eine Menagerie. Auf die Lein-
ivgnd waren merkwürdige Thiersceneu gemalt, kämpfende Lötven, Bären und
Schlangen, die bei dem ungewissen Lichte des Mondes ganz ungeheuerlich aus-
sahen. Dem Doktor aber erschienen sie ausnehmend belustigend.'
„Eine komische Situation," dachte er. „Alle schlafen jetzt, die Niescndamen,
die Feuerfi esfer, die Seiltänzer, selbst die wilden Bestien — ich bin der einzige
wachende Mensch unter ihnen."
Vom Stadtthurm schlug es langsam 12 Uhr.
Schon war der Doktor beim Ausgange angekomnien, da gewahrte er zu
seinem größten Erstaunen eine hellerleuchtete Bude. Er war unentschlossen, ober
nähertreten oder weitergehen solle, aber seinem Zögern wurde rasch ein Ende
bereitet.
„Nur immer herein, Herr Doktor!" ertönte eine heisere, unangenehm klingende
Stimme.
Der Angerufene zuckte erschrocken zusammen, daun lächelte er, denn er dachte
au irgend einen Studentenulk, und trat rasch auf die Bude zu. Rechts und links
von der Kasse hingen einige Lampen, bei bereu flackerndem Lichte er mehrere
Glaskästen erblickte, die große, bunt gekleidete Puppen enthielten. Aber kein
lebendes Wesen war zu sehen.
„Wer rief denn?" fragte ungeduldig der Doktor.
„Ich; wer sonst?" sagte die heisere Stimme: und jetzt bemerkte der Doktor
zu seinem unaussprechlichen Entsetzen, daß sie aus dem Munde einer Wachsfigur
kam, die als Magier gekleidet steif und kalt aits ihrem Poftaiileute stand. Aber
während er noch hinstarrte, fing die Figur an, sich zu bewegen, sprang von
ihrem Platze herunter und stellte sich dicht vor ihn hin
Der Doktor vermochte keinen Laut von sich zu geben, keine Bewegung zu
machen.
„Ich thuc Ihnen nichts, Herr Doktor," sagte die Figur, die seinen Schrecken
bemerkte, etwas freundlicher. „Treten Sie nur ein, ich zeige Ihnen alles."
Endlich fand jener die Sprache wieder. „Ja," stieß er hervor, „wer sind Sie
denn eigentlich? Sind Sie eine Wachsfigur oder --?" Der Teufel, wollte
er sagen, aber der Magier unterbrach ihn.
„Natürlich bin ich eine Wachsfigur," sagte er. „Noch dazu eine sehr künst-
liche, denn ich kann, wenn ich aufgezogen werde, meinen Znuberstab heben, die
Augen rollen und mit dem Kopfe nicken."
„Aber Sie sprechen ja wie ein wirklicher Mensch."
Die Figur schüttelte ihr wächsernes Haupt.
„Das klingt nur so," meinte sic wehmüthig. „Während der Geisterstunde
kann ich mehr als die anderen, weit ich ein Magier bin."
Dem Doktor graute bei diesem tollen Geschivätz.
„Woher wissen Sie denn, wer ich bin?" fragte er zitternd.
„Daß Sie ein Doktor sind," sagte würdevoll der Magier, „riecht man schon
von weitem. Und was die Wachsfigur betrifft — nun, solch' eine alte Wachsfigur
lvie ich läßt sich nicht so leicht täuschen."
„Aber ich bin doch keine Wachsfigur, ich bin ein Mensch."
Der Zauberer lachte höhnisch. „Was Sie sich einbilden!" rief er. „Jetzt ziehe
ich schon seit mehr als 30 Jahren in Europa umher, und ich versichere Ihnen, ich
habe sebr, sehr ivcnige Menschen gesehen. Sie sind eine Wachsfigur, allerdings
viel komplizirier als ich, denn ich kann nur meinen Stab heben, dle'Äugen rollen
und mit dem Kopfe nicken. Das ist nichts Besonderes, ich weiß eS. Aber wir
haben eitie Ente hier, die frißt und verdaut. Das ist doch immerhin etwas.'
„lind jetzt kommen Sie herein," fuhr er fort. „Viel Zeit ist nicht mehr zu
verlieren, denn um l Uhr wird geschlossen. Uebrigens werden Sie einiges sehr
Interessante sehen. Wenn ich mich nicht sehr irre, sind Sie auch in der Sammlung."
Rach diesen Worten schob er mit seinem Stabe einen Vorhang bei Seite und
ließ den willenlos gehorchenden Doktor vorantreten.
Auch das Innere der Bude war von bunten Lanipen erleuchtet. Rings
standen auf Postamenten die Wachsfiguren. Hatte der mitternächtliche Besucher
gefürchtet, etlvas besonders Grausiges zu sehen, so fand er sich jetzt angenehm
enttäuscht.
„Nicht wahr, recht hübsch?" sagte der unheimliche Führer. „Ich werde Ihnen
jetzt alles erklären. — Hier ist 9co. 1." Und er wies auf die Figur eines reich-
gekleidcten Soldaten. „Ein Lieutenant aus dem 10. Jahrhundert. Er ist nicht
besonders künstlich. Er kann nur den Säbel schivmgen und „Hurrah" rufen.
Soll ich ihn ausziehen?"
Der Doktor begann allmählich Gefallen an der seltsamen Situation zu finden
und nahm sich vor, ganz aus die Intentionen des Magiers eiiizugcheii.
Daher verneinte er jetzt höflich dessen Frage und meinte lächelnd, jener möge
de» Lieutenant nur in Ruhe lassen, solche Wachsfiguren habe er schon oft gesehen.
„Ja, ja," bemerkte der Zauberer. „Sie ist auch nur ganz gewöhnliche
Fabrikarbeit. Hier No/2," fuhr er dann erklärend fort., „Auch nichts Besonderes.
Ein Professor aus der Zeit der 12. ägyptischen Dynastie. Sie sehen, er hält ein
Glas in der Hand und blickt durch dasselbe auf ein kleines Thier, und wenn
man hinten die Kurbel dreht, hebt er den Kopf, verdreht die Augen und ruft:
,Die Gallwcspe, meine Herrschaften!' und dann —-
Radirung aus „Der Weberaufstand“. J3 St St N dl S Frau Käthe Kollwitz (Berlin).
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