Nr. 3
JUGEND
1899
zum Strande eilt. Ziele Hagel
und käme Sturm, ich wollte sitzen
und dem gewaltigen Schlag der
Wogen gegen die Felsenplatte
lauschen. Aber läge dasMeer
sonnig lächelnd da, einen Kranz
von weißen Segeln um die blau-
ende Runde, da säße ich auf der
Klippe, und meine Sehnsucht
sänge ihr schwärmerisches Lied -
ohne Worte_
Lin Dichter wollte ich sein!
Lin Liebchen wollte ich haben!
Mein sollte es sein, mein! Für
sie wollte ich meine starken, war-
men Lieder singen, und meine
schlichten, wehmüthigen Weisen.
Tändelnd wollten wir über die
Felsen springen und uns am
Strande tummeln, und die Wel-
len sollten mit ihrem Schaum
ihre Wangen benetzen und Per-
lenstäubchen in ihr Schläsenhaar
sprengen. Durch Dickicht und
Gestrüpp sollten wir in den Wald
wandern, und das Lcho sollte
von unserem frohen Lachen wi-
derhallen. Aber wenn das Meer
stille ist und das Dunkel einfällt,
dann lauscht sie träumend mei-
nen Märchen vor der Flamme
im Kamin. Stille sitzen wir, wenn
die Funken verglimmen. Dir
letzte Schimmer der Gluth spielt
auf ihren Wangen, und in un-
seren Augen lesen wir die Sehn-
sucht, noch mehr zu besitzen.
Lin Liebchen wollte ich haben!
A
Die Gipsfigur
„wenn Schenke Methode sich erprobt,
wird es ein Unabe sein.
Reich wird er sein — Gott sei gelobt!
Jedoch genügt das? — Nein!
Er soll auch sein sehr gut gebaut,
Nicht dick und auch nicht schmal,
Ein schöner Mensch mitzarterDaut-
Äurzum ein Ideal."
Der Gatte sprach's - die Gattin horcht,
Sic schüttelt sanft das Daupt.
Sie war sehr deutlich schon - bestorcht,
wenn Ihr dies wort erlaubt.
Sie mustert theils mit Ironie
Und theils sogar mit Loh»
Den Gatten. Dann erwidert sic:
„Schön soll er sein-Dein Sohn?"
Er aber winkt, dem Diener nur
Und sagt: „Frau, sieh mal her.
Ich schenk' Dir diese Gipsfigur:
Apoll vom Bclveder'.
Nimm diesen schönen Menschenschlag
3um Muster Dir, o Iran —
Betracht' den Irerl Dir Tag sür Tag,
Betracht' Dir ihn genau.
Und laß nicht ab und sauge Dich
Des holden Anblicks voll,
Dann wird der Bub ganz sicherlich
So schön wie der Apoll." —
Und so geschah's. Tagtäglich saß
Sie auf dem Lanapce,
Betrachtete das Lbcnmaaß
Der Glieder, weiß wie Schnee.
Sobald der Tag sich anfgethan,
Nahm sie den Rerl auf's Rorn,
Und sah sich den Apollo an
Von hinten und von vorn.
Auch sein Profil von rechts und links
Besah sie stundenlang.
So ging es fort, und häufig ging's
Bis Sonnenuntergang.-
Die Zeit, die liebe Zeit, wie fuhr
Sie allgemach davon.
Im Zimmer steht die Gipsfigur,
Die Mutter und dev Sohn.
Und aus der Mutter Menenfpicl
Llagt dumpf der Monolog:
„Nicht ward erreicht das hohe Ziel,
Die stolze Loffnung trog.
So hat der Moriz sollen fein
wie der Apollo da —
Statt dessen steht er aus — o mein!
Genau wie der Papa!"
Josef Willomiyer.
&
Das
nächste Londoner Drama
Das demnächst zum ersten Mal
aufzuführende Londoner Drama
für 1899/1900 heisst: „Der Dia-
mant“. Die Titelrolle vertritt
ein eehter, massig grosser Dia-
mant von wunderbarstem Schliff.
Die erste Scene führt uns in den
Laden eines Juweliers. Auf Ti-
schen und an den Wänden grosse
Ausstellung von echten Juwelen;
Gesammtwerth 738 Millionen Mk.
Zwei Herren treten in den Laden.
Einer von ihnen stiehlt den Dia-
mant. Der Dieb wird dargestellt
von dem grössten Taschenspieler
der Gegenwart Mr. Quickfinger.
Als die Herren fort sind, ent-
deckt der Juwelier den Diebstahl
und veranlasst die Verfolgung.
Der Dieb wird von seinem Com-
plicen todtgeboxt (Auftreten des
Boxkämpfers Mr. Knockdown,
genannt The Champion of the
world! Es Messt echtes Blut!)
und des Diamanten beraubt. Der
Sieger flüchtet mit seinem Raub
auf einen Ueberseedampfer (De-
koration: Der neueste und grösste
Passagierdampfer Rutland mit
Radfahrerbahn an Bord); das
Schiff verbrennt auf offener See
(Dekoration: ein Schiffsbrand);
die Löschvorrichtungen mit der
Bezeichnung »Made in Germany«
funktionieren nicht. Der Flücht-
ling will in ein Rettungsboot sprin-
gen. springt vorbei und ertrinkt.
Max Hagen (München).
Dallunkinationen eines Minseligen
„Ach Gott, Alte, sei n!t bös, ich betrink' mich gewiß nimmer!"
