Nr. 4
JUGEND
1899
Sion Wenban f (München).
„V^a ja, Herr pastcr I et kann ja »ich
immer allcns so glatt affgahn. En deren
Srricr, hört dcrmit to 1 Man Herr ja
äwcrlanks Langcwiel un grade nix därcrs
to dohn. Un dar will ick Jo scggen: er
is dar Schönste uppcr Welt, wenn man
stck achter her wcddcr verdricgt un Snaps
tosammcn drinkt."
„Ja, ja, und dadei diese greulichen
Donnerwetter und gottlosen Flüche, die
die Leute draußen hören."
„Uka ja, Herr pastcr, jede Minsch Herr
sin eegcn Rumplimenten."
„Und bei Zanken und Flüchen blcibt's
nicht, höre ich, sondern cs kommt auch zu
Thätlichkeiren. So noch am vergangenen
Sonntage . . .
„Ja, ja, Herr pastcr, allcns wie sick
dar hört. Alle Sunndage kämm ick cm
den Ropp, un he mi."
„Aber es soll doch gar zu arg gewesen
sein. Das ganze Dorf ist auf de» Beinen
gewesen vor Ihrem Hause, und die nach-
bar» haben Frieden stiften wollen. Da
habe» Sic ihnen die Fingernägel gezeigt
und gesagt_ich weiß nicht mehr..."
„Ick weit cs abcrs noch un ick will cs
Sic verzchlen, Herr pastcr. Se wullcn
Minen Leer! hauen, dar he upphörcn scholl,
ripp int to slagcn. Da wisdc ick jcm awcrs
min rein nägcl un sä: Unnerstahk Io!
Et is min Rccrl, er is min Fell — de kann
mi slagcn, wenn he will, n», harr ick
dar nich recht? Herr pastcr, kant wi us
nich plaisccr maken, wo wi willt? Un
ick schall minen Rcerl von so'n Volk slagcn
late»? wi steckt unse näse ok »ich in
cnner Lüe ähr Geschäfte. Un min Heini
sä naher sülvst, dar harr cm düchrig freit,
dar ick so scggt harr, un leer'» ganzen
Buddel Snaps holen."
Dieser Redeschwall war natürlich von
den wildesten Gestikulationen begleitet, so-
daß dem Herrn Pastor manchmal recht
2lngst wurde.
nach kurzem Schweigen Hub der Pastor
wieder an:
„2lbcr bedenken Sie doch, welches Bei-
spiel geben Sie Ihren Rindern" und dabei
zeigte er auf die kleinen Schmutzlümmcl
Aus der Lüneöurger Heide
von Fritz von Lirchhof
gut 15 Jahren schon zogen sic
zwischen Elbe und Ems von Dorf zu Dorf,
von Gehöft zu Gehöft, der Ressclflickcr-
Heini und seine Frau Line, mit ihrem
kleinen Planwagen. Gab's hier einen kupfer-
nen Rcjscl zu flicken, so war dorr eine
Schccrc odcr eine Häcksclschneide zu schleifen
oder zu repariren. Line handelte dabei
mir fremdem Bohncnsamcn und allerlei
heilenden Rräurcrn und Salben. Solche,
an denen niemand starb und niemand
gesundere. Eine kleine Reihe Rinder, so
fünf, sechs, halfen durch Rauben und Feld-
dicbstähle das Ihrige zur Unterhaltung
der Familie beitragen. In seiner weite»
Bekanntschaft vermittelte Heini ab und zu
«inen pfcrdehandcl, der ihm einigen Ver-
dienst cinbrachrc.
Fast jeder Stall, jede Scheune in Heide
und Marsch war ihnen Herberge gewesen.
Schließlich aber schienen Heini und Line
des Umhcrziehcns müde zu sein — in der
Familie steckte kein Zigeunerblut — und
so kam's denn, daß sich der Rcsselflickcr-
Heini eines schönen Tages in einer zerfallenen
Hcidchütte wohnlich cinrichtcte, um von hier-
aus klcincrcHandelsfahrrcn zu unternehmen.
Heini belferte das Dach mir Hcidsoden aus,
verstopfte die Löcher in der niedrigen Lehm-
wand mit Moos, und für die zwei kleinen
Fenster mußten die Linder Glasscheiben
von den Mistbeete» des pastorcngartcns
holen. Das Rirchdorf Rrähcnbostcl lag
ja nur eine Viertelstunde entfernt. Das
nothwendigste Hausgcrarh stellte sich gar
malerisch zusammen aus zerfallenen Bett-
stellen, Risten, Brettern, Tonnen u. s. w.,
die man sich allmählich erbettelt und cr-
stohlcn hatte. Heini machte den alten,
halbvcrschüttctcn Ziehbrunnen beim Haufe
wieder brauchbar und nun fühlten sich die
Insassen des löcherigen, dämmerigen Hcidc-
palastes glücklicher, als sic sich vordem
je hätten träumen lassen. Ringsum die
weite, ruhige Heide und drüben der Föhrcn-
wald, die Hecken und Gärten und Höfe
und Häuser von Rrähcnbostcl, das alles
gab für die durchtriebenen Heidcprinzen
und -Prinzessinnen ein herrliches Jagdrevier
ab. bind die liebe» Rrähcnbsstelcr waren
zudem auch sehr gütig und gcmüthlich bei
etwaigen kleinen Diebstählen; sic regten
sich nicht gern auf und wußten von vorn-
herein, wer's genommen, und wer cs doch
nicht wieder bringen würde.
