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Nr. 3

Nr. 3

die mutter

Fritz Erler (München).

G.: Das ist auch ein Papa. Den besuch-
ten wir immer, Mama und ich; das war am
Wasser in einem ganz, ganz grossen weissen
Hause. Wenn er mit Mama sprach, sah ich
mir immer die Schiffe an. Und manchmal
sagte er: Dreh Dich nicht um, Genovefa!
Dass Du Dich nicht umdrehst!

M.: Hattest Du diesen Papa sehr lieb?

6..' O, ich kannte ihn nicht viel. Nur ein
klein Bischen habe ich ihn gekannt. (Nach
kurzem Schweigen): Er ist gestorben.

M.: Er ist wohl in’s Wasser gefallen?

G.: Ich weiss nicht.

Sie dreht schnell einige Seiten mit Frauenbild-
nissen um und hält an bei der Photographie eines
jungen, ziemlich hübschen Mannes, der halb auf
einem Divan hingestreckt ist und eine Cigarette in
der Hand hält.

G.: Siehst Du, das ist Couvercle.

M.: Auch ein Papa?

G.: Ja, natürlich.

M.: Der raucht ja.

G.: Der rauchte immerzu und schlief
immerzu.

M.: Den konntest Du wohl nicht leiden?

G.: Nein; der schlug Mamachen! Und
dann hat er mir die Arme am Eisengitter
meines Bettes festgebunden. Mamachen hat
so oft über ihn weinen müssen. Und ihre
Ohrringe mit den Diamanten hat er auch
fortgenommen, und alle Ringe, und — alles,
alles! (Nach kurzem Schweigen): Er ist ge-
storben.

M.: Sie sterben ja alle!

G.: Nein! Siehst Du —■ das sind meine
zwei jetzigen Papas . . der Alte . . (ganz leise)
der alte Abscheuliche, und hier — der Hüb-
sche. Ist der nicht hübsch, der Hübsche?

M.: Er hat Aehnlichkeit mit dem Grossen,
der raucht, und der dich im Bett festge-
bunden hat.

G.: O, der ist viel besser. Aber sein Ge-
sicht ist so wie das vom Andern ... da hast
Du Recht! (Stolz) Du siehst, ich habe viele
Papas.

M.: Ja. (Neidisch): Und die schenkten
Dir alle was?

G.: Und ob sie mir etwas schenkten!
(Prahlend): Pferde mit Mechanik, so gross wie
die wirklichen von Fleisch, und die ziehen
kleine, niedliche Wagen mit Seidenkissen, und
in den Wagen sitzen Puppen, die können spre-
chen und haben kleine Taschentücher, ganz
richtige, wie Menschen, die den Schnupfen
haben; und dann noch einen Kaufmannsladen
und eine Milchhandlung, und eine Küche —
die hab’ ich noch! Mit einem Herd, in dem
man wirkliche Kohle brennen kann!

M.: Ich hab’ auch einen Herd mit Feuer,
und dann hab’ ich auch kleine Bolzen zum
Plätten. Die mach’ ich mir auf meinem Herd
heiss. Dann spiele ich Wäscherin und plätte
kleine Puppenlappen.

G.: Ich plätte nicht! Das thu’ ich niemals.
Ich mache richtigen Thee, den man aus rus-
sischen Gläsern trinkt. Ich lade meine kleinen
Freundinnen dazu ein. Wenn wir wieder in
Paris sind, werde ich Dich auch einladen.

M.: Ach ja! Das ist zu hübsch! Wirst Du
mich bald einladen?

G.: Wenn Papa es mir erlaubt.

M.: Welcher Papa?

G. (in das Album zeigend): Der Hübsche.

M.: Und der andere... der Alte?

G.: Der Andere? — (mit altkluger Miene)
Das weisst Du, nicht — der andere?

M.: Nein!

G.; Wirst Du es aber auch Niemandem
wieder sagen?

M.: Nein!

G. (ganz leise, ganz langsam, bei jedem Wort
pausirend): Nun ... ich glaube . . . der wird . . .

M.: Der wird?

G.: Wie meine andern Papa’s aus dem
Album.

M.: (die Augen vor Neugierde und vagem
Schrecken geweitet): Er — — wird — — —
— sterben?

G. (mit Würde): Nächstens.

Deutsch von Paul Borns »ein.

Gedanken

In seltenen, gehobenen Augenblicken kommt
über die Menschen eine Schönheit, die ganz
anders ist als die individuelle Schönheit. Sic
kommt auch über die Häßlichen. Es ist die
Schönheit des Mensche n.

Die Nervosität ist eine "Krankheit unserer
Zeit, das mag sein. 2lbcr außerdem ist „Nervo-
sität" das vortrefflichste Deckwort für alle Arten
Selbstsucht. Die Gesündesten und Faulsten
haben cs bereits in Gebrauch genommen.

Der Haß ist ein Fuselrausch; seine Folgen
sind Schmerz, Uebersüttigung, Stumpfheit und
sclbstanklagcndcr Abscheu. Liebe aller Orten ist
aber ein Rausch von edelstem weine; selbst ihr
Rayenjammer wird zum Genuß durch Freuden
der Erinnerung und Wonne der wehmuth!

wenn der ungebildete Mensch sich an einer
Speise übernommen hat, so schimpft er auf die
Speise. Genau so macht cs der Pöbel mit den
Geschmacks- und Geistesrichtungen, denen er im
Ucbcrmaß gehuldigt hat. Solche Reaktionen
bcwcijen nichts. OTTO ERNST.

tzdytt

von Victor Lagerström

.Win Hüttchen wollte ich haben! Am Strande
W sollte es liegen, auf einer kantigen Felfen-
platte am Meer. Niedrig sollte es sein, und
grau und dürftig, mit Moos und Blumen
auf dem Dache und einer Stange mit einer
Wetterfahne daran, warm sollte es fein, mit
niedrigen Fenstern und didzten Thüren. Und
freundlich sollte es fein, mit einer Flamme im
offenen Kamin und Wandbrettern mit blan-
ken Humpen drauf; mit alten Köpfen an
den Wänden und festen Bänken und Schrän-
ken mit gemalten Rosen und Lilien; mit
schweren Stühlen und Tischen und weißen
Tüchern und grünen Zubern und Butten

und schmucken Leuchtern und Kerzen.

Tin Hüttchen wollte ich haben!

Lin Dichter wollte ich sein. Jung, keck,
unbekannt und vergnügt. Dichten wollte
ich, starke, warme Lieder und säzlichte, weh-
müthige Weisen. Ich wollte das Rauschen
der Tannen fingen, wenn der Wind durch
den Wald zieht, und das herrliche Wogenlied
des Meeres, wenn die rauschende Brandung

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