44
JUGEND
1899
zum Strande eilt. Ziele Hagel
und käme Sturm, ich wollte sitzen
und dem gewaltigen Schlag der
Wogen gegen die Felsenplatte
lauschen. Aber läge dasMeer
sonnig lächelnd da, einen Kranz
von weißen Segeln um die blau-
ende Runde, da säße ich auf der
Klippe, und meine Sehnsucht
sänge ihr schwärmerisches Lied -
ohne Worte_
Lin Dichter wollte ich sein!
Lin Liebchen wollte ich haben!
Mein sollte es sein, mein! Für
sie wollte ich meine starken, war-
men Lieder singen, und meine
schlichten, wehmüthigen Weisen.
Tändelnd wollten wir über die
Felsen springen und uns am
Strande tummeln, und die Wel-
len sollten mit ihrem Schaum
ihre Wangen benetzen und Per-
lenstäubchen in ihr Schläsenhaar
sprengen. Durch Dickicht und
Gestrüpp sollten wir in den Wald
wandern, und das Lcho sollte
von unserem frohen Lachen wi-
derhallen. Aber wenn das Meer
stille ist und das Dunkel einfällt,
dann lauscht sie träumend mei-
nen Märchen vor der Flamme
im Kamin. Stille sitzen wir, wenn
die Funken verglimmen. Dir
letzte Schimmer der Gluth spielt
auf ihren Wangen, und in un-
seren Augen lesen wir die Sehn-
sucht, noch mehr zu besitzen.
Lin Liebchen wollte ich haben!
A
Die Gipsfigur
„wenn Schenke Methode sich erprobt,
wird es ein Unabe sein.
Reich wird er sein — Gott sei gelobt!
Jedoch genügt das? — Nein!
Er soll auch sein sehr gut gebaut,
Nicht dick und auch nicht schmal,
Ein schöner Mensch mitzarterDaut-
Äurzum ein Ideal."
Der Gatte sprach's - die Gattin horcht,
Sic schüttelt sanft das Daupt.
Sie war sehr deutlich schon - bestorcht,
wenn Ihr dies wort erlaubt.
Sie mustert theils mit Ironie
Und theils sogar mit Loh»
Den Gatten. Dann erwidert sic:
„Schön soll er sein-Dein Sohn?"
Er aber winkt, dem Diener nur
Und sagt: „Frau, sieh mal her.
Ich schenk' Dir diese Gipsfigur:
Apoll vom Bclveder'.
Nimm diesen schönen Menschenschlag
3um Muster Dir, o Iran —
Betracht' den Irerl Dir Tag sür Tag,
Betracht' Dir ihn genau.
Und laß nicht ab und sauge Dich
Des holden Anblicks voll,
Dann wird der Bub ganz sicherlich
So schön wie der Apoll." —
Und so geschah's. Tagtäglich saß
Sie auf dem Lanapce,
Betrachtete das Lbcnmaaß
Der Glieder, weiß wie Schnee.
Sobald der Tag sich anfgethan,
Nahm sie den Rerl auf's Rorn,
Und sah sich den Apollo an
Von hinten und von vorn.
Auch sein Profil von rechts und links
Besah sie stundenlang.
So ging es fort, und häufig ging's
Bis Sonnenuntergang.-
Die Zeit, die liebe Zeit, wie fuhr
Sie allgemach davon.
Im Zimmer steht die Gipsfigur,
Die Mutter und dev Sohn.
Und aus der Mutter Menenfpicl
Llagt dumpf der Monolog:
„Nicht ward erreicht das hohe Ziel,
Die stolze Loffnung trog.
So hat der Moriz sollen fein
wie der Apollo da —
Statt dessen steht er aus — o mein!
Genau wie der Papa!"
Josef Willomiyer.
&
Das
nächste Londoner Drama
Das demnächst zum ersten Mal
aufzuführende Londoner Drama
für 1899/1900 heisst: „Der Dia-
mant“. Die Titelrolle vertritt
ein eehter, massig grosser Dia-
mant von wunderbarstem Schliff.
Die erste Scene führt uns in den
Laden eines Juweliers. Auf Ti-
schen und an den Wänden grosse
Ausstellung von echten Juwelen;
Gesammtwerth 738 Millionen Mk.
Zwei Herren treten in den Laden.
Einer von ihnen stiehlt den Dia-
mant. Der Dieb wird dargestellt
von dem grössten Taschenspieler
der Gegenwart Mr. Quickfinger.
Als die Herren fort sind, ent-
deckt der Juwelier den Diebstahl
und veranlasst die Verfolgung.
Der Dieb wird von seinem Com-
plicen todtgeboxt (Auftreten des
Boxkämpfers Mr. Knockdown,
genannt The Champion of the
world! Es Messt echtes Blut!)
und des Diamanten beraubt. Der
Sieger flüchtet mit seinem Raub
auf einen Ueberseedampfer (De-
koration: Der neueste und grösste
Passagierdampfer Rutland mit
Radfahrerbahn an Bord); das
Schiff verbrennt auf offener See
(Dekoration: ein Schiffsbrand);
die Löschvorrichtungen mit der
Bezeichnung »Made in Germany«
funktionieren nicht. Der Flücht-
ling will in ein Rettungsboot sprin-
gen. springt vorbei und ertrinkt.
Max Hagen (München).
Dallunkinationen eines Minseligen
„Ach Gott, Alte, sei n!t bös, ich betrink' mich gewiß nimmer!"
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