Heini war eines Sommermorgcns wieder
mal auf den pfcrdehandcl ausgegangcn. Zu-
hause stand Line vor dem niedrigen Herde,
um für die Familie einen saftigen Igel
zu braten, den die Rinder zwischen dem
Schwarzdorn gefangen hatten.
plötzlich kam die kleine Bccka hcrcin-
gestürmr: „Mudderl Muddcrl De pastcr
kümnit!"
Schleunigst wurde der Igelbratcn zu-
gedcckt und der Eintretcndc mit einem ver-
legenen Lächeln und „Goden Dag ok, Herr
Pastcr" empfangen. Die Rinder wischten
sich mit dein Handrücken die nasc und
gaben ihm der 2bcihe nach die Hand. Eine
roh gezimmerte Bank wurde durch Line
inzwischen von de» Spuren des Igcl-
schlachtens gereinigt und dem Pastor an-
geboren, der sich »un aus verschiedenen
Rücksichten auf der einen Ecke der Bank
vorsichtig nicdcrlicß.
„Schön wcddcr vandagc, Herr pastcr."
„O ja, der Herr segnet die 2lrbcir unserer
Landleurc sichrbarlich; hm- aber ich
höre, hier in Ihrem Hause wäre nicht
immer das beste Wetter."
„Dar wüßt' ick doch »ich, Herr pastcr.
Er treckt ja woll mal c» bischen där de
Luken, wenn's winnig draußen is, un rcgcnt
us ja woll mal auf den Ropp, awcrs dar
sind wi so gewennt."
„nein, Frau Line, in der Weise meine
ich das nicht; ich hörte von meinen lieben
Gemeindekindern, Friede und Eintracht
seien nicht in Ihrem Hause."
^ „De Fräe 7 nä, Herr pastcr, Ii irrt
Io — ick bin mir mein Heini ßufriedcn
un er mit mich un wi hcbbt us so lecw,
as anncre Lüe ok."
„Aber mir ist doch erzählt worden, daß
Sic sich miteinander häufig zanken."
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Sion Wenban f (München).
„V^a ja, Herr pastcr I et kann ja »ich
immer allcns so glatt affgahn. En deren
Srricr, hört dcrmit to 1 Man Herr ja
äwcrlanks Langcwiel un grade nix därcrs
to dohn. Un dar will ick Jo scggen: er
is dar Schönste uppcr Welt, wenn man
stck achter her wcddcr verdricgt un Snaps
tosammcn drinkt."
„Ja, ja, und dadei diese greulichen
Donnerwetter und gottlosen Flüche, die
die Leute draußen hören."
„Uka ja, Herr pastcr, jede Minsch Herr
sin eegcn Rumplimenten."
„Und bei Zanken und Flüchen blcibt's
nicht, höre ich, sondern cs kommt auch zu
Thätlichkeiren. So noch am vergangenen
Sonntage . . .
„Ja, ja, Herr pastcr, allcns wie sick
dar hört. Alle Sunndage kämm ick cm
den Ropp, un he mi."
„Aber es soll doch gar zu arg gewesen
sein. Das ganze Dorf ist auf de» Beinen
gewesen vor Ihrem Hause, und die nach-
bar» haben Frieden stiften wollen. Da
habe» Sic ihnen die Fingernägel gezeigt
und gesagt_ich weiß nicht mehr..."
„Ick weit cs abcrs noch un ick will cs
Sic verzchlen, Herr pastcr. Se wullcn
Minen Leer! hauen, dar he upphörcn scholl,
ripp int to slagcn. Da wisdc ick jcm awcrs
min rein nägcl un sä: Unnerstahk Io!
Et is min Rccrl, er is min Fell — de kann
mi slagcn, wenn he will, n», harr ick
dar nich recht? Herr pastcr, kant wi us
nich plaisccr maken, wo wi willt? Un
ick schall minen Rcerl von so'n Volk slagcn
late»? wi steckt unse näse ok »ich in
cnner Lüe ähr Geschäfte. Un min Heini
sä naher sülvst, dar harr cm düchrig freit,
dar ick so scggt harr, un leer'» ganzen
Buddel Snaps holen."
Dieser Redeschwall war natürlich von
den wildesten Gestikulationen begleitet, so-
daß dem Herrn Pastor manchmal recht
2lngst wurde.
nach kurzem Schweigen Hub der Pastor
wieder an:
„2lbcr bedenken Sie doch, welches Bei-
spiel geben Sie Ihren Rindern" und dabei
zeigte er auf die kleinen Schmutzlümmcl
Aus der Lüneöurger Heide
von Fritz von Lirchhof
gut 15 Jahren schon zogen sic
zwischen Elbe und Ems von Dorf zu Dorf,
von Gehöft zu Gehöft, der Ressclflickcr-
Heini und seine Frau Line, mit ihrem
kleinen Planwagen. Gab's hier einen kupfer-
nen Rcjscl zu flicken, so war dorr eine
Schccrc odcr eine Häcksclschneide zu schleifen
oder zu repariren. Line handelte dabei
mir fremdem Bohncnsamcn und allerlei
heilenden Rräurcrn und Salben. Solche,
an denen niemand starb und niemand
gesundere. Eine kleine Reihe Rinder, so
fünf, sechs, halfen durch Rauben und Feld-
dicbstähle das Ihrige zur Unterhaltung
der Familie beitragen. In seiner weite»
Bekanntschaft vermittelte Heini ab und zu
«inen pfcrdehandcl, der ihm einigen Ver-
dienst cinbrachrc.
Fast jeder Stall, jede Scheune in Heide
und Marsch war ihnen Herberge gewesen.
Schließlich aber schienen Heini und Line
des Umhcrziehcns müde zu sein — in der
Familie steckte kein Zigeunerblut — und
so kam's denn, daß sich der Rcsselflickcr-
Heini eines schönen Tages in einer zerfallenen
Hcidchütte wohnlich cinrichtcte, um von hier-
aus klcincrcHandelsfahrrcn zu unternehmen.
Heini belferte das Dach mir Hcidsoden aus,
verstopfte die Löcher in der niedrigen Lehm-
wand mit Moos, und für die zwei kleinen
Fenster mußten die Linder Glasscheiben
von den Mistbeete» des pastorcngartcns
holen. Das Rirchdorf Rrähcnbostcl lag
ja nur eine Viertelstunde entfernt. Das
nothwendigste Hausgcrarh stellte sich gar
malerisch zusammen aus zerfallenen Bett-
stellen, Risten, Brettern, Tonnen u. s. w.,
die man sich allmählich erbettelt und cr-
stohlcn hatte. Heini machte den alten,
halbvcrschüttctcn Ziehbrunnen beim Haufe
wieder brauchbar und nun fühlten sich die
Insassen des löcherigen, dämmerigen Hcidc-
palastes glücklicher, als sic sich vordem
je hätten träumen lassen. Ringsum die
weite, ruhige Heide und drüben der Föhrcn-
wald, die Hecken und Gärten und Höfe
und Häuser von Rrähcnbostcl, das alles
gab für die durchtriebenen Heidcprinzen
und -Prinzessinnen ein herrliches Jagdrevier
ab. bind die liebe» Rrähcnbsstelcr waren
zudem auch sehr gütig und gcmüthlich bei
etwaigen kleinen Diebstählen; sic regten
sich nicht gern auf und wußten von vorn-
herein, wer's genommen, und wer cs doch
nicht wieder bringen würde.
Heini war eines Sommermorgcns wieder
mal auf den pfcrdehandcl ausgegangcn. Zu-
hause stand Line vor dem niedrigen Herde,
um für die Familie einen saftigen Igel
zu braten, den die Rinder zwischen dem
Schwarzdorn gefangen hatten.
plötzlich kam die kleine Bccka hcrcin-
gestürmr: „Mudderl Muddcrl De pastcr
kümnit!"
Schleunigst wurde der Igelbratcn zu-
gedcckt und der Eintretcndc mit einem ver-
legenen Lächeln und „Goden Dag ok, Herr
Pastcr" empfangen. Die Rinder wischten
sich mit dein Handrücken die nasc und
gaben ihm der 2bcihe nach die Hand. Eine
roh gezimmerte Bank wurde durch Line
inzwischen von de» Spuren des Igcl-
schlachtens gereinigt und dem Pastor an-
geboren, der sich »un aus verschiedenen
Rücksichten auf der einen Ecke der Bank
vorsichtig nicdcrlicß.
„Schön wcddcr vandagc, Herr pastcr."
„O ja, der Herr segnet die 2lrbcir unserer
Landleurc sichrbarlich; hm- aber ich
höre, hier in Ihrem Hause wäre nicht
immer das beste Wetter."
„Dar wüßt' ick doch »ich, Herr pastcr.
Er treckt ja woll mal c» bischen där de
Luken, wenn's winnig draußen is, un rcgcnt
us ja woll mal auf den Ropp, awcrs dar
sind wi so gewennt."
„nein, Frau Line, in der Weise meine
ich das nicht; ich hörte von meinen lieben
Gemeindekindern, Friede und Eintracht
seien nicht in Ihrem Hause."
^ „De Fräe 7 nä, Herr pastcr, Ii irrt
Io — ick bin mir mein Heini ßufriedcn
un er mit mich un wi hcbbt us so lecw,
as anncre Lüe ok."
„Aber mir ist doch erzählt worden, daß
Sic sich miteinander häufig zanken."
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